Ein Handbuch zur Interreligiösen Seelsorge gibt manche Denkanstösse
Helmut Weiss, Karl Federschmidt, Klaus Temme (Hg.): Handbuch Interreligiöse Seelsorge. Neukirchener Verlagsgesellschaft, Neukirchen-Vluyn 2010. 428 Seiten, Fr. 45.90.
Interreligiöse Fragen werden immer wichtiger. Dazu gehört auch die Seelsorge für Angehörige anderer Religionen. Ein Handbuch informiert über unterschiedliche Perspektiven und seelsorgerlich relevante Eigenheiten der Religionen.
Adrian M. Berger – «Doch wie steht es um die ‹Interreligiöse Seelsorge›? […] Ist sie in Spitälern, Gefängnissen, Asylantenheimen, also überall da, wo die Kirchen Seelsorge anbieten, bereits fester Bestandteil der Arbeit? Wie steht es um interreligiöse Seelsorge auf der Ebene der Kirchgemeinden? » Diese Fragen stellt die Autorin Karin Ritter in ihrem Beitrag des anzuzeigenden Handbuches. Neben den verschiedenen Einrichtungen, die den interreligiösen Dialog pflegen und fördern (Schweizerischer Rat der Religionen, Arbeitskreise, runde Tische, Haus der Religionen – Dialog der Kulturen), ist es vor allem die Seelsorge in den Vollzugsanstalten der Justiz, in Spitälern, Heimen, psychiatrischen Kliniken sowie das Seelsorgeangebot für Flüchtlinge und Asylanten, die interreligiös und interkulturell arbeiten. Aber auch die Aidsseelsorge, Notfallseelsorge, Internetseelsorge oder die Telefonseelsorge sind hier zu nennen.
Mehr gemischte Paare
Die meisten Seelsorgenden sind von den Kirchen beauftragt und bezahlt. Nichtchristliche Seelsorgende arbeiten etwa in Gefängnissen (zum Beispiel Imame in der Zürcher Strafanstalt Pöschwies) oder in der Beratung von Migrantinnen und Migranten. Da die Zahl der religiös gemischten Paare in der Schweiz mit ihrem vergleichsweise hohen Ausländeranteil gemäss den Prognosen zunehmen wird, ist damit zu rechnen, dass interreligiöse Fragen weiter an Bedeutung gewinnen, nicht nur anlässlich von Kasualgottesdiensten. Im ersten Teil dieses gattungsgemäss heterogenen Handbuches, das manchen Denkanstoss gibt, wird das Verhältnis der Religionen aus der Perspektive von je einem Vertreter des Islams, des Judentums und des Christentums beleuchtet, wobei im letztgenannten Beitrag Christian Danz die Religion «als eine vollzugsgebundene, situationsbezogene Deutung der Wirklichkeit» definiert – eine rein funktionale Definition, die die Religion in problematischer Weise auf Kontingenzbewältigung restringiert.
Voraussetzung eigene Standorte
Ein lesenswerter Aufsatz findet sich im zweiten Teil, «Grundlagen und Bezugspunkte interreligiöser Seelsorge». Helmut Weiss, der selber in verschiedenen Institutionen als Seelsorger tätig war, skizziert einige Eckpunkte und Grundlagen der interreligiösen Seelsorge. Der Dialog zwischen den Religionen setze eigene klare Standorte voraus und benötige eigene religiöse Positionierungen; denn nur so könne deutlich werden, was den Beteiligten am Dialog am Herzen liege. Grundlegend für das Gelingen des Dialogs, der Begegnung seien die Wertschätzung von religiösen Gewissheiten, die faire Gesinnung gegenüber einem Andersgläubigen sowie die Bereitschaft, einem Menschen zuzuhören – diese für die Seelsorge ebenso selbstverständlichen wie basalen Grundsätze gelten auch für den kollektiven Dialog zwischen Religionen und Kulturen. Der Autor nennt seelsorglich relevante Eigenheiten in den verschiedenen Religionen. So weist er auf das Konzept der Erlösung im Hinduismus hin, das auf Pflichterfüllung in der Familie, der Gesellschaft und der Natur gegenüber beruhe. Im Buddhismus sei das empathische Mitleiden von zentraler Bedeutung, aber auch das Erkennen der Vergänglichkeit. Im Judentum werde als Ziel der Seelsorge an kranken Menschen das Bleiben in der Gemeinschaft mit Gott und den Menschen betont, aber auch die Suche nach dem verantwortlichen, den ethischen Normen entsprechenden Handeln. Wichtige Elemente der Beratung oder Seelsorge im Islam sind die Koranbelehrung (Weisung zum rechten Weg), Beispielgeschichten aus dem Leben des Propheten, Gebete und die Nennung des Namens Allahs. Ob man dem Autor in seiner These folgen mag, dass in einer multireligiösen Welt eine interreligiöse Seelsorge zu entwickeln unumgänglich sei, hängt davon ab, woher die Beauftragung zur Seelsorge kommt, von der Institution oder der Kirche, und ob man die Seelsorge als spezifischen Dienst der Kirche an ihren Gliedern versteht.
Eigene Grenzen
Auch wenn die kirchliche Beauftragung stark betont wird, so bieten Pfarrerinnen und Pfarrer in Gefängnissen, Kliniken, Spitälern und Heimen den Menschen, die sie besuchen oder zu denen sie gerufen werden, Gespräche an, in denen es um die Bedürfnisse und Anliegen des Gegenübers geht. Eine hohe Sensibilität für die Fremdheit der anderen Kultur und/oder Religion, aber auch für die eigenen Grenzen und für inhaltliche Differenzen sowie eine Wissenskompetenz werden dabei vorausgesetzt. Der Andersglaubende soll primär in seiner Würde als Mensch wahrgenommen werden. Ist jemand in Not und braucht dringend Hilfe, so geht es in aller Regel um elementar Menschliches. Religiöse oder kulturelle Differenzen treten dann in den Hintergrund. Hingegen ist eine andere Barriere im Seelsorgealltag oft hinderlich und manchmal schwer zu überwinden: die sprachliche Verständigung.