Natürlich hat Bruckner auch dann, wenn er Nichtreligiöses vertonte, immer als religiöser Mensch komponiert, dem alle Musik letztlich von Gottes Gnade «geschenkt» ist. Musik ist für ihn die Sprache des Herzens, und sein Herz hat zutiefst innerlich geglaubt, oft betete er beim Komponieren «Mein lieber Gott». Als Musiker ist er deshalb keine gespaltene Existenz. Vielmehr verbindet er in sich, ähnlich wie bei Johann Sebastian Bach, den «weltlichen» Symphoniker und den «geistlichen» Kirchenmusiker zu einer Einheit […]. In seiner persönlichen Grundeinstellung, Grundhaltung und Grundintention ist Anton Bruckner also selbst dort, wo er keine religiösen Themen vertonte, wo er durchaus profane Vorstellungen und Bilder aufnimmt, im – wenn man so will – gut katholischen, umfassenden Sinn ein «religiöser Musiker», der viele seiner Werke mit dem Signum «O.A.M.D.G.» («Omnia ad maiorem Dei gloriam») versieht und der nicht nur sein «Te Deum» und seine Neunte Symphonie, sondern alles «zur grösseren Ehre Gottes» schreit. Musik als Gottes-Dienst: nie erotisiert flackrig und oszillierend wie die Wagners, sondern durchströmt von grosser Gewissheit.
Hans Küng (1928–2021)