Himmlische Heerscharen

Peter Camenzind, Generalvikar der Bistumsregion Urschweiz, staunt Jahr über Jahr um das Wunder von Weihnachten und die Begeisterung, welche die Eucharistie entfachen kann.

Engel begegnen uns in den Evangelien der Geburt Jesu vor allem als Boten Gottes. Aber auf den Feldern Bethlehems erscheint plötzlich dieses grosse himmlische Heer, das den Lobgesang Gottes anstimmt: «Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen seiner Gnade»  (Lk 2,13f).

Die grossen Scharen der mächtigen Himmelsgeister, aber auch die der kleinen Putten, gehören für mich seit meiner Kindheit zu Weihnachten, und die Erinnerungen an das Christkind und die Krippe, den Christbaum und die Geschenke wie auch an die erwartungsvolle Vorbereitung auf das Fest fühlen sich so an, als ob ich ahnte, was den Hirten in Bethlehem widerfahren war.

In den Schriften des Alten Testamentes wird der Herr häufig als der Gott der himmlischen Heerscharen angebetet. JHWH Sabaoth – Deus Sabaoth – Herr Gott Sabaoth. Im Latein der Liturgie und auch in deutschen Fassungen des Sanctus oder des Tedeum blieb das hebräische Wort meistens unübersetzt erhalten. Wenn doch, wurde es mit omnipotens, allmächtig übersetzt. In beiden Fällen erahnen wir hinter diesen Worten nicht auf den ersten Blick die himmlischen Heerscharen, die bei Gott sind und ihm dienen.

In der Eucharistiefeier treten wir zu diesen Himmelsheeren und stimmen mit ihnen ein in den Jubel über Gott und seine unfassbar gute Macht der Liebe. Wenn wir uns bereit machen für das Wunder der Wandlung, singen wir mit den himmlischen Mächten und Gewalten, Cherubim und Seraphim «Heilig, heilig, heilig, Herr Gott der Heere».

Ich kann mich noch an den Moment in den Exerzitien in San Pastore erinnern, als mir aufging, dass wir uns in jeder Feier der heiligen Messe im Kreis der Himmlischen befinden. Ein Staunen, das mir damals fast den Atem raubte, und das mich seither nicht immer, aber doch immer wieder beim Feiern der Eucharistie packt.

Die Erfahrung Jesajas, der den Herrn auf dem Thron erblickt und den Saum seines Gewandes, der den Tempel ausfüllt, und die sechsflügligen Seraphim, die das Dreimalheilig anstimmen (Jes 6,1ff), diese Erfahrung wird uns selbst zuteil. Und mag das Sanctus noch so gebrechlich tönen in unseren Gottesdiensten, so ist es doch Teil der himmlischen Musik. Die Herrlichkeit Gottes kommt auf die Erde wie in der Jesajasvision, aber im Unterschied zur Erfahrung des Propheten werden wir zugleich in den Himmel aufgenommen. Deshalb wird der seraphische Gesang dieser Vision, in der nur die Erde erwähnt wird, seit der frühesten Zeit in der christlichen Feier ergänzt mit «Himmel und Erde sind erfüllt von deiner Herrlichkeit». Bemerkenswert, dass wir im Unterschied zum Bibeltext auch Gott direkt ansprechen, ihm, dem grossen DU zujauchzen dürfen.

Und so ist mir auch Weihnachten oft nah in der Feier der Eucharistie. Der Gesang der himmlischen Scharen in Bethlehem wurde in der christlichen Frühzeit weitergedichtet zum Gloria der Liturgie und so komme ich mir ein wenig vor wie die Hirten, die sich mit diesem Lied auf den Weg machen, um das Kind zu finden, und den lebendigen Glauben an Ihn, den Retter und König, neu zu entdecken.

Peter Camenzind


Peter Camenzind

Peter Camenzind (Jg. 1961) studierte Philosophie und Theologie in Chur, Rom und Innsbruck. 1987 wurde er zum Priester geweiht, wirkte 1989 bis 1993 als Vikar in Wädenswil ZH und wechselte daraufhin nach Bürglen UR, wo er zehn Jahre Pfarrer war. Von 2004 bis 2018 war er Pfarrer in Wädenswil und ab 2015 auch Dekan des Dekanats Albis ZH. Ab 2018 stand er als Seelsorger der Pfarrei St. Martin in Schwyz vor und übernahm die Pfarradministraturen von Ibach und Seewen SZ. 2021 ernannte Bischof Joseph Maria Bonnemain Camenzind für die Bistumsregion Urschweiz zum Generalvikar.
(Bild: Donato Fisch)