Bilder und Fotos sind sehr wirkmächtig. Sie sind heute omnipräsent, sind Träger von Erinnerung, schaffen neue, auch künstliche Welten. Bilder können uns ansprechen, auch verführen. Sie überschreiten Grenzen und haben etwas Zeitloses an sich. Bilder können bewegen, inspirieren, informieren und im Extremfall instrumentalisieren. Was wir sehen und was uns präsentiert wird, ist im besten Fall Abbild der realen Welt, kann aber auch neue Welten schaffen.
Schweizer Geschichte im Bild
Bilder spielten auch in der Geschichte immer eine grosse Rolle, sei dies als Abbild von Realität oder als konstruierte Wirklichkeit. So lieferten bereits ab dem 15. Jahrhundert die illustrierten Chroniken Bilder, welche die Eidgenossenschaft darstellten, nicht im Sinne einer fotografischen Abbildung, sondern als kreative Schöpfung, als konstruierter Rückgriff in die Geschichte. Dies wird etwa bei Darstellungen der Schlacht von Morgarten deutlich. Solche Darstellungen konnten auch eine starke religiöse Bindung aufweisen (z. B. bei der historisch nicht abgesicherten Thebäischen Legion), was gerade für das Selbstverständnis der Christen und für den zu neuer Blüte gelangenden Heiligenkult im 15. Jahrhundert wichtig war. Sich der Macht des Bildes bewusst, schrieb deshalb der bekannte Schweizer Historiker Thomas Maissen nicht nur eine «Geschichte der Schweiz», die als Überblicksdarstellung ein Standardwerk ist (vgl. die Besprechung in der SKZ 179 [2011], Nr. 6–7, 107), sondern er gab ein Jahr später eine grossformatige «Schweizer Geschichte im Bild» heraus (Verlag hier+jetzt, Baden 2012, 291 S., reich illustriert; die nachfolgenden Seitenzahlen beziehen sich auf dieses Buch). Er veröffentlichte darin eine Auswahl Bilder im doppelten Sinn: «von Abbildungen wie von Vorstellungen, die sich Menschen von der Schweiz und ihrer Geschichte gemacht haben. Ein besonderes Augenmerk gilt nämlich denjenigen Repräsentationen, die weitergewirkt haben, in das visuelle Gedächtnis der Nation eingegangen sind» (7). Thomas Maissen präsentiert dementsprechend Bilder, die eine gesamteidgenössische Dimension haben. Bilder bevorzugen das Erstmalige und den Konflikt, wo der Autor auch den religiösen Bereich erwähnt: «Wenn die Glaubensspaltung im 16. Jahrhundert erfolgte und dort in ihrer Gewalttätigkeit behandelt wird, so bedeutet das nicht, dass konfessionelle Gegensätze im 20. Jahrhundert keine Rolle mehr gespielt haben; aber sie wirkten nur noch selten als Motor der Bundespolitik» (ebd.).
«Mittelalterliche Räume»
Das Fotobuch beginnt mit dem Mittelalter: mit einer Karte der damaligen Diözesangrenzen und Fotos des Baptisteriums in Riva San Vitale um 500, einem Reliquiar aus St-Maurice und der Statue Karls des Grossen in Müstair aus dem 11./12. Jahrhundert, gefolgt von einem Ausschnitt aus der Bilderdecke der Kirche von Zillis, der Kirche von Payerne und dem berühmten St. G aller Klosterplan
(14–17). Wichtig ist Kapitel 5 («Das Ende der Eidgenossenschaft »), das im Bild die Obrigkeit als Reformatorin, die theologischen Streitigkeiten, die Antwort der römischen Kurie (Konzil von Trient) und das schwierige Zusammenleben darstellt (68–88).
Die Moderne
Was die zwei letzten Jahrhunderte Schweizer Geschichte betrifft, werden Abbildungen mit kirchlichen und religiösen Motiven seltener. Zu nennen ist die nur kurzzeitige Rückkehr des St. G aller Abtes (1799; 131), die neue katholische Kirche in Zürich als Beleg für die Bevölkerungsdurchmischung (1843; 178) sowie Karikaturen aus der Kulturkampfzeit (178 f.). Im Bereich des 20. Jahrhunderts veröffentlichte Maissen nur noch zwei Fotos mit kirchlichen Anklängen: die Versammlung des jurassischen Verfassungsrats in der Kirche Saint-Marcel in Delsberg, wo die Kirche also nur noch das Dekor für eine staatlichen Anlass bietet (249), und die Trauung von japanischen Touristen auf dem Titlis mit einem frierenden jungen Geistlichen, was mehr folkloristisch als religiös daherkommt (277).
