Die Eidgenossenschaft zwischen 1803 und 1848

Der antikatholische Stich kritisiert die angebliche Zuchtlosigkeit und das ausschweifende Leben in den Klöstern. Er zeugt von der Heftigkeit der Polemik während der konfessionellen Spannungen. (Anonymer Holzschnitt; Bernisches Historisches Museum; Fotografie: Stefan Rebsamen).

 

In der Eidgenossenschaft gestaltete sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts das Verhältnis zwischen Katholiken und Reformierten, aber auch das zwischen Radikalen und Konservativen, zunehmend schwierig: Man denke an die Badener Artikel, an die Aufhebung der Klöster im Aargau, an die Rückkehr der Jesuiten nach Luzern und an die Krise des Sonderbunds. Diese Auseinandersetzung führte
in der Schweiz zum offenen Konflikt.

In der Vergangenheit entschied sich die Geschichtsschreibung meist dafür, für die eine oder die andere Seite Partei zu ergreifen, heute jedoch zeigt die Erforschung der Quellen, dass eine abgewogenere Einstellung nicht nur nötig, sondern geboten ist: Es gilt, auch auf die «mittleren» bzw. vermittelnden Stimmen zu hören, die sich auf der Suche nach einem Kompromiss oft als entscheidend erwiesen haben. Das betrifft sowohl einige Katholiken, die sich von der politischen Vormundschaft des Vatikans zu emanzipieren versuchten, als auch gemässigte Liberale, die an einer Versöhnung mit dem Papsttum arbeiteten.

Sicher ist, dass die ersten Funken des Konflikts vor allem in den Jahren 1830 auszumachen sind. Mit den Badener Artikeln von 1834, die vom neugeborenen Radikalismus und von einem Klerus mit liberalen Tendenzen inspiriert waren, verfochten einige Kantone das Recht des Staates, die Angelegenheiten der Kirche zu überwachen, als Reaktion auf den ultramontanen Katholizismus (von ultramontanus, d. h. «jenseits der Berge», in diesem Falle der Alpen). Papst Gregor XVI. zögerte nicht mit seiner Antwort und veröffentlichte am 17. Mai 1835 die Enzyklika «Commissum divinitus» mit einer strengen Verurteilung der Badener Artikel. 1841 schlug der radikale Abgeordnete Augustin Keller im Aargau die Aufhebung aller Klöster vor, was vom Grossen Rat mit deutlicher Mehrheit gebilligt wurde. Die Tagsatzung war damit aber nicht einverstanden. So wurden 1843 vier der acht geschlossenen Klöster wieder zugelassen.

Allerdings waren die interkonfessionellen Spannungen damit nicht ausgeräumt und entluden sich 1847 im Sonderbundskrieg. Handelte es sich dabei tatsächlich um einen Religionskrieg zwischen Katholiken und Protestanten? In Wirklichkeit war es ein Konflikt zwischen radikalen Kantonen und katholisch geprägten konservativen Kantonen. Die Truppen der ersteren, die mehrheitlich protestantisch waren, wurden paradoxerweise von dem gemässigten Konservativen Guillaume Henri Dufour angeführt, während der Reformierte Johann Ulrich von Salis-Soglio überraschenderweise das Heer der zweiteren befehligte.

Welche Wahrnehmung hatte jedoch der Heilige Stuhl vom politischen Leben in der Schweiz in jenen stürmischen Jahren? Die von der Bundesverfassung von 1848 eingeleitete Zentralisierung «nimmt durch die Bundesgesetze langsam, aber stetig zu. Das Ideal, zu dem die Machthabenden tendieren, ist eine vollkommene Übereinstimmung mit der nordamerikanischen Republik, d. h. mit der Konföderation der Vereinigten Staaten», schreibt der Beauftragte der Nuntiatur Msgr Angelo Bianchi an den Kardinal-Staatssekretär Giacomo Antonelli.

Lorenzo Planzi*

 

* Dr. phil., lic. theol. Lorenzo Planzi (Jg. 1984) promovierte in Zeitgeschichte an der Universität Freiburg i. Ü. und erhielt sein Lizenziat in Theologie an der Gregoriana in Rom. Für den SNF koordiniert er ein Projekt zur Geschichte der Beziehungen zwischen der Schweiz und dem Hl. Stuhl in den Jahren 1873–1920. Er ist Habilitand und Lehrbeauftragter an der Theologischen Fakultät der Universität Freiburg i. Ü.