Sexuellen Missbrauch aufarbeiten
Die drei nationalen kirchlichen Institutionen der Schweiz (SBK, RKZ und KOVOS) entschieden 2021 gemeinsam, die Geschichte des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen und Erwachsenen durch katholische Kleriker, kirchliche Angestellte und Ordensangehörige in der Schweiz seit den 1950er-Jahren von unabhängiger Seite von der Universität Zürich wissenschaftlich erforschen zu lassen. Die Resultate des einjährigen Pilotprojekts (2022–2023) wurden am 12.09. veröffentlicht. Die Zusammenarbeit mit dem historischen Seminar der Universität Zürich wird in einem Folgeprojekt 2024 bis 2026 im Umfang von 1,5 Mio. CHF fortgesetzt. Zudem beschlossen die drei kirchlichen Auftraggeberinnen weitere schweizweite Massnahmen. Es geht darum, dass die Kirche ihre Verantwortung gegenüber den Betroffenen und der gesamten Gesellschaft wahrnimmt und ihre Vergangenheit aufarbeitet. Zentrales Anliegen ist, den Missbrauch in den eigenen Reihen und dessen Ursachen noch entschiedener zu bekämpfen und weitere Opfer zu verhindern.
Weitere Informationen Projekt: www.missbrauch-kath-info.ch
Bericht siehe Bonusbeitrag.
Dringlichkeit und Umsetzung der beschlossenen Massnahmen
Die Ergebnisse des Pilotprojekts der historischen und unabhängig durchgeführten Studie, welche von der Schweizer Bischofskonferenz (SBK), der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz der Schweiz (RKZ) und den römisch-katholischen Ordens-gemeinschaften der Schweiz (KOVOS) bei der Universität Zürich in Auftrag gegeben und die im Rahmen der Pressekonferenz vom 12. September vorgestellt wurden, enthüllten eine grosse Anzahl an Missbrauchsfällen, welche in den letzten 70 Jahren in der römisch-katholischen Kirche stattgefunden haben. Jeder einzelne Fall steht für immenses Leid, welches Menschen und ihrem Umfeld angetan wurde.
Erschüttert von diesen Erkenntnissen haben die Schweizer Bischöfe anlässlich ihrer dreitägigen Vollversammlung, die am Mittwoch, 20. September, in St. Gallen zu Ende ging, unverzüglich konkrete Massnahmen eingeleitet mit dem Ziel, den Betroffenen Gehör zu verschaffen und allen betroffenen Familien Unterstützung und Gerechtigkeit zukommen zu lassen.
Die drei Auftraggeberinnen (SBK, RKZ, KOVOS) haben auf der Grundlage der Ergebnisse des Pilotprojekts bereits fünf Sofortmassnahmen beschlossen und zeichnen verantwortlich für deren Umsetzung.
1. Bestellung der Fortsetzung der Studie
Die nationale Studie wird 2024-2026 von Monika Dommann und Marietta Meier, den Historikerinnen der Universität Zürich, welche die Pilotstudie durchgeführt haben, weitergeführt. Die Finanzierung ist bereits gesichert und die Verträge stehen vor der Unterzeichnung.
2. Einrichtung einer nationalen Dienststelle zur Sammlung von Opfermeldungen
Das Fachgremium der SBK «Sexuelle Übergriffe im kirchlichen Umfeld» hat in seiner Sitzung vom 18. September 2023 eine Arbeitsgruppe eingesetzt, welche die Zusammensetzung, die Kompetenzen, die Ziele, die Verfahren, die Funktionsweise und den Standort der nationalen Dienststelle festlegen soll. Dieses strategische Dokument wird im November dieses Jahres vorliegen. Es wird im Anschluss den drei Auftraggeberinnen der Studie (SBK, RKZ und KOVOS) vorgelegt, um die Umsetzung des Projekts aufzugleisen. Die Umsetzung wird in Zusammenarbeit mit den Betroffenenverbänden CECAR, SAPEC, IG-M!kU (Erläuterung der Namen siehe unten)1 erfolgen.
