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Organspenden in der Schweiz: für ein System der «Erklärungsregelung»

Am 5. Mai nahm der Nationalrat die Initiative und den Gegenvorschlag zur Organspende, die eine mutmassliche Zustimmung vorsehen, an. Die Kommission für Bioethik der Schweizer Bischofskonferenz (KBSBK) schlägt einen dritten, ethischeren Weg – die Einführung einer «Erklärungsregelung» – vor. Die KBSBK unterstützt die Organspende in der Schweiz seit vielen Jahren.(1) Nichtsdestotrotz weist sie darauf hin, dass bisher keine Studie die Wirksamkeit der mutmasslichen Zustimmung belegen konnte. Tatsächlich kennen Angehörige, die beim Entscheid konsultiert werden müssen, den Willen der verstorbenen Person in 60 Prozent der Fälle nicht und lehnen eine Organspende
deshalb vorsichtshalber ab. Die Einführung der mutmasslichen Zustimmung würde an dieser Realität nichts ändern. Die KBSBK unterstützt ausserdem das Prinzip der Selbstbestimmung, wonach jede Spende das Ergebnis einer freien und informierten Zustimmung sein muss. Die Lösung einer «Erklärungsregelung», bei der die Bevölkerung regelmässig aufgefordert würde, der Organspende zu widersprechen, ihr zuzustimmen, den Willen dazu nicht zu äussern oder den Entscheid an eine Vertrauensperson zu delegieren, wäre sowohl aus ethischer Sicht als auch in Bezug auf ihre Wirksamkeit die bessere Lösung. Über eine Aufklärung der Bevölkerung könnte die Zahl der Spenden auf diese Weise erhöht werden, jede einzelne Person könnte frei entscheiden, und den Angehörigen könnte diese schwierige Entscheidung abgenommen werden. Die KBSBK fordert den Ständerat daher nachdrücklich auf, einen echten Gegenvorschlag zu machen, indem er das ethische und effektivere System der «Erklärungsregelung», einführt.

(1 Für eine detaillierte Stellungnahme der KBSBK, siehe www.kommission-bioethik.bischoefe.ch/Themen/Organtransplantation.)

Dr. Stève Bobillier, wiss. Mitarbeiter KBSBK


Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus: Der Zweck heiligt die Mittel nicht

Die Schweizerische Nationalkommission Justitia et Pax steht den vorgeschlagenen Gesetzesänderungen und dem darin enthaltenen Motto «Der Zweck heiligt die Mittel» sehr kritisch gegenüber. Da das neue Gesetz grundlegende Rechtsprinzipien wie die Unschuldsvermutung in Frage stellt, den Grundsatz der Gewaltenteilung auf operativer Ebene missachtet und die Beweislast umkehrt, empfiehlt Justitia et Pax, das vorliegende Gesetz aus sozial-
ethischen Gründen abzulehnen.

Am 13. Juni steht das Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus zur Abstimmung. Die Bekämpfung von Terrorismus ist eine wichtige sicherheitspolitische Aufgabe des Staates. Aus sozial-ethischer Sicht tut sich hier ein Spannungsfeld auf zwischen einerseits Massnahmen zur Sicherheit und andererseits menschenrechtlich begründeten Freiheitsrechten. Randgruppen, politische und religiöse Gruppierungen und Minderheiten laufen beim Gesetzesvorschlag Gefahr, dass ihre Freiheit bzw. einzelne Menschenrechte unzulässig verletzt werden: Um mögliche Gefahren abzuwehren, werden Freiheitsrechte in schwer kontrollierbarer Weise eingeschränkt.

Justitia et Pax ist der Ansicht, dass die heute schon bestehenden Massnahmen zur Terrorismusbekämpfung einer sorgfältigen Prüfung unterzogen werden sollten, bevor mit neuen Massnahmen Grundrechte von Personen eingeschränkt werden. Die Schweiz hat in jüngster Zeit mehrere Instrumente geschaffen: Das Nachrichtendienstgesetz (NDG), das Antiterrorstrafgesetz und den Nationalen Aktionsplan (NAP) gegen Radikalisierung. Bevor deren Wirksamkeit sorgfältig geprüft werden kann, wird mit den vorgelegten Änderungen des Bundesgesetzes über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus ein weiterer Schritt in Richtung einer präventiven und umfassenden Kontrolle getan. Selbst Jugendliche unter 18 Jahren sind von den präventiven Massnahmen gegen eine vermutete Gefährdung nicht ausgenommen.

