«Ambrosius war ein brillanter Vermittler»

Er war einflussreicher Theologe, Poet und herausragender Prediger. Gregor Emmenegger gibt im Gespräch mit der SKZ einen Einblick in Leben und Werk des Kirchenlehrers und Bischofs von Mailand.

Der heilige Ambrosius, Erzbischof von Mailand (Gedenktag ist der 7. Dezember), wurde wegen der Lieblichkeit seiner Schriften, auch «der honigfliessende Lehrer» genannt. (Bild: Holzstich aus dem Buch «Legende von den lieben Heiligen Gottes», 1863)

 

SKZ: Herr Emmenegger, Ambrosius kam in Trier zur Welt, machte eine Laufbahn als Anwalt, kam als Prokurator nach Mailand und wurde hier Bischof. Welches ist seine familiäre Herkunft und wie kam es, dass er Bischof wurde?
Gregor Emmenegger*: Ambrosius ist einer der vier grossen lateinischen Kirchenväter. Er lebte im 4. Jahrhundert (ca. 339–397 n. Chr.). Er wurde in Augusta Treverorum geboren – dem heutigen Trier in Deutschland. Er hatte eine steile Karriere als römischer Beamter hinter sich, bevor er beinahe zufällig Bischof wurde. So gut wie nichts hatte auf die Berufung zum Kirchenfürsten hingedeutet. Ambrosius stammte aus einer stadtrömischen Senatorenfamilie. Sein Vater, der ebenfalls Ambrosius hiess, war Praefectus praetorio (Prätorianerpräfekt) und damit der oberste zivile Amtsträger für Gallien, Britannien und Spanien. Er starb aber 340, worauf seine junge Witwe mit den Kindern nach Rom zurückzog. Ambrosius hatte mindestens zwei Geschwister: einen älteren Bruder namens Satyrus und eine jüngere Schwester, Marcellina, die später «den Schleier nahm», wie man damals sagte, und einer monastischen Gemeinschaft beitrat. Ambrosius beendete 365 sein Studium und ging nach Sirmium, wo er als Advokat dem Präfekten zur Seite stand. Fünf Jahre später wird er zum Prokurator (Statthalter) der Provinz Emilia-Ligurien mit Sitz in Mailand ernannt.
 
Welche kirchliche Situation fand Ambrosius in Mailand vor?  
Im Jahr 374 starb Auxentius, der Bischof von Mailand, welcher ein überzeugter Arianer gewesen war. Die Regelung der Nachfolge gestaltete sich schwierig, denn Klerus und Volk war in eine arianische und eine nizänische Gruppe gespalten. Als sich beide Parteien in der Kathedrale versammelten, um einen neuen Bischof zu wählen, drohte der Streit zu eskalieren.

Wie hat er diesen Streit geschlichtet?
Ambrosius ging in seiner Funktion als Prokurator zur Kathedrale, um die Wahl zu beaufsichtigen. Er hielt eine Ansprache, worin er um Frieden und Einheit zwischen den zerstrittenen Gruppen bat. Seine Worte beeindruckten die Menge. Schliesslich rief eine Kinderstimme «Ambrosius Bischof!», und das ganze Volk stimmte ein – Bischöfe wurden damals per Akklamation durch die Gemeinde gewählt. Auch der Klerus jubelte mit, denn auf diese Weise konnte die schwierige Wahl elegant umschifft werden. Man ignorierte dabei, dass das Konzil von Nicäa die Wahl eines Neugetauften untersagt hatte. In Tat und Wahrheit war Ambrosius zu diesem Zeitpunkt sogar erst Taufanwärter. Man holte die Taufe eilig nach, spendete die nötigen Weihen und acht Tage später konnte er in sein Amt eingeführt werden. So wurde Ambrosius am 7. Dezember 374 mit 34 Jahren beinahe durch Zufall Bischof von Mailand.

Worin liegen die Innovationen und die Grösse seines theologischen Werkes?
Ambrosius war ein einflussreicher Theologe, dessen Werk sowohl in seiner Zeit als auch in den folgenden Jahrhunderten grosse Wirkung entfaltete. Wie weit er innovativ war, ist Gegenstand eifriger Diskussionen – schon Hieronymus warf ihm vor, primär Plagiator zu sein. Sicher ist: Ambrosius wollte nicht innovativ sein. Er sah seine Aufgabe vielmehr in der Weitergabe dessen, was er als wahr und richtig erkannt hatte. Ambrosius war ein brillanter Vermittler, der die griechisch-platonische Theologie von Origenes und Basilius in den lateinischen Kulturraum übertrug. Ambrosius ist bekannt für seine herausragenden Predigten und seine allegorische Interpretation der Bibel. Daneben trug er zur Entwicklung der Sakramentstheologie bei, insbesondere im Hinblick auf die Taufe und die Eucharistie. Seine Schriften legten den Grundstein für die Deutung der Sakramente als Zeichen und als Mittel zur Erlangung der göttlichen Gnade. Ambrosius verfasste mehrere Werke zur christlichen Ethik, wie «De officiis» (Über die Pflichten) und «De virginibus» (Über Jungfrauen). Diese Schriften prägten das Verständnis der christlichen Moral und Tugenden. Er förderte asketische Praktiken und das gemeinschaftliche Leben nach den Idealen des östlichen Mönchtums und trug so zu dessen Verbreitung im Westen bei. Er war Förderer des Kirchengesangs und der Liturgie und schrieb einige berühmte Hymnen – sein «Nun komm, der Heiden Heiland» singen wir ja heute noch zu Weihnacht. Ambrosius war Gegner des Arianismus. Hier schwingen zwei Aspekte mit. Einerseits lehnte Ambrosius die christologische Lehre der Arianer ab, welche die volle Göttlichkeit Jesu Christi anfochten. Er verteidigte den nizänischen Glauben und half, die Trinitätslehre im Westen zu festigen. Andererseits waren Spielarten des Arianismus unter den Kaisern Constantius II. und Valens offizielle Theologie des Reiches. Doch Ambrosius bestritt vehement den Anspruch dieser Kaiser, dies festlegen zu können. Hier kommen wir zum wichtigsten und wirkmächtigsten Bereich seines Schaffens: Ambrosius ordnete die Beziehungen zwischen Kirche und Reich neu und legte dabei Tatkraft an den Tag, die in ihrer Kompromisslosigkeit heute bisweilen beklemmend wirkt.

