Auftrag und Rezeption des Konzils

Die Tribüne mit den Konzilsvätern und die Empore der Sekretäre am Zweiten Vatikanischen Konzil. (Bild: Lothar Wolleh, Wikipedia)

 

Das Zweite Vatikanische Konzil endete vor 60 Jahren (8.12.1965). Für die Mehrheit der Katholiken ist es daher ein historisches Ereignis, über das sie keine direkten Kenntnisse haben und das erklärt werden muss. In einer ersten Phase war das Auffälligste nach diesem Konzil der Übergang zur Liturgie in der lokalen Sprache. Dies verbirgt und offenbart gleichzeitig mehrere Absichten des Konzils.

Papst Johannes XXIII. erklärte, dass die Kirche zu jeder Zeit die Botschaft desselben Glaubens so verkünden müsse, dass sie von ihren Mitgliedern und Gesprächspartnern verstanden werde. Diese Verantwortung wurde ihr von Christus übertragen, der seine Jünger in alle Welt und bis zum Ende der Zeiten ausgesandt hat. Wenn das Zweite Vatikanische Konzil von «Tradition» spricht, erklärt es, dass es sich dabei um den Prozess handelt, der durch alle Zeiten und Orte hindurch die Offenbarung weitergibt, deren Fülle Christus selbst ist.

Das lässt sich in der Liturgie beobachten. Jesus feierte das Abendmahl auf Aramäisch. Bis zum 3. Jahrhundert wurde es in Rom auf Griechisch gefeiert. Als man feststellte, dass die Römer das Griechische nicht mehr verstanden, dann ging man allmählich zum Lateinischen über. Der heilige Thomas von Aquin stellte einen Grundsatz auf: «Wenn man sich, um Gott zu benennen, wörtlich an die Worte halten müsste, die die Heilige Schrift auf Gott anwendet, könnte man niemals in einer anderen Sprache von ihm sprechen als in der, in der die Heilige Schrift des Alten oder Neuen Testaments verfasst wurde» (Summa theologica, Ia, q.29, a.3, ad 1). Im Zweiten Vatikanischen Konzil einen Sprachwandel zu sehen, bedeutet in Wirklichkeit, dass man unseren Zeitgenossen vermitteln will, was der Glaube ist, was die Kirche ist. Und im weiteren Sinne bedeutet dies auch Wohlwollen gegenüber Menschen, die nicht oder nicht ganz denselben Glauben teilen: Aus dem Respekt gegenüber den Gesprächspartnern ergibt sich in der katholischen Kirche auch der Dialog mit anderen christlichen Konfessionen und anderen Religionen in einer Grundhaltung, die von der Religionsfreiheit geprägt ist. Dialog und eine Grundhaltung der Freiheit sind nicht nur ein Zeichen des Respekts, sondern auch die Voraussetzung für ein friedliches gegenseitiges Zuhören in jeder menschlichen Situation. Das Dekret über den Ökumenismus erklärt eine Verpflichtung zur Ehrlichkeit, die für alles gilt, was die Kirche über andere sagen kann, nämlich die Verpflichtung zu «alle[m] Bemühen zur Ausmerzung aller Worte, Urteile und Taten, die der Lage der getrennten Brüder nach Gerechtigkeit und Wahrheit nicht entsprechen und dadurch die gegenseitigen Beziehungen mit ihnen erschweren» (Unitatis Redintegratio 4).

Ein weiterer Grundsatz, der in der Liturgie zum Ausdruck kommt, ist die «volle und tätige Teilnahme des ganzen Volkes» («totius populi plena et actuosa participatio», Sacrosanctum Concilium 14). Dies ist nicht nur liturgischer Natur: Der Impuls zur Teilnahme aller Getauften hält an und muss vertieft werden.

Man spricht vom Zweiten Vatikanischen Konzil. Nun, auf dass es gelesen werde! Es lohnt sich!

+ Charles Morerod OP, 
 Bischof von Lausanne, Genf und Freiburg*

 

* Mgr Dr. Dr. Charles Morerod (Jg. 1961) ist Bischof von Lausanne, Genf und Freiburg mit Sitz in Freiburg i. Ü. und seit 2025 Präsident der Schweizer Bischofskonferenz SBK. Er gehört dem Predigerorden (OP) an.

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Editorial

Eine Wundertüte oder doch mehr?

Sechzig Jahre später fällt auf, dass sich annähernd alle Kirchenleute auf das letzte Konzil berufen, egal zu welchem Flügel sie heute gehören. Es folgert, dass die damaligen Texte zumindest «mehrdeutig» genannt werden können. Nur gerade die kleine Minderheit, die damals konsequent immer mit Nein zu den Vorlagen gestimmt hat, ist unter Marcel Lefebvre den bitteren Weg von Schisma und Ghetto gegangen. Dietrich Wiederkehr andrerseits hat hier in diesem Organ schon die These aufgestellt, dass es eigentlich zwei Konzilien gab, und dass das neue Denken erst mit «Gaudium et spes» begonnen habe. Nun ich war etwa zwölf Jahre alt, als diese «Neuzeit» begann. Bis zu dem Zeitpunkt sprachen wir Ministranten den Bischof mit «Gnädiger Herr» an, doch unser Lehrer an der katholischen Schule sagte uns, dass wir nun «Herr Bischof» sagen sollten. Dem Betroffenen, Bischof Josephus Hasler, gefiel dies übrigens nicht, sein Gesicht sprach Bände. Auch wurde das schwere metallbeschlagene Messbuch, das wir den Zelebranten an einen der vielen Nebenaltäre voranzutragen hatten, plötzlich durch dürftige Papierhefte ersetzt. Das empfand ich als unwürdig. Noch trauriger aber, dass die mühsam auswendig gelernten Gebete, zumal das «Confiteor» und das «Suscipiat», plötzlich ohne Verwendung waren, wofür hatten wir diese Mühe auf uns genommen? Und als trauriger Höhepunkt wurden unsere dreiteiligen Gewänder, Kragen, Spitzenhemd und Unterrock in fünf Farbtönen kurzerhand abgeschafft!

Heinz Angehrn