Das Gesetz atmet einen Geist der «machbaren Sicherheit». Doch das Ziel der Sicherheit darf nicht absolut gesetzt werden, weil dann die Freiheitsrechte Einzelner gänzlich preisgegeben werden müssten. Das Ideal der totalen Sicherheit ist eine Illusion, sie gibt es nicht. Bund und Kantone verfügen heute schon über griffige Massnahmen zur Terrorprävention. Gerade eine Demokratie lebt von der Zumutung von Freiheit und dem Vertrauen auf einen verantwortlichen Umgang mit ihr. Friede und Gerechtigkeit lassen sich durch solche Sicherheitsmassnahmen nicht realisieren. Sie säen vielmehr ein Gefühl des Misstrauens, das der Demokratie und den Menschen grossen Schaden zufügt.

Eine ausführlichere Stellungnahme zu den Gesetzesänderungen findet sich als Vernehmlassungsantwort von Justitia et Pax unter www.juspax.ch.

Dr. Wolfgang Bürgstein, Generalsekretär Justitia et Pax


Überlegungen zu Trinkwasser- und Pestizidinitiative aus ethischer Sicht

Die Schweizerische Nationalkommission Justitia et Pax hat sich intensiv mit den Anliegen und Vorschlägen vonTrinkwasser- und Pestizidinitiative befasst. Die Anliegen beider Initiativen sind gut begründet: Es besteht unübersehbarer Handlungsbedarf. Allerdings braucht es aus ethischer Sicht eine grundlegendere politische Entscheidung, wie Umweltziele in der Landwirtschaft erreicht werden sollen. Nachfrageseite und KonsumentInnen sind in diesen grundlegenden Wandel bei der Herstellung landwirtschaftlicher Güter miteinzubeziehen.

Am 13. Juni 2021 stehen in der Schweiz zwei Initiativen zur Abstimmung, die im Zusammenhang mit der Schweizer Agrarpolitik stehen und einen besseren Umweltschutz verfolgen: Die Volksinitiative «Für sauberes Trinkwasser und gesunde Nahrung - Keine Subventionen für den Pestizid- und den prophylaktischen Antibiotika-Einsatz» (Trinkwasserinitiative) und die Initiative für «Eine Schweiz ohne synthetische Pestizide» (Pestizidinitiative). Der Handlungsbedarf im Bereich Trinkwasser und Pestizidbelastung der Böden wird kaum bestritten. Mit der «Agrarpolitik 22+» wollte der Bundesrat den Pestizideinsatz und die Stickstoffüberschüsse in der Landwirtschaft senken und den Treibhausgasausstoss mindern. Mit der Ablehnung der bundesrätlichen Vorlage durch die eidgenössischen Räte, unterstützt durch den Bauernverband, erhalten beide Initiativen ein besonderes Gewicht. Wer möchte, dass die Schweizer Landwirtschaftspolitik stärker auf eine nachhaltige und umweltschonende Weise ausgerichtet wird, dürfte beiden Initiativen grosse Aufmerksamkeit schenken.

Anliegen der Trinkwasserinitiative
Die Trinkwasserinitiative will gesunde Lebensmittel und sauberes Trinkwasser. Bäuerliche Betriebe in der Schweiz sollen nur noch Direktzahlungen bekommen, wenn sie auf Pestizide ganz und auf Antibiotika weitgehend verzichten sowie den Tierbestand ihrem selbst produzierten Futter anpassen. Der Import landwirtschaftlicher Produkte würde von dieser Verfassungsänderung nicht erfasst.

