Die Geschichte der bald zweihundertjährigen «Schweizerischen Kirchenzeitung» (SKZ) ist noch nicht geschrieben. Dabei ist sie für die Schweizer Kirchengeschichte ab 1832 eine Quelle ersten Ranges.
Jubiläen, personelle Veränderungen in der Redaktion und Verlagswechsel gaben 1848, 1890, 1900, 1967/1968, 1983, 2004 und 2007 die Gelegenheit, die Geschichte der SKZ durch Direktbeteiligte kurz darzustellen. Der bevorstehende Wechsel von Verlag, Redaktion und Konzept wird beim Übergang zur «neuen» SKZ ab Anfang 2018 erneut zum Anlass, in drei Teilen eine Übersicht über die Entwicklungen seit 1832 zu geben. Vorliegender Teil beschäftigt sich mit Gründung und Entwicklung der SKZ im 19. Jahrhundert.
Am 30. Juni 1832 kündigte ein Katholischer Verein an, dass zukünftig wöchentlich die «Schweizerische Kirchenzeitung» erscheine. Ihr Zweck: «Einerseits durch Belehrung und Erbauung den christlichen Sinn im Volke zu wecken und zu beleben, andererseits die Rechte der Religion und Kirche gegen offene und versteckte Angriffe zu wahren, Entstellungen in Betreff religiöser Gegenstände zu berichtigen, Verdächtigungen kirchlicher Personen zurückzuweisen.» Dies soll durch «kirchenhistorische Nachrichten», durch «pädagogische Mittheilungen» und durch «Apologie» geschehen. Der erwähnte Katholische Verein wurde 1831 von Luzerner Geistlichen aus dem Umfeld der Luzerner Lehranstalten ins Leben gerufen. Er fand seine Mitglieder im Deutschschweizer Klerus, aber auch bei weltlichen Repräsentanten des katholisch-konservativen Spektrums wie etwa Joseph Leu, inspiriert durch den Gebetsverein des 1832 verstorbenen Niklaus Wolf von Rippertschwand.
Liberal gegen konservativ
Die Verfassungsrevisionen von 1830/1831 führten in den meisten Schweizer Kantonen zu einem Umbruch, der die Presse-, Handels- und Gewerbefreiheit brachte und längerfristig auch zur Säkularisierung des Volksschulwesens führte. Gleichzeitig setzten Bestrebungen zu einer Revision des Bundesvertrags ein. 1832 gründeten die regenerierten Kantone Luzern, Zürich, Bern, Solothurn, St. Gallen, Aargau und Thurgau das liberale Siebnerkonkordat, worauf sich die Kantone Uri, Schwyz, Nidwalden, Obwalden, Neuenburg und Basel im konservativen Sarnerbund zusammenschlossen. Die Bundesrevision misslang, und das politische und kirchliche Klima verschärfte sich.
Dass die SKZ ab 1832 im Verlag Räber in Luzern überhaupt erscheinen konnte, war den eingangs genannten Neuerungen zu verdanken.1 Die neuen Freiheiten wurden aber von Konservativen als Gefahr empfunden, die sie mit modernen Mitteln zu bekämpfen versuchten. Die SKZ spielte dabei im liberalen Kanton Luzern eine herausragende Rolle, wie Heidi Bosshard-Borner in ihrer Luzerner Geschichte des 19. Jahrhunderts mit dem bezeichnenden Titel «Im Spannungsfeld von Politik und Religion» prägnant aufzeigt. Da die SKZ eine vollständige, mit Akten belegte Chronologie der «Kirchenverfolgung» in den liberalen Kantonen bot und sich gegen die Tätigkeit nichtkatholischer Lehrer aussprach, waren schwere Konflikte vorprogrammiert. Die SKZ lieferte 1834 auch die publizistische Basis gegen die staatskirchlich ausgerichteten Badener Artikel. Sie wies darauf hin, dass dieser Ausfluss der liberalen Regierungen auf eine Abspaltung des schweizerischen Katholizismus vom Papsttum hinauslaufe und auf ein «neues Heidentum» abziele.
