Albert Riederer:
«Ich hätte nie gedacht, dass das Rentnerdasein so schön ist. Ich habe eine absolute Freiheit.»
Über 30 Jahre war Albert Riederer (80) Vikar und Pfarrer in Altstätten SG, einem grossen Seelsorgeraum mit mehreren Pfarreien. Er renovierte drei Kirchen, baute zwei Pfarreiheime und gab bis zum offiziellen Pensionsalter neben seiner Arbeit als Pfarrer noch wöchentlich 12 bis 15 Stunden Religionsunterricht. «Ich war wahnsinnig gerne in diesem Betrieb und habe ihn gerne gemanagt», erinnert sich Riederer. Als er sich mit 68 Jahren entschloss, die Pfarrei abzugeben, stand für ihn fest, dass er nicht in Altstätten bleiben würde. «Ich habe alle Kinder getauft, sie in der Schule gehabt und später viele von ihnen verheiratet. Ich musste weggehen, damit mein Nachfolger eine Chance hatte.» Riederer wollte weiterhin Gottesdienste feiern, aber nicht fest angestellt werden. In dieser Zeit erinnerte er sich daran, dass im Lugnez1 immer wieder Priester gesucht wurden. Der Pfarrer vor Ort war froh über seine Anfrage und so pendelte Riederer zwischen dem Lugnez (1240 m. ü. M.), wo er am Sonntag zwei Gottesdienste feierte, und Altstätten (465 m. ü. M.), so lange bis das Herz nicht mehr mitmachte. Nach einer erfolgreichen Operation musste er sich zwischen den beiden Orten entscheiden. Riederer wählte das Lugnez.
Gemeinschaft und Freiheit
Das romanischsprachige Lugnez kannte Riederer bereits seit seiner Kindheit: Seine Mutter stammte aus Cumbel. «Als Bub war ich im Sommer immer bei den Verwandten und musste arbeiten», erinnert er sich. Noch heute leben Verwandte von ihm im Tal. «Hier ist man sofort mit dem halben Dorf verwandt», lacht Riederer. Er wollte die Gottesdienste von Anfang an auf Romanisch feiern. Der Pfarrer gab ihm alle entsprechenden Messtexte und Riederer lernte fleissig. «Inzwischen verstehe ich praktisch alles, was sie reden und sie verstehen mich.» Wenn einer der beiden Pfarrer im Tal in den Ferien oder krank ist, springt Riederer ein, sonst beschränkt er sich auf seine beiden Gottesdienste am Sonntag. Für ihn bedeutet Gottesdienst Gemeinschaft, bedeutet, miteinander auf dem Weg zu sein. «Während der Woche habe ich keine Gemeinde und da muss ich auch nicht alleine am Stubentisch Eucharistie feiern.»
Im Tal kennen die meisten Menschen inzwischen «Sur Albert»2. Als Pfarrer war er immer mit allen per Sie, doch jetzt ist er einfach Albert. Gleich zu Beginn suchte er eine Familie, bei der er regelmässig am Mittag essen kann. So hat er immer Kontakt mit anderen Menschen. Etwas, was er jedem Priester nur empfehlen kann. Inzwischen ist er wie ein Grossvater für die Familie.
Riederer geniesst die Natur und geht oft spazieren. Wenn er sich auf eine Bank setzt, ist er nie lange allein. «Da kommen immer Menschen und wir reden über Gott und die Welt. Das ist schön.» Und wenn er dann doch einmal alleine ist, geht er in seinem Geist spazieren. «Das sind meine spirituellen Momente. Da brauche ich keine Theologie mehr, Dogmatik sowieso nicht.» Vor allem das Weltall hat es ihm angetan. Dass es neben unserem Sonnensystem noch Tausende andere gibt, fasziniert ihn. «Wenn ich einmal drüben bin, gehe ich nicht in den Halleluja-Chor, sondern ich gehe das Weltall erkunden. Darauf bin ich neugierig, das ist so spannend!»
Als junger Priester hat er sich nie Gedanken über seine Pensionierung gemacht. Später sah er der Pensionierung eher skeptisch entgegen. «In der Pfarrei hatte ich so viele Aufgaben, so viel Kontakt mit Menschen. Ich dachte, das würde mit der Pensionierung wegfallen und ich würde nur eine Leere empfinden.» Albert Riederer hat sich sein Leben so eingerichtet, wie es für ihn stimmt. «Ich hätte nie gedacht, dass das Rentnerdasein so schön ist. Ich habe eine absolute Freiheit. Ich kann machen, was ich will, ausser am Sonntag, doch das habe ich mir selbst eingebrockt.»
