Franz von Sales und Johanna Franziska von Chantal

Mosaik von Luc-Olivier Merson in der Basilika Sacré-Cœur de Montmartre, 1922, Paris. (Bild: Herbert Winklehner)

 

«Liebe einen jeden mit echter, starker Nächstenliebe, aber schenke Freundschaft nur solchen, bei denen gegenseitige Mitteilung von Tugenden möglich ist, und je wertvoller die Tugenden sind, die ihr einander mitteilt, desto vollkommener wird eure Freundschaft sein. Wenn ihr eure wissenschaftlichen Kenntnisse austauscht, so ist eure Freundschaft gewiss lobenswert; noch lobenswerter, wenn ihr euch gegenseitig die Tugenden der Klugheit, der taktvollen Mässigkeit, der Stärke und Gerechtigkeit mitteilt. Wenn aber eure gegenseitige Liebe die Frömmigkeit, die christliche Vollkommenheit zum Gegenstand hat, wie wertvoll wird dann eure Freundschaft sein! Sie wird ausgezeichnet sein, weil sie von Gott kommt, – ausgezeichnet, weil sie zu Gott führt, – ausgezeichnet, weil ihr Band Gott ist, – ausgezeichnet, weil sie ewig in Gott weiterleben wird. Wie schön ist es doch, auf Erden so zu lieben, wie man im Himmel lieben wird, und zu lernen, einander auf dieser Welt so herzlich verbunden zu sein, wie wir es in der anderen ewig sein werden. Ich rede hier nicht von der einfachen Nächstenliebe, die wir allen Menschen schulden, sondern von der geistlichen Freundschaft, in der zwei oder drei oder mehr Seelen sich ihre Frömmigkeit gegenseitig mitteilen, ihre geistigen Empfindungen austauschen und eins im Geiste werden. Mit Recht können solch glückliche Menschen singen: «Wie schön und lieblich ist es, wenn Brüder einig zusammenleben.» (Ps 132,1) Ja, denn unaufhörlich wird der königliche Balsam der Frömmigkeit von einem Herzen auf das andere überfliessen, sodass man sagen kann, dass Gott auf diese Freundschaft seinen Segen ausgegossen und das Leben für alle Ewigkeit. (Ps 132,4).»

Franz von Sales

 

(Quelle: «Die wahren Freundschaften», in: Sales, Franz von: Anleitungen zum frommen Leben, 1948, 174.)

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Editorial

Dem Herzschlag Raum geben

Noch 27 Tage und das Jahr ist zu Ende. Wo ist bloss die Zeit geblieben? Erwiesen ist, dass mit zunehmendem Alter die Zeit scheinbar schneller vergeht, weil das Gehirn weniger neue Eindrücke verarbeitet und Routinen dominieren. Als wir Kinder waren, erlebten wir die Zeit intensiver, da wir täglich viele neue Erfahrungen machten, die das Gehirn aktiv verarbeitete und als lebendige Erinnerungen speicherte. Heute aber laufen wir schon, während wir noch liegen, trinken Kaffee, während wir noch unter der Dusche stehen, und sind schon an der Arbeit, während wir noch im Wochenende sind und umgekehrt. Bloss keine Zeit verlieren. Schneller, schneller, schneller. Machen und machen, ohne es wirklich zu merken. Gibt es ein Entrinnen aus diesem rasenden Hamsterrad? Punkt 1: es überhaupt zu erkennen. Punkt 2: die Musse. Sich zu erlauben, einfach da zu sein. Alles wahrzunehmen. Aus der Routine auszubrechen und die Welt mit den Augen des Kindes zu betrachten, das in jedem von uns lebt und so gern an die frische Luft möchte. Dann fühlt sich der Tag plötzlich lang an, die Gedanken haben Platz, der Herzschlag bekommt Raum. Unser Körper füllt sich mit Energie, wir sind ganz ruhig, denken nicht an morgen oder gestern oder an irgendwas anderes als an diesen Moment. Ist nicht gerade der Advent die geeignete Zeit, den Ansturm von Hektik und Druck zu durchbrechen und sich gelassen (göttlicher) Musse anheimzugeben?

Brigitte Burri