Die theologischen Arbeiten von Frank Jehle zeigen diesen als Ökumeniker und engagierten Zeitgenossen.1 Biblisches, geschichtliche und systematische Gedankengänge sowie Fragen der Ethik laden zur Lektüre ein.
Calvin hatte zugegeben, wie die «ewige Anordnung» Gottes ein «furchtbarer Ratschluss» sei, doch nicht «durch vorwitzige Fragen zu ergründen».2 Die spätere Kritik sprach von einem «unheimlichen Gefühl» (Kampschulte) gegenüber der doppelten Prädestination, welche die Menschen rücksichtslos in Erwählte und Verworfene scheide. Jehle vermerkt, wie sich ein polemisches Calvinbild bei Stefan Zweig, Oskar Pfister und ebenso Max Weber entwickelte. Weber nannte als Folge des reformierten «Zentraldogmas … das Gefühl einer unerhörten inneren Vereinsamung» unter den Gläubigen im 16. und 17. Jahrhundert. In den Augen von Jehle zog der Soziologe daraus «einen folgenschweren Schluss». In «rastloser Berufsarbeit» (Weber) hätten sich die Menschen bemüht, «ihre religiöse Angst abzureagieren». Den Zusammenhang von doppelter Prädestination und Kapitalismus bezeichnet Jehle als «historischen Mythos», den es kritisch zu hinterfragen gilt.
Grosse Mehrheit ohne religiöse «Angstaffekte»
Die Forschung zeigt aber, dass die Gläubigen nicht den fernen und unerforschlichen, sondern den gütigen Gott vor Augen hatten. Bescheidenheit und Fleiss, welche die vom Calvinismus geprägten Länder voranbrachten, hatten kaum mit der calvinischen Sicht zu tun. Die Eigeninitiative wurde in der demokratisch verfassten reformierten Kirche besonders gefördert. Der Lehre von der Vorsehung widmeten auch Luther und Zwingli ihre Schriften. Für Calvin ging Zwingli sogar «zu weit». Jehle zeigt, wie «im Hintergrund (…) der übermächtige Schatten» von Augustinus stand. Und Thomas von Aquin, welcher «eine vorsichtigere und zurückhaltendere Begrifflichkeit als der Genfer Reformator» wählte, verwandte das Wort Prädestination «nur im positiven Sinn – als Vorherbestimmung zum Heil». Für Thomas bleibe die menschliche Verantwortung bestehen, der freie Wille «vom göttlichen Willen ganz umschlossen».
Calvin als biblischer Theologe
Jehle arbeitet heraus, wie sich Calvin «von der heiligen Schrift in ihrer Gesamtheit und Vielschichtigkeit inspirieren liess». In der ersten Auflage der Institutio war 1536 von der doppelten Prädestination keine Rede. Später wird «Menschenfreundlichkeit Gottes» zu einem «Lieblingsausdruck Calvins». Melanchthon gegenüber hob er die «Lehre von Gottes Barmherzigkeit als Gnadengeschenk» hervor. Calvin geht es um Heilsgewissheit: «Es ist Gott selbst, von dem die Initiative zur Erlösung ausgeht.» Uns ist in Christus ein Leben vor Augen gestellt: «Auf diesen Spiegel sei der Blick des Glaubens gerichtet.» Für Jehle ist dies «ein schönes und hilfreiches Bild: Christus als der Spiegel, in dem man den göttlichen Willen wahrnimmt». Dies bleibt zentral, muss doch nach einem Bild von Bischof Ivo Fürer die Kirche das «Schonklima eines Treibhauses» verlassen und lernen, «in der rauen Natur zu überleben».3