Alfred Suter:
«Das alles hilft, um einen weiten Blick zu haben, gerade in der allfälligen Enge eines Heimes.»
Zwanzig Jahre war Alfred Suter (75) in der Pfarrei Egg ZH tätig. Zunächst als Pfarrer und Wallfahrtspriester, später als Pfarreiadministrator und zuletzt als Vikar. Als ein neues Team begann, erschien ihm der Zeitpunkt richtig für einen Wechsel. Schon länger war er mit dem Spiritual des Altersheims St. Anna im Steinerberg SZ befreundet und kannte auch das Heim, das durch die «Anbeterinnen des kostbaren Blutes» gegründet worden war. Und so ergab es sich, dass er als neuer Spiritual für St. Anna angefragt wurde. Zu diesem Zeitpunkt war Suter 73 Jahre alt.
Da er sein Leben lang in der Pfarreiarbeit tätig gewesen war, konnte Suter sich ein Leben «nur» als Spiritual nicht vorstellen. Für ihn war deshalb klar, dass er seine Dienste in der Region zur Verfügung stellen möchte. Doch nur wenige Tage nach seinem Einzug im Altersheim bat ihn Generalvikar Martin Kopp, die Pfarreiadministration für die Pfarrei Steinerberg zu übernehmen, da der Amtsinhaber gesundheitliche Probleme habe. «Ich war überrascht über diese Anfrage, doch da die Zahl der Gläubigen klein ist und die Pfarreibeauftragte sich um Organisationsfragen und vieles mehr kümmert, sagte ich zu.»
Alle und alles begleiten
Als Spiritual hat Suter kein eigentliches Pflichtenheft. «Ich lebe mit den rund 60 Pensionärinnen und Pensionären, führe Gespräche beim Essen und in der Cafeteria oder auch mit Einzelnen in den Zimmern, feiere Gottesdienste, halte Bussfeiern, spende Krankensalbungen und begleite Sterbende.» Während der coronabedingten Quarantäne konnte er kaum Besuche machen und so wich er aufs Haustelefon aus. Um mit den Hausbewohnerinnen und -bewohnern, aber auch mit den Pfarreiangehörigen in Kontakt zu bleiben, fing er an, ihnen jede Woche einen kleinen Sonntagsgedanken zuzustellen. Für die rund 90 Mitarbeitenden im Heim ist er offiziell nicht verantwortlich, doch ergeben sich immer wieder Gespräche.
Die Aufgabe eines Priesters sieht er darin, für das Volk Gottes da zu sein, mit ihnen Sorgen und Nöte zu teilen, aber auch das Freudige und ihnen durch die verschiedenen Dienste (Gespräche mit Jung und Alt, Ermunterung, Sakramentenspendung) nahe zu sein. Sein Alltag als Spiritual und Pfarreiadministrator ist vielfältig, ein «bunter Katalog von priesterlichen und seelsorglichen Möglichkeiten», wie Suter es beschreibt. Zusammenfassend meint er: «Ich sehe meine Aufgabe als Priester darin, alle und alles zu begleiten, indem ich es vor Gott hinlege und mich von ihm leiten lasse.»
Sein spirituelles Leben pflegt er durch die gemeinsamen Gottesdienste in der Hauskapelle mit seinem Vorgänger (92) und durch den Kontakt mit den Schwestern. «In den letzten Jahren sind viele von ihnen in die Ewigkeit zurückgekehrt, sie haben aber als Ordensgemeinschaft unserm Hause eine sehr spirituelle Note hinterlassen.» Daneben pflegt er Kontakt mit den Mitgliedern des Dekanates wie auch mit der Fokolarbewegung. «Wir Priester und Laien sind hier in einem weiteren Umfeld verbunden und pflegen den Austausch untereinander. Das alles hilft, um einen weiten Blick zu haben, gerade in der allfälligen Enge eines Heimes», ist Suter überzeugt.
Über das Älterwerden hat er nie gross nachgedacht. Er habe die Dinge im Vertrauen auf Gottes Vorsehung angenommen und darauf vertraut, dass Gott ihm in den dunklen Situationen des Älterwerdens beistehen werde. Heute hilft ihm der Gedanke, auch bei allfälligen Beschwerden im Heim bleiben zu können und gute Pflege zu erfahren. «Und es würde mich freuen, noch einige Zeit aktiv in der Seelsorge zu wirken.»
Ernst Heller:
«Ich bin im Altersheim angemeldet, damit ich einen Platz habe, wenn ich dann wirklich einmal alt werden sollte.»
