Zur Ausgabe «Professionalität in der Kirche» (14/2021)
In den Jahren, in denen ich als Pastoralassistent in der Kirche oder als Altersseelsorger in einem Altenheim arbeitete, habe ich es immer sehr geschätzt, dass ich als kirchlicher Mitarbeiter mit moderater Professionalität wirken durfte, in der Gesprächsführung, im Unterricht, in der Verkündigung mit ihrer Rhetorik, in der Erwachsenenbildung usw. Denn das Entscheidende und Zentrale im Glauben ist die Person. Das heisst für mich überhaupt nicht, dass eine gewisse Professionalität nicht wichtig wäre. Dietrich Bonhoeffer, der aus dem Bildungsbürgertum stammte (das er zu schätzen wusste) und in der Ausbildung der Prediger tätig war, war die Bedeutung von guter fachlicher Bildung sehr bewusst, aber er sagte: «Die Gemeinde braucht nicht glänzende Persönlichkeiten, sondern Diener Jesu und der Brüder.»1 Etwas Analoges gilt eigentlich auch für die Schule: Der Psychologe Allan Guggenbühl kritisiert den Lehrplan 21 dahingehend, dass in ihm vergessen ginge, dass die Lehrperson schlicht als Mensch in der Beziehung zu den Kindern erwiesenermassen das Wichtigste für die schulischen Prozesse sei.
Diese Feststellung Bonhoeffers widerspricht der vorherrschenden Sichtweisen, die in der letzten Ausgabe vorgetragen wurden. Wenn Daniel Kosch sich in seinem mich grundsätzlich ansprechenden Artikel darauf bezieht, dass die Gnade die Natur voraussetze, bedeutet das bei ihm, dass die Gnade zur Natur hinzukommt, was etwas anderes ist. Denn in Punkt 10 sagt er: «Zudem muss die Kirche immer mit Gott und folglich mit dem Unverfügbaren und Überraschenden rechnen.» Ist Gottes Wirken aber nicht das Erste, mit dem wir zu rechnen haben, auch wenn wir es nicht berechnen können? Geht die Gnade nicht unserem Wirken voraus? Ich meine, das ist ein nicht unbedeutender Punkt (vgl. die Ausgabe SKZ 10/2021, «Gemeinsame geistliche Entscheidungsfindung»).
In der Professionalitätsmentalität wird dann Spiritualität zu einem spirituellen Konzept, von dem Guido Estermann spricht. Kann man in der existenziellen Beziehung zu Gott ein Konzept haben oder wird in so etwas Gott und sein Geist nicht zu einem Instrument, das wir handhaben?
Erschüttert hat mich, dass man von Professionalitätsdenken her Mentalitäten auf das kirchliche Tun bezieht, die mit dem Glauben überhaupt nicht übereinstimmen. Was soll Freiwilligenarbeit in der Kirche, wenn es zuerst um Selbstverwirklichung geht, wie Christoph Gellner und Dorothee Foitzik schreiben? Geht es im Glauben um Selbstverwirklichung von mir her oder glaube ich, dass ich zu meiner Vollendung komme, indem ich mich aus dem Glauben heraus dort engagiere, wo Not an der Frau resp. am Mann ist? Auch das ist in meiner Sicht nichts Nebensächliches.
Und geradezu den Kopf schütteln muss ich, wenn ich lese, dass die Kirche eine Organisation im Dienstleistungssektor sei, wie Brigitte Fischer Züger schreibt. Hat Jesus nicht Menschen in seine Nachfolge gerufen und ihnen in diesem gläubigen, existenziellen Lebensvollzug das Heil verheissen? Im Mittelalter konnte man das Heil mit käuflichen Ablässen erkaufen, heute kann man es anscheinend auf dem Markt der Dienstleistungen erwerben.
Wendelin Fleischli, Wassen UR