Subsidiarität in der Kirche

(Bild: pixabay.com)

 

«Das ist von Kanton zu Kanton verschieden» – mit diesen Worten kann man Ausländerinnen und Ausländern erklären, was man in der Schweiz unter Föderalismus versteht. Schwieriger ist der Begriff der Subsidiarität. Gemeint ist ein Prinzip, das darauf beruht, die Entscheidungen und Verantwortlichkeiten auf der tiefstmöglichen Stufe anzusiedeln. Wo gewisse Aufgaben nicht mehr erfüllt werden können, soll die darüberliegende Stufe das Heft in die Hand nehmen. Subsidiarität ist ein wichtiges Element unseres demokratischen Systems. Wir finden es im selbständigen Handeln und Entscheiden auf der Seite Kirchgemeinde wie auch auf der Pfarreiseite. Bisher war eine klare Gewaltentrennung vorgesehen. Die staatskirchenrechtliche Seite kümmert sich um die Finanzen und gewisse administrative Aufgaben. Die pastorale Seite zeichnet sich fürs kirchliche Leben verantwortlich. Immer wieder prallen diese beiden Systeme aufeinander. Dies wird sich im offensichtlichen Personal- und Finanzmangel noch verstärken. Es geht oftmals um einen Hoheitsanspruch. Auf der einen Seite die Finanzhoheit, auf der anderen Seite die Frage nach der Entscheidungshoheit in pastoralen Fragen.

Dual wird verstanden als hier Geld, da Geist. Im besten Fall ist es ein Miteinander, oftmals aber ein Nebeneinander und bei Unstimmigkeiten ein Gegeneinander. Doch mit diesem System werden wir die Herausforderungen, denen sich die Kirche stellen muss, nicht lösen können. Diese Reibungsverluste wie auch die Machtspielchen können wir uns nicht mehr leisten.

Subsidiarität, ursprünglich ein Begriff aus der christlichen Soziallehre, ist eine geniale Errungenschaft und soll – wo immer möglich – beibehalten werden. Neue gesamtkirchliche Herausforderungen (Prävention sexueller und spiritueller Gewalt, kategoriale Seelsorge, Cybersicherheit, Medienpräsenz usw.) können von den Kirchgemeinden nicht gelöst werden, sind aber zwingend anzugehen und benötigen die entsprechenden finanziellen Mittel und Kompetenzen für die übergeordneten Ebenen.

Was es braucht, ist ein partnerschaftliches Miteinander der beiden «Seiten» und ein funktionierendes Zusammenspiel der unterschiedlichen Ebenen. Wenn Subsidiarität, dann in allen Bereichen, dann müssen besonders die Menschen «befähigt, ermächtigt» werden, die an der Basis wirken und Verantwortung vor Ort tragen. Es geht um die in der Taufe zugesprochene Würde, um den prophetischen, priesterlichen und königlichen Auftrag. Ein Miteinander auf Augenhöhe, ein Hören und gehört werden, ein Mitspracherecht, wie das im synodalen Prozess eigentlich angedacht ist.

Das subsidiäre Prinzip pflegen und im synodalen Miteinander Kirche gestalten. Ein verheissungsvolles Modell, eine geschwisterliche Kirche, in der die vorhandenen Ressourcen und Talente genutzt werden. Eine glaubwürdige Gemeinschaft, in der alle auf ihrer Ebene und in ihrem Bereich Verantwortung für unsere Kirche übernehmen, unabhängig ihres Geschlechts, ihres Behördenamtes oder ihres kirchlichen Auftrages.

Andreas Beerli*

 

* Andreas Beerli studierte Theologie und Nonprofit-Management. Er ist Stellenleiter Gemeindeberatung im Generalvikariat Zürich-Glarus. Er war 18 Jahre als Gemeindeleiter tätig und ist seit 25 Jahren Gefängnisseelsorger. Er ist weiter Supervisor, Organisationsberater (bso) und Mediator (SDM).

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Editorial

Hoffnung in Krisenzeiten

Elisabeth Lukas schreibt im gemeinsam mit Alexander Batthyány verfassten Buch «Die Welt ist nicht heil, aber heilbar», dass sich sinnvolle Aufgaben in Notstandsepochen deutlicher abzeichnen als in Wohlstandsepochen. «Für geistbegabte Wesen wie uns sind unangenehme Herausforderungen nahrhafter als angenehmer Stillstand.» So wohltuend es ist, wenn es im Leben rundläuft, so viel lehrreicher sind Krisenzeiten und Herausforderungen. Das nehme ich in meinem eigenen Leben wahr. Lukas beobachtet, dass nach einer Phase des Jammerns über die Verluste und der Schockstarre über die desaströsen Entwicklungen sich bei vielen Betroffenen die Fähigkeit ausbildet, den Krisen und Katastrophen die Stirn zu bieten und kreativ auf die Herausforderungen zu antworten. Ihre Beobachtungen geben mir Hoffnung. Hoffnung, dass die politischen, gesellschaftlichen und auch kirchlichen Krisen uns aufrütteln und wir nicht in einen Fatalismus oder eine Lethargie verfallen. Dass die Krisen uns helfen, den Blick auf die Werte zu richten, die es zu bewahren und zu fördern gilt. Dass die Krisen der Kirche neu unseren Blick auf ihr Fundament lenken: das Geschenk der Erlösung durch Jesus Christus und durch ihn die Gemeinschaft mit Gott und untereinander. Wie bewahren und pflegen wir dieses Geschenk und geben es weiter? Lukas schreibt: «Wer Liebe erfahren hat, muss kein Liebender sein. Aber wer Liebe austeilt, der ist ein Liebender.»

Maria Hässig