Aktiv für Geflüchtete damals und heute

«Banquet républicain» in Bern-Bethlehem für die «Berner Tamilen» im November 1986, Staatsarchiv Bern. (Bild: Rolf Schertenleib)

 

«Liebe Flüchtlinge, verliert nicht die Hoffnung, dass auch euch eine sicherere Zukunft vorbehalten ist; dass ihr auf euren Wegen einer ausgestreckten Hand begegnen könnt; dass es euch geschenkt wird, Solidarität und die Wärme der Freundschaft zu erfahren!» (Papstbotschaft zum Tag der Migranten 2024). Dieser Botschaft sieht sich die kirchliche Asylbewegung bis heute verpflichtet.

Als Seelsorgerin in einem Bundesasylzentrum höre ich jede Woche neue Geschichten von Menschen, die es geschafft haben, die Schweiz zu erreichen, und darauf hoffen, jene Wärme zu erfahren: Frauen, die erst in der Heimat und dann während der Flucht immer wieder Opfer sexueller Gewalt wurden, Familien, deren Kinder auf der Flucht geboren werden, die wiederholt von Grenzbeamten an den Aussengrenzen zurückgedrängt werden und dabei Gewalt erfahren. Mit den Geschichten, die ich höre, könnte ich ein ganzes Buch füllen. Was die meisten von ihnen verbindet, ist die Aussichtslosigkeit für Schutz in der Schweiz, wenn sie z. B. in Kroatien oder Bulgarien gezwungen wurden, ihre Fingerabdrücke zu geben.

Nicht nur in der Vergangenheit haben sich Kirchenleute für Geflüchtete engagiert. Damals wie heute sind viele Menschen an der kirchlichen Basis engagiert für Geflüchtete. Noch immer geht es dabei darum, die Schweiz und ganz Europa zu einer menschlichen Asylpolitik aufzufordern. Sie tun dies nicht nur in der Seelsorge. Sie führen ebenso politische Aktionen durch, vernetzen sich mit anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren und unterstützen und tragen Beratungsstellen für Sans-Papiers und Menschen in der Nothilfe. Stets liegt das Augenmerk auf den Verletzlichsten unter den Geflüchteten. Auf jenen, die sonst nicht gehört und gesehen werden. Auch die Kirchenleitungen auf allen Ebenen unterstützen diese Aktivitäten.

Das 2015 gegründete ökumenische «netzwerk migrationscharta.ch» hat sich zum Ziel gesetzt, für diese Menschen die Stimme zu erheben und neben Grundlagenarbeit und theologischer Reflexion konkrete Aktionen durchzuführen. So erschien unlängst das Buch «Migration in der Bibel und heute». Das Netzwerk besteht mehrheitlich aus katholischen und reformierten Theolog/innen oder Sozialarbeitenden, die tagtäglich mit Geflüchteten zu tun haben, sie als Seelsorgende begleiten, in Sans-Papiers-Stellen arbeiten und sich vor Ort für die Verbesserung ihrer Lebensbedingungen, z. B. in der Nothilfe einsetzen. Die Migrationscharta mit dem Untertitel «Willkommen in einer solidarischen Gesellschaft» ist dabei das Programm.

Unter anderem gehört die in diesem Jahr erneut stattfindende Gedenkaktion «Beim Namen nennen» dazu, die in über zehn Schweizer Städten und in mehreren deutschen Städten durchgeführt wird. Die mittlerweile dokumentierten mehr als 65 000 auf der Flucht nach Europa Verstorbenen werden mit ihren Namen und den Umständen ihres Todes laut gelesen – 24 Stunden ohne Pause. Ihre Namen werden geschrieben und es gibt jeweils eine politische Kampagne mit Forderungen an die Politik – in diesem Jahr zum Thema «Kinder auf den Fluchtwegen». Das «netzwerk migrationscharta.ch» setzt sich auch für das Kirchenasyl ein und sensibilisiert diesbezüglich Interessierte und Verantwortliche in den Kirchen.

 Nicola Neider*

 

* Nicola Neider Ammann (Jg. 1961) studierte Theologie und Pädagogik in Münster/Westfalen. Seit 2008 ist sie Leiterin des Bereichs Migration und Integration der katholischen Kirche Stadt Luzern und in dieser Funktion Präsidentin des Vereins Kontakt- und Beratungsstelle für Sans-Papiers Luzern.

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Editorial

Mitten in einer Baustelle

Seit Anfang April wohne ich mitten in einer Baustelle. Die Eigentümer haben entschieden, die Hausfassade gründlich zu sanieren und energietechnisch auf den neusten Stand zu bringen. Die Bauleitung forderte uns Bewohner auf, bei spezifischen Arbeiten mitzuwirken. So schraubte ich u. a. die Fensterbretter ab. Und Flexibilität ist gefragt, und sei es nur, mir einen Weg von der Strasse zur Haustüre zu bahnen, wenn der offizielle Zugang mit Baumaschinen und -material verstellt ist. In der Kirche wird davon gesprochen, dass wir uns in einem tiefgreifenden Transformationsprozess befinden. Das Wort «Transformationsprozess» erzeugt in mir das Bild, dass ein Wandel geschieht, ohne dass ich etwas dazu beitrage. Es gibt mir das Gefühl von Ausgeliefertsein. Ich muss die Entwicklung einfach so hinnehmen. In diesen Tagen kam mir das Bild von Kirche als einer Baustelle, einer, bei der ich aufgefordert bin, mitzuwirken. Und die Baustelle ist gross. Was kann ich wo beitragen? Letzthin erzählte mir eine Seelsorgerin vom Spardruck und der pastoral äusserst schwierigen Entscheidung, wo der Sparhebel angesetzt werden soll. Am Sonntag feiern wir Pfingsten. Ich wünsche uns eine grosse Empfänglichkeit für die Gaben des Hl. Geistes, die wir bei den vielfältigen Aufgaben und enormen Herausforderungen auf der Baustelle Kirche brauchen, auf der Rückbau, Umbau, Erhalten und Aufbau gleichzeitig anstehen.

Maria Hässig