Sie war eine der ersten im Vatikan angestellten Frauen und die erste mit einem regulären Arbeitsvertrag: die deutsche Jüdin Hermine Speier. Ein neues Buch beschreibt das Schicksal dieser von Rom begeisterten Archäologin, die zum Katholizismus konvertierte. Dass die katholische Kirche in den schlimmen Jahren der deutschen Besetzung Roms 1943/1944 vielen von den Nazis verfolgten Juden half, ist bekannt. Doch immer mal wieder werden in diesem historischen Kontext bemerkenswerte Einzelaktionen und Einzelschicksale bekannt. So befasste sich die bei Radio Vatikan tätige österreichische Journalistin Gudrun Sailer eingehend mit dem Fall einer gefährdeten hochgebildeten Archäologin, die zehn Jahre lang praktisch hinter den dicken vatikanischen Mauern "versteckt" arbeitete. Das Resultat ist der aufschlussreiche Band: "Monsignorina. Die deutsche Jüdin Hermine Speier im Vatikan", Verlag Aschendorff, Münster 2015, 382 Seiten.
Wer war diese Frau? Nun, sie stammte aus einer wohlhabenden jüdischen Kaufmannsfamilie in Frankfurt, studierte Archäologie in Heidelberg und begann eine akademische Karriere. 1928, knapp 30 Jahre alt, wurde sie an das namhafte Deutsche Archäologische Institut in Rom berufen, wo man ihr den Aufbau einer damals avantgardistischen Abteilung anvertraute: der Fotothek. Und Rom, genauer, die Beschäftigung mit der Antike und mit den italienischen Künsten, aber auch die vielen Kontakte mit bedeutenden Persönlichkeiten am Tiber, wurde ihr Schicksal – für immer.
Am Istituto Archeologico Germanico konnte sie nur wenige Jahre unbehelligt arbeiten. Denn 1934 wurde sie aus rassischen Gründen entlassen. Aber da geschah, wie die italienische katholische Zeitung "Avvenire" staunt, "das erste Wunder": Die Generaldirektion der Vatikanischen Museen engagierte Hermine Speier, um die Fotothek aller dort befindlichen archäologischen Fundstücke zu organisieren. "Avvenire" weiter: "Das zweite Wunder bestand darin, dass ausgerechnet die Jüdin Hermine Speier die erste im Vatikan angestellte Frau war", denn sie erhielt einen Arbeitsvertrag. (Man bedenke: Heute sind unter den etwa 4000 vatikanischen "funzionari " immerhin 750 Frauen.)
Gab der Vatikan, um die heikle personelle Neuheit zu verbergen, der deutschen Dame womöglich einen Arbeitsvertrag mit dem Namen "Herminius Speier"? "Nein, dieses Gerücht lief zwar um, stimmt aber nicht," fand die Buchautorin Gudrun Sailer heraus. Für die "Neue" bot der Wirkungskreis in den Vatikanischen Museen die Chance, in der bedeutendsten Antikensammlung der Welt zu arbeiten. Und alle aufeinander folgenden Päpste schätzten ihre Aktivität, ihre fachliche Kompetenz. Weshalb sie 1965 zu Recht den Verdienstorden "Pro Ecclesia et Pontefice" erhielt.
Doch abgesehen von ihrem wissenschaftlichen Einsatz erwarb sich die (beruflich de facto im Vatikan versteckte) Jüdin auch ganz privat beträchtliches Ansehen – als eine elegante, hochgebildete Dame mit mannigfachen kulturellen Interessen. Ihre von einem Schweizer Mäzen zur Verfügung gestellte Attikawohnung mit herrlichem Blick über die Ewige Stadt wurde ein beliebter Treffpunkt von Künstlern und Gelehrten aus der "Germania" wie aus Italien.
Als im Herbst 1943 die Nationalsozialisten Rom besetzten und Juden deportierten, flüchtete Hermine Speier mit vatikanischer Hilfe in ein römisches Kloster. Zu diesem Zeitpunkt war sie bereits konvertiert, was freilich für die antisemitischen Nazis keinen Unterschied machte: 1939 hatte sie die Taufe empfangen. Dass "Erminia", wie ihre römischen Freunde sie nannten, auch Liebesgeschichten hatte, war kein Geheimnis. Auch ihre wichtigste Liaison, die mit dem berühmten italienischen Luftschiff-Pionier Umberto Nobile (1885–1978), fand allerdings kein "Happy End": Der General ging kurz nach Hermines Taufe ins US-Exil, ohne sie mitzunehmen.
Gleichwohl pflegte Hermine Speier, wie das neue Buch betont, weiterhin lebhafte Kontakte mit Intellektuellen, Klerikern und Künstlern. So mit der Dichterin Marie-Luise Kaschnitz, mit dem Archäologie- Professor an der Päpstlichen Universität Gregoriana, Engelbert Kirschbaum SJ, sowie mit dem Benediktiner Paul Augustin Mayer, den Johannes Paul II. zum Kardinal erhob. Und mit Oriol Schädel, dem jahrzehntelangen Direktor der Herder-Buchhandlung an der zentralen Piazza Montecitorio, also einem Mann, der die neuere Geschichte der deutschen Kolonie in der Ewigen Stadt wohl am besten kennt. Einer Kolonie, die verbunden war besonders durch die Bewunderung für Rom. Und deren Mitglieder, wie Hermine Speier, grosse Stücke auf die berühmtesten deutschen Rombesucher hielten. Als die pensionierte Archäologin 1989 starb, wurde sie auf dem Campo Santo Teutonico, sprich, im Schatten des Petersdoms, beerdigt. Auf ihrem Grabstein steht ein Wort von Goethe: "Leben ist Liebe."
Die Publikation des äusserst lesenswerten Buches wäre ohne die grosse Hilfe des Instituts für Ökumenische Studien der Universität Freiburg i. Ü. nicht möglich gewesen, wo das Forschungsprojekt "Hermine Speier" angesiedelt war. "Mentorin schlechthin" war Prof. Dr. Barbara Hallensleben, wie Gudrun Sailer im Dankeswort anmerkt.