Jugend und Nonkonformismus galten lange geradezu als Synonyme; die Jugendforschung brachte dieses Bild jedoch ins Wanken. Auch die kirch- liche Jugendarbeit zog ihre Attraktivität ursprünglich aus dem Anspruch, Gegenwelten zum Sinn- und Verhaltenskodex der etablierten Gemeindewirklichkeit zu bieten. Die 3. Freiburger Jugendpastoraltagung 2012 ging unter dem Motto "Gegenwelten" der Frage nach, ob und inwiefern der Anspruch, Gegenwelt zu sein, kirchlicher Jugendarbeit als heilsam provokante Zeitansage ein heute gefragtes Profil geben könnte. Der folgende Beitrag antwortete in diesem Rahmen auf die Frage: Welche Rolle hat die Utopie eines besseren Lebens, eines besseren Zusammenlebens in der katholischen Jugendarbeit, in Verbänden und Vereinen, in Bewegungen und Pfarreien im 20. Jahrhundert gespielt?
1. Der Schweizer Katholizismus
Im 1848 gegründeten Bundesstaat waren die Katholiken – die Stimme der Katholikinnen zählte damals noch nicht – in der Minderheit. Im Gegensatz zum mehrheitlich liberalen Bundesstaat bildeten die konservativen Katholiken in den ländlichen Kantonen der Innerschweiz, in Appenzell Innerrhoden, im Wallis und im Kanton Freiburg die Mehrheit; im Kanton Tessin waren sie in einen langwierigen Machtkampf mit den Liberalen verwickelt. Die Benachteiligungen dieser Minderheitssituation begannen die Katholiken mit den Mitteln des liberalen Staates zu überwinden: mit politischen Vorstössen und mit der Gründung von Zeitungen, Vereinen und Parteien. In vielen Pfarreien wurden Männervereine, Frauenvereine, aber auch Gesellenvereine, Jünglingsvereine und andere gegründet. Nach dem Kulturkampf erlebte dieses katholische Vereinswesen einen richtigen Aufschwung. Anderseits beförderte die politische Entwicklung die Integration der konservativen Katholiken in den liberalen Bundesstaat. 1891 wurde mit dem Entlebucher Josef Zemp der erste katholisch-konservative Bundesrat gewählt. Gleichzeitig entstand zunächst in den industrialisierten Diasporakantonen die christlichsoziale Bewegung, in der sich Katholiken politisch und gewerkschaftlich organisieren konnten.
Kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs war der Aufbau des katholischen Partei- und Vereinswesens im Wesentlichen abgeschlossen. 1904 schlossen sich die Männervereine im Schweizerischen Katholischen Volksverein (SKVV) auf nationaler Ebene zusammen, 1912 schlossen sich die Frauenvereine im Schweizerischen Katholischen Frauenbund (SKF) zusammen, und im gleichen Jahr wurde auch die Schweizerische Konservative Volkspartei (SKVP) gegründet. Nach dem Ersten Weltkrieg konnten die konservativen Katholiken, auch als Erfolg ihrer politischen Arbeit, einen zweiten Bundesratssitz erringen, und die Vereine konnten ihre Aufbauarbeit verfeinern und auch zur Darstellung bringen. Im Gefolge des Landesstreiks von 1918 verliessen die katholischen Arbeiterverbände den allgemeinen Arbeiterbund und gründeten 1919 den Christlichsozialen Arbeiterbund.
Wenn wir mit dem Historiker Eric Hobsbawn das 20. Jahrhundert mit dem Ersten Weltkrieg bzw. seinem Ende beginnen lassen,1 beginnt damit auch der erste grosse Abschnitt der Geschichte des Schweizer Katholizismus im 20. Jahrhundert: die Zeit der katholischen Sondergesellschaft, die Zeit des katholischen Milieus, die erst 1958 von einem weiteren Zeitabschnitt abgelöst wurde. Der Katholizismus wurde in dieser Zeit einerseits hoch organisiert und war anderseits ideologisch bzw. milieumässig geschlossen.