Anliegen der Pestizidinitiative
Die Pestizidinitiative beabsichtigt ein generelles Verbot des Einsatzes synthetischer Pestizide in der Landwirtschaft, bei der Verarbeitung landwirtschaftlicher Erzeugnisse und in der Boden- und Landschaftspflege. Dieses Verbot gilt auch für den Import von Lebensmitteln.

Handlungsbedarf unübersehbar
Die Schweizerische Nationalkommission Justitia et Pax teilt die Sorgen und Anliegen der Initiantinnen. Unser Trinkwasser ist in vielen Regionen stark mit Nitraten und Pestiziden belastet. Die mehrheitlich agroindustrielle Ausrichtung der Schweizer Landwirtschaft ist unter umweltethischen Gesichtspunkten nicht nachhaltig und riskiert, das Naturkapital für zukünftige Generationen nachhaltig zu beschädigen. Die Annahme der Initiativen würde einen grundlegenden Wandel in der hiesigen Agrarpolitik bedeuten. Beide Initiativen haben die Produktionsseite landwirtschaftlicher Produkte im Blick, die Verantwortung der Verbraucherinnen und Konsumenten steht nicht im Fokus.

Die Trinkwasserinitiative nimmt sogar nur die Landwirte in der Schweiz in die Pflicht, der Einsatz von Pestiziden durch die öffentliche Hand oder Hobbygärtnerinnen bleibt erlaubt. Sie macht auch keine Vorgaben zu importierten Lebensmitteln.

Die Pestizidinitiative ist hier kohärenter, sie will auch ein Verbot des Imports landwirtschaftlicher Produkte, die mit synthetischen Pestiziden hergestellt wurden.

Die Gegner der Initiativen kritisieren vor allem die einseitige Fokussierung auf Landwirtschaft und die Lebensmittelproduktion. Sie befürchten einen Verlust von Arbeitsplätzen und einen Rückgang der inländischen landwirtschaftlichen Produktion. Mehr Importe aus dem Ausland wären dadurch nötig. Auch fürchten sie um die Ernährungssouveränität bei einer Annahme der Initiativen.

Ethische Einschätzung
Aus ethischer Sicht stellen beide Initiativen eine Herausforderung dar: Der Handlungsbedarf ist evident, um Umwelt- und Klimaziele zu erreichen. Allerdings bleibt offen, ob die vorgeschlagenen Instrumente geeignet sind, um diese Ziele zu erreichen. Verlagerungseffekte ins Ausland sind denkbar, wodurch die CO2-Bilanz einiger Lebensmittel deutlich schlechter ausfallen würde als beim Status quo.

Weil bei der Trinkwasserinitiative weder Importschutz noch sonstige wirtschaftliche Unterstützung vorgesehen sind, besteht die Gefahr, dass besonders intensive Bereiche wie Poulet- und Schweinemast, Beeren-, Gemüse und Weinanbau zum Schluss kommen, dass es für sie lohnender ist, die Produktion noch mehr zu intensivieren und auf Direktzahlungen zu verzichten. Sie würden Ökonomie vor Ökologie stellen. Dieses Dilemma stellt sich bei der Pestizidinitiative weit weniger.

Mit Papst Franziskus ist daran zu erinnern, dass unsere Welt nur für künftige Generationen lebenswert erhalten werden kann, wenn wir zu Umwelt und benachteiligten Menschen gleichermassen Sorge tragen – und dass insbesondere reiche und mächtige Spieler Verantwortung übernehmen und ein neues wirtschaftliches Denken anstossen müssen. Solidarität mit Natur und Menschen ist letztlich nicht gratis zu haben, und (Human-)Ökologie vor Ökonomie zu stellen ist.

Es bedarf einer grundlegenderen - auch sozialethisch geprägten - politischen Entscheidung, wie die Umweltziele in der Landwirtschaft erreicht werden sollen. Die bisherige agroindustrielle Ausrichtung der Landwirtschaft muss durch eine umfassende Agrarökologie ersetzt werden. Nachfrageseite und KonsumentInnen sind in diesen grundlegenden Wandel bei der Herstellung landwirtschaftlicher Güter miteinzubeziehen

Dr. Wolfgang Bürgstein, Generalsekretär Justitia et Pax