«Ich glaube nicht an Gott, weil es ihn nicht gibt und weil es mir nicht gefällt, dass ein anderer alles lenkt und weil zum Beispiel die Schöpfungsgeschichte in der Bibel wissenschaftlich widerlegt ist. Ausserdem bin ich der Meinung, dass alles, was in der Bibel steht und was über Gott gesagt wird, nur dem Zweck dient, die Welt besser zu sehen und nicht so, wie sie ist. Zusätzlich passieren jeden Tag viele, viele Unglücke oder zum Beispiel herrscht in manchen Ländern Krieg und was für ein Gott würde so etwas nicht verhindern. Fazit: Ich bin der Meinung, es gibt keinen Gott, bis mir bewiesen wird, dass es ihn gibt.» (Schüler, 9. Klasse)
Die Aussage entstand im Religionsunterricht. Sie ist ein repräsentatives Beispiel für die Zweifel eines Jugendlichen in Bezug auf den Glauben an Gott.
Glaube in Bewegung
Um ihre Ansichten und Fragen besser kennenzulernen, habe ich insgesamt 65 Jugendliche jeweils einer achten, neunten und zehnten Klasse gebeten, über ihre Gottesvorstellungen und die Gründe ihres (Un)glaubens an Gott zu schreiben – anonym und ehrlich.
Jugendliche, so konnte ich erleben, sind zumeist gern bereit, sich über ihren (Un)glauben zu äussern. Ihre Antworten zeugen von der Vielgestaltigkeit ihrer Gottesbilder. Die 14- bis 17-jährigen Jugendlichen formulieren gleichermassen personale wie symbolische Vorstellungen von Gott. Viele Texte zeigen zudem ambivalente und inkonsistente Gottesbilder. Sie verdeutlichen, dass sich Glaube im Jugendalter in Bewegung befindet. «Die Frage, ob ich an Gott glaube, ist für mich sehr schwierig zu beantworten. Einerseits glaube ich sehr wohl an Gott und gehe auf eine christliche Schule. Andererseits frage ich mich auch oft, ob es Gott wirklich gibt und ob man an etwas glauben sollte, was nicht bewiesen, sondern in der Bibel nur aufgeschrieben ist […] Ich denke, ich brauche noch Zeit und weitere Erfahrungen in meinem Leben, um mir sicher zu werden und das alles besser beurteilen zu können.» (Schüler, 8. Klasse)
Zweifel zur Sprache bringen
Besonders relevant scheinen mir die Zweifel, Fragen und Einwände der Jugendlichen. Wie das Eingangszitat zeigt, stellen sie eine grosse Herausforderung dar und bedeuten für manchen auch den (zumindest vorläufigen) Abbruch des Glaubens an Gott oder verhindern ihn von vornherein.
Die Analyse der Schülertexte zeigt vier Themenbereiche, die die Jugendlichen in besonderem Masse beschäftigen. Die Reihenfolge in der Häufigkeit ihrer Nennung:
- Wie kann Gott Leid zulassen? – das Theodizeeproblem.
- Ist Gott nicht ein blosses Wunschwesen? – der Illusionsverdacht.
- Lässt sich Gott etwa beweisen? – der Konflikt zwischen Glauben und (Natur-)Wissenschaft.
- Ist die Bibel nicht voller Widersprüche? – das Schriftverständnis.
Der Religionsunterricht stellt für Jugendliche eine grosse Chance dar, wenn er Gelegenheit bietet, regelmässig über ihre Fragen und Zweifel zu schreiben und/oder diese in einen Gesprächsprozess auf Augenhöhe einbringen zu können. Das zugrunde liegende didaktische Konzept des «Theologisierens mit Jugendlichen» versteht diese Aussagen als Grundlage des Unterrichts; die genannten Zweifel benennen relevante Themen. Der Lehrende versteht sich einerseits als Diskussionsleiter, der die Jugendlichen miteinander ins Gespräch bringt, und andererseits als Diskussionspartner, der relevante Antworten vorstellt, die es dann gemeinsam zu diskutieren gilt.
Es scheint mir ein lohnenswertes Ziel, das Interesse gerade Jugendlicher an der Frage nach Gott wachzuhalten, das Nachdenken offen zu halten, Zweifel formulieren zu lernen, sie als Herausforderung anzunehmen und im besten Falle die Gottesvorstellungen junger Menschen gerade so zu erweitern.
Judith Krasselt-Maier