2. Milieukatholizismus
Diese Entwicklung machten auch die Jugendvereine und -verbände mit. Schon 1893 hatten sich die Jünglingsvereine von zwölf Pfarreien zum Schweizerischen Katholischen Jünglingsbund zusammengeschlossen. Um 1930 wurden aus den Jünglingsvereinen Pfarrei- Jungmannschaften und aus dem Jünglingsbund der Schweizerische Katholische Jungmannschaftsverband (SKJV). Gleichzeitig entstanden pfarreiliche Gruppen für schulpflichtige Knaben. Diese fasste der Jungmannschaftsverband 1932 zur Jungwacht zusammen. Ein Jahr später wurde von der Marianischen Jungfrauenkongregation der pfarreiliche Mädchenverein Blauring gegründet. Wie sich der Volksverein mit den Katholikentagen der Öffentlichkeit regelmässig darstellte, so stellte sich der Jungmannschaftsverband der Öffentlichkeit 1933 an der Zujuta, der Zuger Jungmannschaftstagung vor. Die Tagung war Sache des Jungmannschaftsverbandes, die anderen katholischen männlichen Jugendorganisationen wurden aber eingeladen. Als eine Christkönigsdemonstration gedacht, sollte an der Zujuta ein christuszentriertes Wollen und ein neues katholisches Jugendbewusstsein zum Ausdruck kommen, wie es der Tagungsführer formulierte: "Die Zujuta ist daher kein Fest wie andere Feste. Sie ist eine ernste Manifestation, eine Heerschau der Christusjugend." Eine unerwartet hohe Beteiligung wie die Begeisterung der 20 000 Teilnehmer machten das Zuger Treffen zu "einer Sternstunde der katholischen Jugendbewegung".2
Eine Heerschau bringt nicht nur eine organisatorische, sondern auch eine ideologische Geschlosmentalitätsmässigen Geschlossenheit kann und soll ein Blick in das 1923 erschienene "Lehrbuch der katholischen Religion für Gymnasien und Realschulen, Lehrer- und Lehrerinnenseminare"3 vermitteln.
Ein Blick auf die Kirche und ihr Lehramt: "Um die Notwendigkeit eines Lehramtes in religiössittlichen Fragen einzusehen, genügt es – die göttliche Offenbarung vorausgesetzt – eigentlich, an das zu denken, was herauskommt, wenn kein Lehramt da ist."4 Der Verfasser des Lehrbuchs denkt an den Protestantismus und folgert: "Ohne Lehramt keine Einheit in der Kirche! Ohne Einheit keine Kirche Jesu Christi!"5 Deshalb ist das Lehramt mit "Denknotwendigkeit " auch unfehlbar. "Christus hat allen Menschen die strenge Pflicht auferlegt – sogar unter der Strafe des Ausschlusses von der ewigen Seligkeit, – seine Kirche zu hören (Matth. 18,17), dem kirchlichen Lehramte zu gehorchen, sich ihm nicht nur äusserlich, sondern auch innerlich zu unterwerfen."
Zuständig ist das kirchliche Lehramt nur in Fragen religiös-sittlicher Natur, in diesen Fragen aber ausschliesslich. "In Fragen, mit denen sich das kirchliche Lehramt zu beschäftigen hat, sind nur Fragen religiös-sittlicher Natur, Fragen des Glaubens und des Sittengesetzes. In allen andern Fragen hat das kirchliche Lehramt nichts, aber auch gar nichts zu entscheiden. In diesen Fragen aber, also in den Fragen sittlich-religiöser Natur, ist das kirchliche Lehramt die entscheidende, die oberste Instanz. Niemand anders hat Gott die Entscheidung in diesen Fragen übergeben. Wo immer es sich also im Leben, im privaten und im öffentlichen Leben, um religiössittliche Fragen handelt, das heisst um erlaubt oder unerlaubt, um gut oder bös, um sittliche Pflicht oder nicht, steht die Entscheidung dem kirchlichen Lehramte zu und sonst niemandem auf der Welt."
Ein Organ des kirchlichen Lehramtes war damals noch der Index der verbotenen Bücher. Als ein Organ im abgeleiteten Sinn galt damals auch der Priester. "Für den Laien redet das kirchliche Lehramt ordentlicher Weise durch den Seelsorger (den Pfarrer und seine Gehilfen). Und zwar reden diese zum katholischen Volke auf der Kanzel, im Religionsunterricht, im Beichtstuhl, überhaupt durch die ganze pastorelle Tätigkeit."6 Daraus leitete sich die Stellung ab, die der Klerus im Schweizer Katholizismus beanspruchte.7
Neu an diesem Lehrbuch war seine Methode. Es wollte nicht nur wie der Katechismus belehren, sondern mit Fragen und Anregungen den Schüler und die Schülerin dazu bringen, sich die religiös-sittlichen Forderungen nach Möglichkeit selber zu erarbeiten. Dies wird durchgehalten bis zum Paragrafen "Vom Geschlechtstrieb". "Dass dieser Paragraf eine andere methodische Behandlung verlangt als alle anderen, braucht wohl nicht näher begründet zu werden ",8 merkt der Verfasser an. Deshalb biete er nur eine Skizze, nach der er dieses Gebot in der Klasse in mehreren Vorträgen zu behandeln pflege. Denn der Obersatz der ganzen Ableitung heisst: "Durch Naturgesetz (Vernunft) und durch das positiv-göttliche Gesetz (Offenbarung) hat Gott bestimmt, unter was für Bedingungen nur dieser Trieb befriedigt werden dürfe, um seinem Zwecke zu genügen: in der Ehe, in der Einehe, in der unauflöslichen Einehe, in der sakramentalen Einehe."