Schweizer Städtebilder
Ein anderer prachtvoller und gewichtiger Bildband, der soeben erschienen ist, verdient hier ebenfalls besondere Beachtung: Bernd Roeck u. a. (Hrsg.): Schweizer Städtebilder. Urbane Ikonographien (15.–20. Jahrhundert). (Chronos Verlag, Zürich 2013, 658 Seiten, grossformatig und reich illustriert). Das Buch behandelt Stadtdarstellungen vom Mittelalter bis ins «fotografische» Zeitalter. Es umfasst 68 Städte der Schweiz und des Fürstentums Liechtenstein mit dem Ziel, den grossen Bildbeständen neue Aufmerksamkeit zu schenken und zu einer differenzierten Beschäftigung mit historischen Wahrnehmungs- und Darstellungsweisen zu motivieren. Einleitungskapitel beschäftigen sich mit verschiedenen Themen (Genese und Theorie des neuzeitlichen Stadtbildes, Stadtansichten in Bilderchroniken und im 20./21 Jahrhundert usw.).
Religiös verwendete Städteansichten
Die Ursprünge von Stadtansichten liegen in der religiösen Verwendung: Bis gegen Ende des 15. Jahrhunderts dienen diese als Staffage für heilige Geschichten (z. B. Passionsgeschichte) oder als Kulisse historischer Ereignisse. Ein Beispiel dafür ist das vorreformatorische Gemälde von Hans Leu über Zürich, aus dem später die Darstellungen der Stadtheiligen Felix und Regula eliminiert wurden (152). Während die Heiligen mit der Reformation aus den Städteansichten der neugläubigen Städte verschwinden, bleiben sie bei den Altgläubigen präsent, sodass die konfessionelle Zugehörigkeit der Stadt sichtbar ist. Die Stadt aber war auch herrschaftlicher Raum, auch für die Kirche. Die Stadtikonografien aus der Frühneuzeit verdeutlichen sehr plastisch die Bedeutung und die Macht der Kirche, denn die Kirchen prägten das Stadtbild bis ins 19. Jahrhundert. Spätestens im 20. Jahrhundert bekommen die städtischen Kirchen Konkurrenz durch weltliche Repräsentationsbauten wie Universitäten, Gerichte usw. Im heutigen Stadtbild «verschwinden » häufig die Kirchen neben andern Gebäuden, v. a. in Grossstädten mit Wolkenkratzern.
Kirchliche Feste im Bild
In den Städten ist Religion bis heute sichtbar, aber verborgener und weit vielfältiger als früher. Dies verdeutlicht folgender Fotoband: Jens Oldenburg / Kathrin Ueltschi: Verborgene Feste. Wie religiöse Gemeinschaften in der Schweiz ihre Feste feiern. (rüffer & rub Sachbuchverlag, Zürich 2013, 252 Seiten, reich illustriert). Das Buch gibt Einblicke in zwölf Religionsgemeinschaften und deren Feste. Aus dem Bereich der römisch-katholischen Kirche wird das Fest des «Señor de los Milagros», des Herrn des Wunders, ein peruanischer Brauch, näher dargestellt und fotografisch abgebildet: am 28. Oktober 2012 bei und in der Kirche Peter und Paul in Zürich gefeiert, dank einer Prozession im Schneegestöber auch mit Aussenwirkung.
«Schweizer Mobiliar»
Unser Rundgang über Bilder mit religiösem Bezug sei mit einem Blick in ein Buch mit 25 «Ikonen des öffentlichen Raums» abgeschlossen (Paul Schneeberger [Hrsg.]: Schweizer Mobiliar. Ikonen des öffentlichen Raums. [Verlag Neue Zürcher Zeitung] Zürich 2010, 168 Seiten, ill.). Darin kommt mit der Schweizer Fahne nur ein Objekt vor, das eine religiöse Herkunft hat, aber dieser Ursprung wird nicht ausgewiesen – ein Hinweis darauf, dass Religiöses aus dem öffentlichen Raum verschwindet und ursprüngliche Bezüge einer breiteren Öffentlichkeit nicht mehr bewusst sind.