«Ich lebe noch.» Mit diesen Worten meldete sich Hans Halter am Telefon, drei Jahre vor seiner Emeritierung als Professor für Theologische Ethik mit Schwerpunkt Sozialethik an der Theologischen Fakultät der Universität Luzern. Er war in den Ferien ins Rote Meer hinausgeschwommen und es gelang ihm nicht mehr, gegen die Strömung zurück zum Ufer zu kommen. Er legte sich auf den Rücken und erwartete sein Ende. Ohnmächtig wurde er doch noch entdeckt und reanimiert. Aus dem Hotelzimmer rief er bei uns am Institut für Sozialethik in Luzern an. Er freute sich sehr, noch da zu sein, lebte er doch seit seiner Kindheit mit einer schweren Lungenkrankheit, die ihn zeitlebens stark einschränkte. Trotzdem bereiste er die ganze Welt, war z. B. im August 1968 in Prag, als die Panzer in die Stadt rollten. Aus solchen Erfahrungen erwuchs seine lebens- und erfahrungsnahe Prämisse: «Wir können auf dieser Erde nicht im Paradies leben.»
Nun hat sich sein Lebenskreis geschlossen. Hans Halter ist im Alter von 84 Jahren in seinem geliebten Sarnen gestorben. Kürzlich noch war ich bei ihm, da zeigte er mir stolz das «Kollegi», an dem er viele Jahre bis zu seiner Matura verbracht hatte, bevor er zum Studium nach Chur, anschliessend als Vikar nach Zürich Oerlikon und dann zum Promotionsstudium nach Bonn – zu seinen Lehrern Franz Böckle und Heinrich Schlier – gegangen war. Eigentlich wollte er – in einfachen Verhältnissen in Giswil aufgewachsen – Seelsorger und Exeget werden. Beides hat er indirekt verwirklicht: Zeitlebens war er als Priester ein treuer und unermüdlicher Begleiter anderer Menschen, ein Leben lang war er ein biblisch verwurzelter Mensch und Denker.
Sein Lieblingstheologe war Paulus. Der Zeltmacher aus Tarsus war auch die einzige theologische Autorität, die er anerkannte. Namen galten bei ihm nicht, nur Argumente. Diese Eigenart, kombiniert mit Charakterzügen wie Unbestechlichkeit, Nüchternheit, Beständigkeit, Grosszügigkeit, Freiheitsliebe und auch sein Schalk machten Hans Halter zu einem geschätzten Lehrer, Berater und Freund. Nicht selten ist er mit diesen Eigenschaften als katholischer Moraltheologe angeeckt. Als er 1990 von der Glaubenskongregation aufgefordert wurde, einige seiner Ansichten – wie er sie auch regelmässig in dieser Schweizerischen Kirchenzeitung veröffentlicht hat – zu widerrufen, liess er über den kirchlichen Dienstweg antworten, er wolle seine Überzeugungen nicht seiner akademischen Karriere opfern. De facto verfügte er nie über ein Nihil obstat aus Rom, ein Churer Bischof hatte es übersehen, der Basler Bischof Otto Wüst war klug genug, das Prozedere auszusitzen. Hans Halters autobiografische Notizen1 lesen sich teilweise wie ein Krimi. Er war unbestechlich, die autoritäre Kritik hatte ihn allerdings auch sehr verletzt.
Sein theologisches Werk2 und sein Leben als gläubiger Christ gehörten unmittelbar zusammen. Mein Lieblingszitat aus seinen Schriften lautet: «Nicht nur prägt die Gottesvorstellung die Auffassung vom Menschen und von Moral mit, es ist umgekehrt auch so, dass die vorgegebene Auffassung vom Menschen und seiner Moral die Gottesvorstellung mitbestimmt. Wir befinden uns dauernd in einem unausweichlichen Zirkel von der Moral zum Gottesglauben und vom Gottesglauben zur Moral.»3
Markus Zimmermann