Maria von Magdala

Maria Magdalena, unbekannter Künstler aus Susa, um 1515, heute im Palazzo Madama in Turin (I). (Bild: Monika Bauer)

 

Wenn Novalis schreibt, dass er Maria in tausend Bildern sehe, doch keines seine Seelenempfindung ausdrücken könne, trifft für mich diese Aussage auch auf Maria aus Magdala zu. Schon die mittelalterliche «Legenda Aurea» beschreibt sie als vielschichtige Heilige, die von Jesus geheilt, seine vertrauteste Freundin, Gastgeberin und Wegbegleiterin bis zum Kreuz wurde. Ihre Verbindung sei so innig gewesen, dass Jesus seine Tränen nicht zurückhalten konnte, wenn seine Freundin weinte. Auch hätten ihre Lippen, die die Füsse des Erlösers küssten, den Wohlgeruch Gottes verströmt und die Frohbotschaft auf eindrückliche Weise verkündet. Traditionsgemäss setzt Jacobus von Voragine Maria von Magdala mit der salbenden Frau aus dem Lukasevangelium gleich, doch übernimmt er nicht die übliche Praxis ihrer Abwertung. Dennoch erfuhr ich erst im Theologiestudium, dass die Patronin der «gefallenen Mädchen», die in Magdalenenheimen umerzogen wurden, im Neuen Testament als «Apostola apostolorum» beschrieben wird. Das liess mich an meiner kirchlichen Bildung zweifeln, die starke Frauen der Jesusbewegung totgeschwiegen hatte.

Auch wenn mir bewusst ist, dass Maria von Magdala in der Ikonografie eine von der «Legenda Aurea» geprägte Kunstfigur ist, bin ich dankbar, dass ich früh die Bilder von Giotto, Fra Angelico und Martin Schongauer sehen durfte, in denen die Begegnung des Auferstandenen mit Maria von Magdala als das Wiedersehen zweier Liebender dargestellt wird, die ihre Hände suchend ausstrecken. Jesus mutet Maria, die ihren Rabbuni ergreifen möchte, um zu begreifen, dass er gegenwärtig ist, den Verzicht auf Berührung zu. Er ist sich ihrer Liebe und Mitleidenschaft sicher und weist sie mit liebevoller Zuwendung an, als Kronzeugin der Auferstehung Botin des neuen Lebens zu werden. Auch bei der Beweinung Christi von Niccolò dell’Arca von 1463 berührt Maria von Magdala Jesus nicht. Als lebensgrosse Terrakottafigur eilt sie in wehenden Kleidern und schmerzverzerrtem Gesicht zum Verstorbenen. Wirklichkeitsgetreu stellt hier der Künstler eine Frau dar, der durch den Tod das Liebste entrissen wurde. Berührend ist auch die um 1515 von einem unbekannten Künstler geschaffene Maria Magdalena im Palazzo Madama in Turin. Weinend kniet sie beim Leichnam Jesu, umfängt  und küsst seine Hand. Die zärtliche Geste der Hingabe erinnert mich an die Matthäus-Passion von J. S. Bach, in der Jesus seine Jünger anweist, die Liebestat der salbenden Frau nicht in den Schmutz zu ziehen. Auch wenn ich froh bin, dass der Vatikan Maria von Magdala nun als Apostolin anerkennt, bin ich auch dankbar für religiöse Kunstwerke, in denen die Sehnsucht nach körperlicher Berührung und der Schmerz um die Verletzlichkeit des Leibes aufscheinen. Da es von Luther die Aussage gibt, dass Gott ein glühender Backofen voller Liebe sei, steht die Frage im Raum, wie kirchlich Beauftragte das «noli me tangere» integrieren und dennoch die Zärtlichkeit und den Duft Gottes in die Welt tragen können.

Monika Bauer*

 

* Dr. theol. Monika Bauer (Jg. 1953) studierte nach ihrer langjährigen Tätigkeit als Primarlehrerin Theologie in Luzern. Von 2004 bis 2018 lehrte sie als Dozentin an der Pädagogischen Hochschule in Zürich. In ihrer Dissertation beschäftigte sie sich eingehend mit Leben und Werk von Dorothy Day.

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Editorial

Hoffnung ist der Schlüssel

Eine junge Frau erzählte mir letzthin von den Zukunftsängsten ihrer Mit­studentinnen und -studenten. Sie mache auch Ohnmachtsgefühle aus. Sie könnten nichts oder zu wenig tun gegen die sie überrollenden politischen Entwicklungen und klimatischen Veränderungen. Was wird werden? Aus diesem Grund finde sie das Motto des Heiligen Jahres «Pilger der Hoffnung» ausgesprochen aktuell. Selbst habe ich mich gefragt: Was bedeutet Hoffnung? Was meint christliche Hoffnung? Ist es die Hoffnung, dass es schon irgendwie gut gehen wird, es letztlich gut kommt oder dies und jenes eintrifft. Der Herder-Verlag veröffentlichte im Januar neu Tomáš Halíks Buch «Nicht ohne Hoffnung. Glaube im postoptimistischen Zeitalter» (Erstpublikation 2014). Halík ist der Ansicht, dass die Krise des Christentums eine Krise der christlichen Hoffnung sei. Die Hoffnung sei der Schlüssel zur Schatztruhe des Glaubens und es gehe darum, den verlorenen Schlüssel neu zu finden. Dabei sei der Gefahr eines innerweltlichen Optimismus standzuhalten. Christliche Hoffnung ist Hoffnung auf die Auferstehung. Sie basiert auf dem Glauben an das, was wir in diesen Tagen feiern, die Auferstehung Jesu Christi. Und diese Hoffnung könne, so Halík, in Hoffnungen, die unseren Alltag betreffen, durchschimmern. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, eine hoffnungsvolle Osterzeit.

Maria Hässig