Erneuerungsprozesse und die Suche nach Wegen für die Zukunft kirchlichen Lebens sind in der Schweiz und an anderen Orten Inhalt von Diskussionen auf verschiedenen Ebenen. Im deutschsprachigen Teil des Bistums Sitten haben wir diesem Prozess einen Namen gegeben. Das walliserdeutsche Wort für Aufbrechen «üfbrächu» ist seit mehr als zwei Jahren Titel einer Initiative, die sich eine Erneuerung der Kirche im Oberwallis zum Ziel setzt. «üfbrächu» meint zuerst einmal ein Sich-Aufmachen. Wir wollen nicht stillstehen und warten, bis die Kirche in der Bedeutungslosigkeit versinkt. Die Kirche soll Gegenstand von öffentlichen Diskussionen werden. Dann bezeichnet der Begriff «üfbrächu» auch das Aufbrechen einer Knospe und das neue Leben der Natur, das jedes Jahr im Frühling sichtbar und erlebbar wird. Kirchliches Leben darf sich verändern, Veränderungen sind nicht in sich negativ, sondern stellen eine Chance dar, die sich immer wieder neu ergibt.
Mir fällt das Buch der Weisheit ein. Im dritten Teil dieses Buches wird die Offenbarungsgeschichte betrachtet, angefangen bei Adam bis hin zum Durchzug des Volkes Israel durch das Rote Meer. Immer wieder machen sich Menschen auf und stellen sich der Realität des Lebens. Am Schluss dieser Geschichtsbetrachtung folgt die Bestätigung dessen, was als Weisheit erkannt wird: «In allem hast du, Herr, dein Volk gross gemacht und verherrlicht; du hast es nicht unbeachtet gelassen, sondern bist ihm beigestanden zu jeder Zeit und an jedem Ort.» (Weish 19,22)
Diese Zusage Gottes gilt auch für unseren Aufbruch von heute. Ein Aufbruch kann nicht gemacht werden. Er ist Geschenk, Gabe. Es ist der Geist Gottes, der wirkt. Diesem Wirken wollen wir uns öffnen. Es kommt auf uns an, dass wir aktiv werden, aufstehen, aufbrechen, neue Schritte wagen. Wir haben den Auftrag, die Kirche aktiv mitzugestalten. Die Kirche erlebt Aufbruch durch alle Getauften, die sich mit ihrem Leben, mit Stärken und Schwächen einbringen. Sie bieten eine Chance für die Kirche. Diese Chance gilt es zu nutzen.
Aufbrechen meint nicht, sich davonzumachen, aus der Welt zu flüchten, sondern sich aufzumachen zu den Menschen mit ihrer Lebensrealität. Wo Christinnen und Christen den Menschen in ihrer Umgebung nahe sind, eröffnen sich Perspektiven auf Gott hin. Wo das gelingt, gilt das Psalmwort: «Du hast mein Klagen in Tanzen verwandelt!» (Ps 30,12)
Richard Lehner