Die kirchliche Lehre liess sich damals sogar an der Scheidungspraxis ablesen. Von den 2241 Scheidungen des Jahres 1920 entfielen nur 79 bzw. 3 ½ Prozent auf die neun katholischen Kantone.
3. Ausbrüche aus der Enge des katholischen Milieus
Wie eng das katholische Netzwerk war, zeigte sich am Katholikentag 1929 mit dem dort vorgestellten Wirtschafts- und Sozialprogramm der Schweizer Katholiken. Erarbeitet vom Schweizerischen Katholischen Volksverein, von der Schweizerischen Konservativen Volkspartei und vom Christlichsozialen Arbeiterbund war es von den Schweizer Bischöfen genehmigt worden. Ein Abweichen von dieser katholischen Linie war demzufolge ein Ausbruch aus dem katholischen Milieu, für die Abweichler ein Ausbruch aus einer Enge. Diese konnte verschiedene Aspekte aufweisen, so dass es auch verschiedene und unterschiedliche Ausbrüche gab.
3.1. Aus der geistigen Enge
Bemerkenswerte Ausbruchsversuche aus der geistigen Enge gab es vor allem in den späten 1930er-Jahren, das heisst nach der grossen Wirtschaftskrise und vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Namentlich zwei Gruppen junger Katholiken äusserten sich in – allerdings kurzlebigen – Zeitschriften kritisch zum Milieukatholizismus und zur Abgeschlossenheit dieses Milieus. Eine Berner Gruppe veröffentlichte 1934 bis 1936 die Zeitschrift "Jugend am Werk"; die andere Gruppe, die sich "Arbeitsgemeinschaft junger Katholiken nannte", gab von 1936 bis 1939 in Luzern die Zeitschrift "Entscheidung" heraus.
"Jugend am Werk" trug den programmatischen Untertitel "Monatszeitschrift für eine radikale christliche Erneuerung und Einigung". Ich hätte diese Zeitschrift gerne näher vorgestellt; leider ist das Exemplar der Schweizerischen Nationalbibliothek, das einzige mir bekannte, nicht auffindbar. Aufgrund von Kritiken in der katholischen Presse und dann auch einer bischöflichen Verurteilung müssen der Zeitschrift drei Themenkreise wichtig gewesen sein: der Pazifismus, von den Kritikern Antimilitarismus genannt, die Freigeldbewegung9 und die Ökumene, von den Kritikern Interkonfessionalismus genannt.10 Bemerkenswert ist dabei, dass die Kritik nur pazifistische Äusserungen zitiert wie: "Die Jugend wird ja schon in der Schule militaristisch verseucht und im Militärdienst zum Töten abgerichtet." "Heute [ist] Kriegsdienstverweigerung internationale Pflicht." "Solange wir eine Armee haben, solange bei uns junge Leute in der Kunst des Tötens unterrichtet werden, müssen auch alle barbarischen kriegerischen Ideale gepflegt werden." "Kein Katholik, keiner, der sich Christ nennt, darf dem Militärpflichtruf gehorchen!" Dem Kritiker in der "Schweizerischen Kirchen-Zeitung" missfällt besonders, dass die Zeitschrift nicht nur von Katholiken herausgegeben, sondern von Geistlichen unterstützt und geleitet wird. Als Mentor und Mitarbeiter erscheint Georg Sebastian Huber.11
Georg Sebastian Huber war zu dieser Zeit Kaplan in Häggenschwil, Bistum St. Gallen, und so kam eine erste Verurteilung der Zeitschrift auch aus St. Gallen. Der Bischof erlässt folgende Verfügung: Mit dem Titel "Jugend am Werk" erscheine "in Bern ein Monatsblättchen, das in Opposition gegen die treffliche ‹Jungmannschaft›, Organ der Kathol. Jünglingsvereine gegründet, unter Jugendlichen eifrige Propaganda betreibt, auch im Sankt-Gallischen. Es ist ein Hetzblatt niedrigen Ranges, von unreifen Leuten geschrieben, voll unklarer, nahezu häretischer Phrasen, für Freigeld, Antimilitarismus und ähnliche Dinge schwärmend, gegen Papst, Bischöfe, Priester, Kirche eine unverschämte Sprache führend. Wir müssen das gemeine Elaborat oberhirtlich verbieten, vertrauen indessen, dass der gesunde Sinn unseres Volkes eine solche Kost ohnehin ablehnen wird."12 Dieser Verurteilung schliesst sich in der Folge die Schweizer Bischofskonferenz vorbehaltlos an: "Das Monatsblatt ‹Jugend am Werk› wurde bereits vom hochwst. Ordinariat von St. Gallen für dieses Bistum verboten (…). Die hochwst. Bischofskonferenz schliesst sich dem Ordinariat von St. Gallen an, dankt für dessen Stellungnahme und macht die erfolgte Verurteilung zur ihrigen."