«Gott hat dir eine Natur geschenkt, die Freude und Zuversicht ausstrahlt. Bleibe dieser frohe Spielmann Gottes.» Diese Predigtworte von Fritz Schmid3 anlässlich der Primiz im Jahr 1980 sind programmatisch für das Priesterleben von Ernst Heller (74). Er ist bekannt für seinen Humor und sein musikalisches Talent; seine «Frieda» (Klarinette) war überall dabei. In seiner Tätigkeit für die «Information kirchliche Berufe» (IKB) konnte er während Jahren durch seine glaubwürdige Freude am Glauben junge Menschen für einen geistlichen Beruf begeistern. Als er schliesslich 1999 «Zirkuspfarrer» wurde, war er ganz in seinem Element. Er reiste kreuz und quer durch die Deutschschweiz, um Zirkusleute, Schaustellerinnen und Markthändler zu besuchen, daneben betreute er auch noch den Europapark in Rust.
Irgendwann spürte er, dass die Kräfte nachliessen. Das viele Reisen wurde ihm zu anstrengend. Adrian Bolzern erschien ihm der richtige Nachfolger. «Ich wusste, dass ich diese Chance nicht verpassen darf», erinnert sich Heller. Bolzern sagte zu und so konnte Heller ihm die Arbeit des «Zirkuspfarrers» 2014 übergeben. Den Europapark betreut er immer noch ein wenig mit. Mit der Inhaberfamilie Mack verbindet ihn eine lange Freundschaft.
Die Schwierigkeit, Nein zu sagen
Doch untätig ist Heller seitdem nicht. «Du bist Priester auf ewig nach der Ordnung Melchisedeks» (Ps 110,4) zitiert er auf die Frage, was er nun tue. «Man ist Priester bis zum Lebensende. Wenn ich gesund bin, kann ich doch nicht sagen: Ich komme das Kind nicht taufen.» Er ist Pfarrer i. R., «Pfarrer in Reichweite», wie es auf seiner Visitenkarte steht. Von überall her kommen Anfragen für Trauungen, Beerdigungen oder Haussegnungen. Viele Paare, die von ihm getraut wurden, möchten jetzt ihr Kind von ihm taufen lassen. Daneben wird er oft in Spitäler gerufen, um Trost zu spenden.
Im Gegensatz zu früher kann er jetzt entscheiden, ob er eine Aushilfe oder eine Trauung übernehmen will. Doch Nein sagen fällt ihm schwer. «Ich kenne viel zu viele Menschen», lacht er. Besonders bei Beerdigungen bringt er es nicht über das Herz abzulehnen. «Am besten kann ich die Trauernden trösten, wenn ich zu ihnen gehe, sie tröste und mit ihnen einen würdevollen Auferstehungsgottesdienst feiere.» Er benutzt bewusst das Wort Auferstehungsfeier. «Es ist mir sehr wichtig, ihnen aus dem Glauben diese Hoffnung auf den Weg mitzugeben.»
Sein Tagesablauf ist gut strukturiert: Er steht um 6 Uhr auf und betet gleich die Laudes und feiert die heilige Messe. «Das ist ‹unser tägliches Brot› und ohne Brot kann ich nicht leben. Im Messopfer kann ich dem Herrgott wirklich alles übergeben, was mir Menschen anvertraut haben.» Wenn Heller verspricht, für jemanden zu beten, sind das keine leeren Worthülsen. Oft erhält er Rückmeldungen, dass ein Gebet «gewirkt» habe oder eine Krankensalbung Besserung gebracht habe; das gibt auch ihm Kraft. Nach dem Frühstück erledigt er die Korrespondenz, dann kommen bereits die ersten Anrufe. Nach einem kurzen Mittagessen geht er eine Stunde spazieren, damit er genügend Bewegung hat und an der frischen Luft war. Nachmittags sichtet er die Mails und dann ist er bereits unterwegs zu einer Beerdigung, einem Taufgespräch, zu Besuchen im Altersheim usw. Brautpaare lädt er jeweils abends zu sich ein und bekocht sie. «Dabei kann man wunderbar miteinander reden und alles besprechen. Es ist schön, wenn man die Vorfreude des Brautpaares mitempfinden kann.» So sind seine Tage mehr als ausgefüllt.
Als junger Priester dachte Heller nie an die Zeit nach seiner aktiven Berufstätigkeit. Auch jetzt ist diese Zeit für ihn noch in weiter Ferne, obwohl er sich sicherheitshalber bereits in einem Altersheim angemeldet hat. «Damit ich einen Platz habe, wenn ich dann wirklich einmal alt werden sollte», schmunzelt er.
Rosmarie Schärer