SKZ: Sie waren an die dreissig Jahre verantwortlicher Redaktor der SKZ. Dabei haben Sie wichtige Phasen der schweizerischen Kirchengeschichte an einem spannenden Ort miterlebt. Gerne würde ich deshalb zu einigen von ihnen meine Fragen stellen. Zunächst zum Start. Meines Wissens waren Sie der erste Nicht-Kleriker in diesem Amt. Nun hatte es in den 70er-Jahren noch ausreichend Priester. Wie kam es zur Anstellung? Und wie verlief die Amtsübergabe?
Rolf Weibel: Das mit dem ersten Nicht-Kleriker stimmt nicht. 100 Jahre früher, von 1855 bis 1880, besorgte der Jurist und Katholikenführer Theodor Scherer die Redaktionsarbeit. Sein Nachfolger war dann ein Kleriker, Hermann Kyburz, 1893 bis 1928 Pfarrer meiner Heimatpfarrei St. Klemenz Bettlach. Als Ende des 19. Jahrhunderts das Bistum Basel die SKZ zu seinem offiziellen Organ machte, legte es fest, dass die Theologische Fakultät Luzern die Redaktion zu stellen habe. Von da an waren Priester-Professoren im Amt. Mein direkter Vorgänger war der Kirchengeschichtler Johann Baptist Villiger. 1973 wurde die Stelle frei ausgeschrieben. Ich erhielt wohl den Vorzug, weil ich bereits journalistische Erfahrungen zum Beispiel als Berichterstatter von der Vollversammlung des Ökumenischen Rates 1968 in Uppsala vorwies. Der Übergang verlief eigenartig. Ich erhielt von Prof. Villiger weder Unterlagen noch Informationen zu Abmachungen. So war es ein völliger Neuanfang, bei dem auch der Zufall mitspielte. Seitens der Herausgeber gab es keine inhaltlichen Auflagen. Hilfreich war indes die Pastoralinstruktion «Communio et progressio» von 1971, die eine redaktionelle Offenheit unterstützte.
In den ersten Jahren erlebten Sie die Umsetzung der Ergebnisse der Synode 72 in den Deutschschweizer Bistümern. Wie viel Aufbruch geschah hier überhaupt?
Im ersten Jahr meiner Tätigkeit wurde die Synode 72 abgeschlossen. In den darauf folgenden Jahren war die Nacharbeit der Synodenergebnisse in den diözesanen Räten, den Kommissionen der Bischofskonferenz und einzelner Bistümer sowie den interkonfessionellen Kommissionen, den Verbänden und den Fachstellen ein Schwerpunkt des publizistischen Programms der SKZ: Berichte aus diesen Institutionen, Dokumente usw. Viele Berichterstattungen habe ich selber wahrgenommen, um die Entwicklung der Kirche in der Schweiz und des Schweizer Katholizismus in teilnehmender Beobachtung wahrnehmen zu können. Mit den Jahren erlahmte der Eifer, in vielen Institutionen fehlte es wohl auch an nachhaltiger Kreativität, so dass der Berichte und Dokumente weniger wurden. Die Frage nach dem Umfang des Aufbruchs ist schwer zu beantworten. Denn die kirchlichen Institutionen konzentrierten ihre Arbeit nicht auf die Synode. Sie führten ihre Projekte auch unabhängig vom Verlauf der Synode durch. So entwickelten sich namentlich die Kinder-, Jugend- und Frauenverbände von ihren eigenen Vorgaben her weiter.
In Ihre Zeit fällt auch eine verstärkte ökumenische Zusammenarbeit. Wie kam es dazu?
Zur 700-Jahr-Feier der Schweizerischen Eidgenossenschaft veröffentlichten das «Reformierte Forum» und die SKZ von Bettag 1990 bis Bettag 1991 wöchentlich den selben Beitrag aus der gemeinsamen Artikelreihe «CH'91 – Christentum Schweiz». Diese ging den verschiedenen Spuren des Christentums in der Schweizer Geschichte nach. Abschliessend wurde ein Sonderdruck der Reihe in Broschürenform veröffentlicht.
Eine grosse Zäsur in der Kirchengeschichte war dann 1978 die Wahl des ersten Nicht-Italieners seit Jahrhunderten als Papst Johannes Paul II. und das folgende lange Pontifikat. Wie beurteilen Sie im Rückblick diese Periode?
In Erinnerung bleiben Vorgänge, die mit ihren Widersprüchlichkeiten schwer zu erklären waren und sind. So stellte er sich in Polen öffentlich auf die Seite der Solidarnosk-Bewegung und unterstützte ihren Konfrontationskurs gegen die kommunistischen Machthaber. Andererseits kritisierte er die Befreiungstheologie und ihre Gesellschaftsanalyse, ohne ihr humanitäres Anliegen zu würdigen. Binnenkirchlich setzte er auf Konsolidierung. So kam in seinem Windschatten immer mehr fundamentalistisches Gedankengut auf. Die Endphase des Pontifikats war geprägt von seiner Krankheit. Ich verstand ihn als Mahnbild für unsere moderne Gesellschaft, in der Schwäche und Leiden kaum mehr Platz haben darf.