Hausdurchsuchung und Ausweisung
1834/1835 wurden SKZ-Redaktor Melchior Schlumpf und die Gebrüder Räber, die seit 1833 auch die «Luzerner Zeitung» herausgaben, unter dem Stichwort einer klerikalen Verschwörung gegen die bestehende Staatsordnung vorübergehend kaltgestellt, Hausdurchsuchungen durchgeführt und Schlumpf schliesslich aus dem Kanton Luzern ausgewiesen. Kaplan Maximilian Zürcher führte die SKZ-Redaktion bis 1847 weiter, nach 1841 mit dem konservativen Regierungsumschwung nun in etwas ruhigeren Gewässern. Aber auch zukünftig wurde jedem kirchlichen oder politischen Detailentscheid in der Schweiz auch durch die SKZ geradezu eine heilsgeschichtliche Dimension beigemessen – und von den liberalen Gegnern ebenso, einfach mit umgekehrten Vorzeichen.2 Das Ende des Sonderbundkrieges 1847 bedeutete für die SKZ in Luzern das Aus.
Von Luzern nach Solothurn
Ein Jahr später konnte die SKZ wieder erscheinen, nun jedoch nicht mehr im liberalen Luzern, sondern im schon länger freisinnig dominierten Solothurn. Herausgeberin war die Stadtsolothurner Buchhandlung Scherer, während der geistliche Stadtbibliothekar Peter Joseph Hänggi unter Mithilfe des späteren Basler Bischofs Friedrich Fiala und des Biberister Pfarrers Johann Eusebius Pfluger die redaktionelle Verantwortung trug. Die bisherige Ausrichtung der SKZ wurde beibehalten, aber in einem moderateren Ton nach der Devise: «In necessariis unitas, in dubiis libertas, in omnibus caritas – im Notwendigen Einheit, in Zweifelsfällen Freiheit, in allem aber die Liebe»3.
Theodor Scherer-Boccard
Der 1854 erfolgte Rücktritt des schon bejahrten Redaktors führte wiederum fast zur Einstellung der SKZ, da nur mit Not ein neuer Redaktor gefunden werden konnte. Auf Drängen des neuen Basler Bischofs Karl Arnold-Obrist und des damaligen Geschäftsträgers der Päpstlichen Nuntiatur, Giuseppe Maria Bovieri, übernahm der Stadtsolothurner Theodor Scherer-Boccard die Redaktion. Während er als Laie für die vorwiegend für Geistliche herausgegebene Kirchenzeitung bis 1872 bzw. 1881 die Verantwortung trug, wurde die politisch ausgerichtete Zeitung für die Katholisch- Konservativen im Kanton Solothurn von einem Geistlichen redigiert, was Scherer selbst als paradox empfand. Scherer, Gründer und erster Präsident des Piusvereins und der Inländischen Mission, setzte für die Herausgabe der SKZ auch private Mittel ein und übernahm das wirtschaftliche Risiko, da die beschränkte Anzahl Abonnenten keine genügende wirtschaftliche Basis bot. Die prekäre finanzielle Situation der SKZ war nach dem Rücktritt Scherers bis 1899 Grund dafür, dass die insgesamt sieben Redaktoren, die als Hauptberuf ein Pfarramt ausübten, ihr Amt weit weniger lang ausübten als ihr Vorgänger und die Verlage auch relativ häufig wechselten.
Amtsblatt der Diözese Basel
Der Basler Bischof Leonhard Haas veröffentlichte ab 1890 in der SKZ seine amtlichen Mitteilungen und schrieb den Pfarrämtern des Bistums Basel den Bezug der SKZ vor mit dem Ziel, damit die SKZ finanziell besser abzusichern. Die SKZ erhielt dadurch einen offiziösen Anstrich und hatte etwas grössere Einnahmen als vorher; Herausgeber der SKZ blieb aber weiterhin bis 1899 ein privater Kreis von Klerikern des Bistums Basel.4
Heinz Nauer verdeutlicht in seiner soeben erschienenen Arbeit über den Einsiedler Verlag Benziger, dass die Jahre nach 1830 von einem eigentlichen katholischen Aufbruch gekennzeichnet waren, der nicht nur auf Ultramontanismus und Abwehr alles Neuen reduziert werden kann. Das erforderte eine differenziertere Sicht und eine bessere Erforschung dieses langen Jahrhunderts.5 In diese Aufbruchsbewegung ist auch die SKZ einzureihen, die im 19. Jahrhundert zu einer gewichtigen Stimme in der römisch-katholischen Kirche in der Schweiz und darüber hinaus geworden ist.