Wer an Rembrandt denkt, hat in der Regel wohl das Gewoge von braun-grau-gelbgoldenen Farben, akzentuiert von einem glühenden Rotton, im Zusammenspiel von Licht und Schattendunkel vor seinem geistigen Auge. Bei dem Licht Rembrandts aber, und das zeigt sich fast von Beginn seines Schaffens an, handelt es sich nicht um ein übliches bildimmanentes Beleuchtungslicht, sondern – vor allem in seinen Werken mit religiöser Thematik – um eine Offenbarung geistig-göttlicher Präsenz. Schon Georg Simmel (Rembrandt. Ein kunstphilosophischer Versuch) hatte erkannt, dass Rembrandts Licht «aus einer anderen Wurzel als der Weltwirklichkeit» kommt, dass es nicht von dieser Welt ist.
Christus ins Bild setzen
Dieses vergeistigte Licht verleiht aber seinen religiösen Bildern, gerade durch das Fehlen jeder Dramatik, eine Aussagekraft von höchster Dichte. So etwa in dem Emmaus-Bild von 1648 (Paris, Louvre): Vor einer hohen Wandnische, die dem Geschehen einen würdigen, sakralen Rahmen gibt, spielt sich im verklärten abendlichen Dämmerlicht ein Mysterium ab. Bei der sakramentalen Handlung des Brotbrechens und der Danksagung des an einem weiss gedeckten, an einen Altar erinnernden Tisch sitzenden Christus erkennen die Jünger plötzlich, wen sie da vor sich haben, von dessen Haupt ein stilles, sanftes Leuchten ausgeht.
In jenen Jahren kreiste Rembrandts künstlerisches Bemühen überhaupt um Gestalt und Antlitz Christi. Dies war ja immer, seit es christliche Kunst gab, deren vornehmste Aufgabe. Unbestrittener Höhepunkt ist Rembrandts Darstellung des lehrenden und heilenden Christus in der grossen Radierung von 1649, dem sogenannten «Hundertguldenblatt». Zu dem wiederum von einer seine Göttlichkeit kundgebenden Lichtaura verklärten Christus drängt die leidende Menschheit herzu, die Mühseligen und Beladenen, Alte und Kranke, aber auch junge Mütter mit ihren Kindern (nach Mt 19,14; Lk 18,16). Sie hoffen auf ihn, den Heilenden, den Heiland, dessen Worte ihre Herzen treffen und tief bewegen. Dieses grosse Seeleninnigkeit und rechte geistige Haltung vor Augen führende Blatt bietet nichts weniger als ein Bild des wahren Christentums und seiner schwierigen Stellung in der Welt. Einmal mehr ist van Goghs tiefe Einsicht zu bewundern, es sei «etwas vom Evangelium in Rembrandt». Ein Drittel seines gemalten Werkes (hinzukommen die zahlreichen Zeichnungen und Radierungen) hat Rembrandt religiösen Themen gewidmet, und stellte dabei dem eifrigen und unablässigen Leser der Bibel diese eine unerschöpfliche Inspirationsquelle dar, in welcher er die tausendfältige, helle wie dunkle Bezogenheit des Menschen auf Gott anschaulich geschildert fand. Dabei vertrat Rembrandt, in eine calvinistische Familie hineingeboren, ein überkonfessionelles Christentum, immer um den Kern der echten christlichen Botschaft in seinen Gestaltungen bemüht.
Ersehnter Seelenfrieden
In seinem letzten, unvollendeten Gemälde greift er wiederum das Thema des Lobpreises Simeons auf, an dem er sich in früheren Jahren bereits zweimal versucht hatte. Doch zu welch ungeheurer Verdichtung und Vergeistigung ist er hier vorgedrungen! Keine Tempelszenerie mehr, nur noch Simeon in weniger als Halbfigur, allein mit dem Kind auf seinen Armen. Er ist im Begriff, die prophetischen Worte zu sprechen: «Nun entlässt du, o Gebieter, deinen Knecht in Frieden, wie du es verheissen. Denn meine Augen haben dein Heil gesehen, das du bereitet hast vor dem Angesicht aller Völker, ein Licht zur Offenbarung für die Heidenvölker und zur Verklärung deines Volkes Israel». Hier spricht sich Rembrandts innerstes geistig-künstlerisches Anliegen aus: das Schauen des geistigen Lichts. Nie ist der innere Sinn dieses Themas künstlerisch tiefer begriffen worden. Der tröstliche Seelenfrieden, der in dem über beide Gestalten, Simeon und den göttlichen Knaben, geheimnisvoll rieselnden Licht aufscheint, war für Rembrandt selbst der ersehnte Frieden, den er, so möchte man hoffen, nach einem dramatischen Leben voller Höhen und Tiefen vielleicht doch noch erreicht hat.
Michael Ladwein