3. Zugang zu kirchlichen Archiven in der Schweiz
Damit die Forscherinnen ihre Studie über sexuellen Missbrauch in der römisch-katholischen Kirche Schweiz in den nächsten Jahren weiter vertiefen können, haben alle Mitglieder der SBK eine persönliche Verpflichtung (notabene im Widerspruch zum geltenden Kirchenrecht) unterzeichnet, um sicherzustellen, dass alle Archive unter ihrer Verantwortung, welche Hinweise und Informationen zu Missbrauchsfällen enthalten könnten, weiterhin zugänglich sind und keine Dokumente vernichtet werden.
4. Psychologisches Abklärungsverfahren
Die SBK hat beschlossen, ein gründliches psychologisches Abklärungsverfahren für Seminaristen und Noviziatskandidaten sowie für die Ausbildung von anderen Seelsorgerinnen und Seelsorgern einzuführen. Das gibt es bereits in vielen Regionen, doch wird dieses Abklärungsverfahren nun schweizweit standardisiert und professionalisiert und ist überall obligatorisch. Die Konferenz der Regenten der Schweizer Seminarien hat das Mandat erhalten, diesen Beschluss in Zusammenarbeit mit kirchenexternen Fachpersonen umzusetzen.
5. Professionalisierung der Personalakten
Die SBK wird den Umgang mit Personaldossiers mittels Einstellung von Personal- und Datenschutzexpertinnen und -experten professionalisieren. Damit soll sichergestellt werden, dass die Akten aller pastoralen Mitarbeitenden stets umfassend sind und bei jedem Wechsel des Einsatzortes nach- und weiterverfolgt werden können.
All diese Massnahmen werden bis spätestens Ende 2024 umgesetzt.
Ein kirchliches Straf- und Disziplinargericht für die römisch-katholische Kirche in der Schweiz
Zusätzlich zu den obengenannten Massnahmen beabsichtigt die Schweizer Bischofskonferenz, ein eigenes kirchliches Straf- und Disziplinargericht für die römisch-katholische Kirche in der Schweiz einzurichten. Vorrang haben weiterhin die zivilen schweizerischen Strafgesetze und die Strafverfolgungsbehörden werden bei allen Fällen von Missbrauch oder anderen Straftaten, die im kirchlichen Umfeld begangen werden oder begangen worden sind, zwingend eingeschaltet. Das kirchliche Gericht wird sich jedoch zusätzlich dazu mit Sanktionen befassen, die verhängt werden müssen, wenn ein Verstoss gegen ein Kirchengesetz vorliegt.
Um die Einrichtung eines solchen nationalen Gerichts zu konkretisieren sowie Forschenden den Zugang zu den Archiven der Dikasterien des Apostolischen Stuhls zu ermöglichen, suchen die Schweizer Bischöfe in den kommenden Wochen das Gespräch mit den Verantwortlichen des Vatikans.
Synodaler Prozess
Die Schweizer Bischofskonferenz wird im Rahmen der Weltsynode der römisch-katholischen Kirche in Rom weitere Anliegen einbringen, die infolge der Pilotstudie zur Sprache gebracht wurden, wie etwa eine Veränderung im Ansatz der kirchlichen Sexualmoral, eine gleichberechtigtere Integration der Frauen in Entscheidungsprozesse und die Problematik der Machtkonzentration.
Die Schweizer Bischöfe setzen alles daran, die kirchlichen Strukturen zu verbessern und so das Zuhören und die Prävention zu stärken und den Betroffenen Gerechtigkeit zu verschaffen. Angesichts der verständlichen Empörung, vor allem seitens der Betroffenen, aber auch der pastoralen Mitarbeitenden, fühlen sich die Bischöfe verpflichtet, ihren pastoralen Auftrag seriös weiterzuführen, sich auf das Wesentliche der Botschaft des Evangeliums zu konzentrieren und konkrete Handlungsmöglichkeiten im Alltag ihrer jeweiligen Diözesen wahrzunehmen. Im Angesicht des geschehenen Missbrauchs und des daraus resultierenden Leids werden die Schweizer Bischöfe nie genug tun können. Kirchliche Vorkehrungen kontinuierlich anzupassen, um den Betroffenen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und dafür zu sorgen, dass Missbrauch nicht mehr begangen wird, hat für die SBK absolute Priorität.
Schweizer Bischofskonferenz SBK