Welche Akzente setzte er bei dieser Neuordnung?
Ambrosius‘ Amtszeit als Bischof von Mailand fällt in eine Zeit der engen Verflechtung von Kirche und Staat. Kaiser Konstantin hatte die Kirche in den Staat integriert und sich als Herrn der Kirche gesehen. Ambrosius spielte eine entscheidende Rolle bei der Neuordnung dieses Verhältnisses. Er betonte die Unabhängigkeit der Kirche von der staatlichen Kontrolle, besonders in religiösen und moralischen Fragen. Er argumentierte, dass die Kirche von Gott autorisiert sei und nicht der weltlichen Macht unterstehen könne. «Die Kirche gehört Gott und darf in gar keinem Fall dem Kaiser zugesprochen werden, denn die Rechte des Kaisers erstrecken sich nicht auf die Kirche ... Der Kaiser ist in der Kirche, nicht über der Kirche! (Ep. 21).» Ambrosius pochte nicht nur auf eine Trennung von kirchlichen und staatlichen Zuständigkeitsbereichen, sondern vertrat die Ansicht, dass Bischöfe in geistlichen Angelegenheiten Autorität über weltliche Herrscher haben sollten. Ein bekanntes Beispiel ist sein Umgang mit Theodosius: Als der Kaiser im Jahr 390 an der Bevölkerung von Thessaloniki ein Massaker verüben liess, rief ihn Ambrosius wie einen gemeinen Mörder zur Kirchenbusse auf. Theodosius musste sich der Forderung beugen. Diese Affäre steht in einer Serie ähnlicher Vorfälle, die Ambrosius geschickt ausnutzte, um die Stellung Kirche gegenüber dem Staat zu stärken. Obwohl Ambrosius die Unabhängigkeit der Kirche betonte, befürwortete er die Zusammenarbeit von Kirche und Staat. Sowohl kirchliche als auch weltliche Autoritäten seien von Gott eingesetzt und sollten kooperieren, um das Wohl der Menschen und das Gedeihen des Reiches zu fördern. Hier zeichnete sich bereits ab, was in den folgenden Jahrhunderten den Westen prägen würde: Ambrosius sah den Kaiser einerseits als einfaches Kirchenmitglied und andererseits als Schutzherrn der Kirche und des christlichen Glaubens. Er erwartete von weltlichen Herrschern, dass sie die orthodoxe Lehre unterstützen und die Feinde der Kirche unterdrückten, seien sie nun heidnischer, jüdischer oder häretischer Provenienz.

Welche Impulse entnehmen Sie seinem Werk und Schaffen für heute?
Das ist eine schwierige Frage, denn das Wirken dieses kleinen schnauzbärtigen Bischofs hinterlässt heute einen zwiespältigen Eindruck. Auf der einen Seite sind beeindruckende Stärken zu nennen: Ambrosius betonte stets die Rolle der christlichen Gemeinschaft bei der Förderung von sozialer Gerechtigkeit, Nächstenliebe und der Unterstützung von Bedürftigen. Als er Bischof wurde, übertrug er sein ganzes Vermögen karitativen Einrichtungen – und rief die Reichen auf, ebenfalls den Besitz den Armen «zurückzuerstatten». Ambrosius war ein Gelehrter, ein Vielleser, ein Poet, der die Bedeutung der Bildung und Kultur für das geistliche Leben und das Wohl der Gesellschaft erkannte. Er trat für eine freie und unabhängige Kirche ein und scheute sich nicht, auch bei Reichen und Mächtigen die Verbrechen anzuprangern und Wiedergutmachung zu fordern. Andererseits muss man eingestehen, dass sein resolutes Eintreten gegen die jüdische, arianische und heidnische Gemeinschaft heute Kopfschütteln hervorruft. Die Worte, mit denen er etwa den Toleranzaufruf des Senators Symmachus abschmettert, liest man mit Unverständnis – es sind dieselben Argumente, mit welchen einst die Kaiser Decius oder Galerius die Christenverfolgung legitimierten, nur mit umgekehrten Vorzeichen. Es bleibt anzuerkennen, wie Ambrosius mit unglaublichem Geschick und Hartnäckigkeit auf die Zeichen seiner Zeit antwortete. Er etablierte so das Zusammenspiel von Thron und Altar, das Europa für Jahrhunderte dominierte, im Guten wie im Schlechten, – aber heute endgültig an sein Ende kommt. So wünsche ich Kirche und Politik Verantwortungsträgerinnen und -träger, die ähnlich konsequent und kompetent die Beziehungen von Kirche und Staat neu gestalten – mit Blick auf das Evangelium und im Wissen um die positiven und negativen Seiten ihres energischen Vorgängers.

Interview: Maria Hässig

 

* Prof. tit. Dr. theol. Gregor Emmenegger (Jg. 1972) unterrichtet an den Universitäten Freiburg i. Ü. und Luzern Patristik und alte Kirchengeschichte. Er ist verheiratet und Vater von zwei Kindern.

 

BONUS

Folgende Bonusbeiträge stehen zur Verfügung:

Dokumente