Die Luzerner "Arbeitsgemeinschaft junger Katholiken in der Schweiz" gab ab Oktober 1936 bis 1939 die Halbmonatszeitung "Entscheidung" mit dem Untertitel "Eidgenössisches Werkblatt" heraus. Als Herausgeber zeichneten der Luzerner Germanist Xaver Schnieper, der Nidwaldner Architekt Arnold Stöckli sowie die Luzerner Juristen Hans Segesser auf Brunegg und Bruno Mayr von Baldegg; zu Beginn war noch James Schwarzenbach dabei, der vorher in Zürich die Zeitschrift "Entscheidung" als "Stimme der Studenten" herausgegeben hatte. Dieser Zeitschrift stand der Jesuit Richard Gutzwiller beratend zur Seite; die heftige Kritik von konservativer Seite, an der sich sogar die Bischöfe von Chur und Basel beteiligt hatten, bedeutete das Ende dieser studentischen Initiative. In der ersten Nummer der Luzerner "Entscheidung" richtete James Schwarzenbach noch ein Wort "An die alten Freunde der ‹Entscheidung› ". Einen Einfluss konnte er indes nicht geltend machen, und so schied er auch bald aus.
Der erste Beitrag stand unter dem programmatischen Titel "Jenseits von links und rechts" und führte dazu aus: "Nichts kann dem Christentum, nichts kann dem Katholizismus gefährlicher werden als die Gleichsetzung von bürgerlicher und christlicher Politik (…). Das Interesse an der Aufrechterhaltung wirtschaftlicher und sozialer Zustände, die für die einen Privilegien, für die andern aber nur Mittel zu ihrer wirtschaftlichen Entrechtung sind, verbindet sich verhängnisvoll mit Unterhalt und Begriff einer christlich-konservativen u. vaterländischen Politik (…). Grundsätzlich müssen wir katholische Christen – und vor allem wir von der jüngeren Generation – davon abkommen, uns ins Schlepptau der parteiischen Interessenpolitik nehmen zu lassen." Denn nationale Einigkeit "verlangt zuerst und vor allem einmal den Willen zur Solidarität im Wirtschaftlichen und Sozialen, wie denn überhaupt die nationale Frage ganz allgemein in unserer Zeit nur im Sozialen lösbar ist".