Ebenso einschneidend war für uns in der Schweiz 1988 die Ernennung von Wolfgang Haas zum Koadjutor für das Bistum Chur, ein Ereignis, das zu einer Spaltung und Entfremdung in diesem Bistum führte, die bis heute nachwirkt. Wie beurteilen Sie diesen Vorgang im Rückblick?
Die Gründe liegen sowohl bei den handelnden Personen wie bei der Geschichte des Bistums. Bischof Vonderach war ein konservativer und ängstlicher, aber auch cholerischer Mann, der in seinem Bistum gerne die Zügel anziehen wollte, aber die Kraft dazu nicht mehr hatte. So sah er in seinem Kanzler Wolfgang Haas die Retterfigur. Und Haas sah es als erstrebenswert an, Bischof zu werden. Als Person aber wirkte er dann schwächlich und konturarm und hat so provoziert. Das Bistum ist in drei Regionen geteilt: Graubünden, Zürich/Glarus und die Innerschweiz. Schon vor Haas gab es in der Innerschweiz einen Konflikt zwischen dem Bischof und der Bevölkerung. So stritten im Kanton Nidwalden von 1983 bis 1990 die Kirchgemeinden, die Katholische Landeskirche und der Kanton mit dem Bistum um die Besitzverhältnisse an kirchlichen Gütern. Nachdem Bischof Vonderach gegen einen Beschluss des Regierungsrates Beschwerde beim Bundesgericht eingereicht hatte, stimmte er aufgrund der geringen Aussicht auf Erfolg einer Vereinbarung zu. Historisch gesehen ist und war die Kritik aus Chur an den Kantonalkirchen nicht zutreffend: Sie sind eine urschweizerische Institution, seit dem späten Mittelalter im Rahmen unseres Genossenschaftswesens entstanden. In der Folge häuften sich die Konflikte mit dem Bistum Chur, was lange nachwirkte. In Zürich schlug 1990 der Entscheid von Bischof Haas, den weitherum beliebten Priester Gebhard Matt als Generalvikar und Vizeoffizial für Zürich zu entlassen, wie ein Blitz ein. So kamen auch Rachegelüste auf, für die Haas der perfekte Gegner war.
Rückblickend auf Ihre 30 Jahre: Kann man diese Zeit als eine Periode der Restauration und des aufkommenden Neokonservativismus bezeichnen? Oder sind wir da zu pessimistisch?
Epochenbezeichnungen sind heikel. In diesen 30 Jahren hat sich die Kirche als Institution wenig verändert. Es wurde und wird meines Erachtens zu wenig nach nötigen und möglichen verbindlichen Veränderungen (de lege ferenda) gefragt. Abweichendem Verhalten gegenüber Toleranz zu zeigen, ist für die Betroffenen erleichternd, aber langfristig keine Lösung. Grosse Mühe hat die Kirche namentlich mit der Selbstbestimmung des Individuums, obwohl die Sozialethik im Gefolge der Aufklärung hinreichend vorgearbeitet hat. Würde man mehr fragen, welches die «fundamentals» des christlichen Menschenbildes sind, wären auch Lösungen institutioneller Art zu finden. Auch sonst herrscht Immer noch Formalismus: Es wird gefragt, ob kirchliches Sprechen und Handeln den Vorgaben des Lehramts entsprechen, und nicht, ob sie den Menschen helfen, ihren Weg zu finden. Hoffnung macht mir die grosse Zahl an guten Theologinnen, durch sie verändert sich kirchliches Sprechen und Handeln.
Was sagen Sie zur wohl schlimmsten Krise unserer Kirche seit nun bald 20 Jahren, den nicht enden wollenden Berichten über sexuelle Übergriffe und Missbrauch durch Kleriker? Ist der Pflichtzölibat schuld oder geht es um mehr?
Das Grundproblem ist nicht der Zölibat, sondern die Tatsache, dass in Lehre und Praxis das Selbstbestimmungsrecht des und der Einzelnen nicht geachtet und damit der Kern der Person geringgeschätzt wird. Spiritueller und sexueller Missbrauch sind dann logische Folgen einer solchen Sicht. Eine gewisse Rolle mag der Zölibat gespielt haben bzw. spielen, insofern bei einem völligen Verzicht auf sexuelle Handlungen die Aufgabe, die Sexualität menschlich, kulturell zu gestalten, nicht in den Blick kommt. Denn wir Menschen sind nicht nur Natur. Erst die Gestaltung macht den Akt des Menschen (actus hominis) zu einem menschlichen Akt (actus humanus).
Was möchten Sie uns abschliessend noch sagen?
Als langjähriger Redaktor möchte ich alle, die aus den gedruckten Bänden der SKZ redaktionelle Absichten herauslesen, bitten, den Zufall nicht zu unterschätzen. So konnte die SKZ In den ersten Jahren ziemlich regelmässig Nekrologe verstorbener Priester und später auch verstorbener Laienmitarbeiter veröffentlichen. Es wurde dann aber immer schwieriger, von den zuständigen Dekanen genügend Unterstützung zu erhalten.
Interview: Heinz Angehrn