Ambrosius von Mailand

Fresko mit dem heiligen Ambrosius zu Pferd, Kirche Sant'Ambrogio Vecchio (heute San Carlo) in Prugiasco-Negrentino (Bleniotal, Tessin), aus der Werkstatt des Antonio da Tradate, um 1510. (Bild: Ufficio dei beni culturali, Bellinzona)

 

Ohne Dornen war einst die Rose unter den Blumen der Erde gewachsen, ohne Tücke blühte die schönste der Blumen. Nachher umzäunte sie die Anmut ihrer Blüte mit Dornen. Das ist ein Spiegel des Menschenlebens: Die wonnige Lebenslust seines Tuns und Treibens wird so oft durch benachbarte Stacheln der Sorgen in stechenden Schmerz verwandelt. Denn wie von einer Mauer, wie von einem Zaun quälender Sorgen ist der liebliche Reiz unseres Lebens eingeschlossen, so dass Freude und Trauer sich berühren. Mag sich jemand auch der köstlichen Gaben der Vernunft oder eines fortgesetzt glücklicheren Lebenslaufes erfreuen: Er soll sich doch der Schuld erinnern, um derentwillen durch rechtskräftiges Urteil Dornen im Geist und Stacheln im Herzen unser Teil wurden, nachdem wir zuvor in den Freuden des Paradieses geblüht hatten. Magst du also im Ruhme deiner Abstammung glänzen, Mensch, oder durch Gravität der Macht oder durch Funkeln deiner Charakterstärken: Stets steht dir der Dorn, stets der Stachel in nächster Nähe. Denke stets an die Abgründe in dir! Zwischen Dornen blühst du empor, und nicht lange währt die Anmut. Rasch entfliehen die Jahre und welkt einer in der Blüte dahin.

Ambrosius: Sechstagewerk 3,48