Dieser Wille zur Solidarität führte die "Arbeitsgemeinschaft junger Katholiken" zum Beitritt zur Richtlinienbewegung,13 einer Bewegung für eine neue Mitte-Links-Mehrheit vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise und der Bedrohung durch die Diktaturen. Als Grundsätze der Bewegung galten die vorbehaltlose Anerkennung der Demokratie – gegen den Kommunismus und die extreme Rechte –, die Bejahung der militärischen, wirtschaftlichen und geistigen Landesverteidigung sowie religiöse Toleranz. Später plädierte ein politischer Beitrag in der "Entscheidung" für einen Zusammenhalt von sozial und liberal.14
Weil Xaver Schnieper als Student in Deutschland die Machtergreifung der Nationalsozialisten von nahe erlebt hatte, waren die Arbeitsgemeinschaften wie ihre Zeitung von Anfang an für diese Bedrohung besonders sensibilisiert. "Ein Charakteristikum der Zeitung war, dass sie früh Kontakte zur französischen Schweiz suchte, ein Konto für Flüchtlingshilfe einrichtete und von Anfang an gegen Antisemitismus und Antijudaismus Stellung nahm."15 Sie titelte beispielsweise "Antisemitismus als Abfall vom Christentum",16 "Ausrottung der Juden ist Ausrottung der Zivilisation"17 und bezeichnete die schweizerische Flüchtlingspolitik als "unwürdig".18 Gegen einseitige Berichte über den Spanischen Bürgerkrieg warnte die "Entscheidung" vor einer Heroisierung Francos und wies auf Gräueltaten hin, die in Spanien im Namen der Verteidigung christlicher Zivilisation begangen wurden.19
Im Unterschied zu "Jugend am Werk" war die "Entscheidung" nicht pazifistisch, die Herausgeber waren Offiziere, ihre Einberufung zum Aktivdienst nach Kriegsausbruch hatte sogar das Ende der Zeitschrift zur Folge. Sie war aber radikal demokratisch und kritisierte deshalb auch den eben eingeführten militärischen Vorunterricht. "Nicht jenen Geist, den man aus den toten Waffen und aus dressierten Körpern zu beziehen wünscht, haben wir zu unserer Landesverteidigung nötig, sondern die Bewaffnung des Gewissens, des Geistes und des Rechts. Deshalb ist bei uns das Militärische eine Funktion der Bürgertugend, nicht aber die Bürgertugend ein Produkt des Militärs. Alles andere aber – einschliesslich der Erziehung unserer jungen Menschen nach dem Muster einer ausländischen Staatsjugend – ist ein Einbruch in den Geist der wehrhaften Schweiz."20 Wohlwollend berichtet die "Entscheidung" auch über erste Annäherungen der Konfessionskirchen. "So beginnen Christen zunächst wieder die gemeinsame ‹Seele der Kirche› zu spüren, und es ist wohl glaubhaft, dass dieses Erlebnis dazu beitragen wird, dass die antikatholische bzw. antiprotestantische Kirchenschale allmählich einschrumpft und darunter die vorreformatorische, urchristliche Kirche hervorwächst, die aus den letztvergangenen Jahrhunderten der konfessionellen Kämpfe das Beste aus beiden Lagern herüberrettet: katholische Wahrheit und reformatorischen Gesinnungsernst."
In der Redaktion der "Entscheidung" sass kein Theologe, und die "Arbeitsgemeinschaft" wie die "Entscheidung" verstanden sich als katholisch, aber ausserhalb der "Katholischen Aktion" stehend, also unabhängig von der Hierarchie. Beraten liessen sie sich von drei Theologen: Franz Alfred Herzog, Professor an der Theologischen Fakultät Luzern, begleitete das Ringen der Arbeitsgemeinschaft "um einen milden Reformkatholizismus und ihre Kritik an schweizerischer Selbstgefälligkeit verständnisvoll".21 Für die Zeitschrift geschrieben haben als einzige Schweizer Theologen Otto Karrer und Georg Sebastian Huber, dem wir bereits in "Jugend am Werk" begegnet sind. Otto Karrer darf nach der Einschätzung von Victor Conzemius als der geistige Patron bezeichnet werden.
Die Distanzierung der Arbeitsgemeinschaft und der "Entscheidung" von einer einseitig bürgerlichen Politik, die Richtlinienbewegung beispielsweise strebte den Ausbau des demokratischen Staates zu einem Sozialstaat an, führte zu ihrer Ablehnung seitens des konservativen Katholizismus. Der Schweizerische Studentenverein (SchwStV) erklärte die Unvereinbarkeit der gleichzeitigen Mitgliedschaft im Studentenverein und in der Arbeitsgemeinschaft wie der Mitgliedschaft im Studentenverein und der Mitarbeit bei der "Entscheidung". Im Urteil von Urs Altermatt trübte diese Angst vor Links den Blick für die politische Wirklichkeit. Heute erscheinen solche katholischen Feindbilder "übertrieben, fast als Paranoia und Hysterie, die den politischen Katholizismus bis in die Anfänge der 1950er-Jahre prägen".22
Auf kirchlicher Seite hatte man mit dem Einfluss von Otto Karrer Mühe. Sein "gemässigt ökumenisch-offener Kurs und sein Einfluss auf jüngere Laienkreise riefen das unverhohlene Misstrauen massgeblicher Instanzen des Luzerner Klerus und der bischöflichen Kurien in Solothurn und Chur hervor".23