Vereinigung für Schweizerische Kirchengeschichte – GV 2015

Für den 25. April 2015 hatte der Präsident der Vereinigung für Schweizerische Kirchengeschichte, Prof. Dr. Dr. Mariano Delgado, zur jährlichen Generalversammlung ins Unterwallis geladen – in das traditionsreiche St-Maurice, wo die Chorherren das 1500-Jahr-Jubiläum ihrer Institution feiern. Dass die altehrwürdige Abtei auch auf eine höchst spannende und bewegte Geschichte in der jüngeren Zeit verweisen kann, zeigte der am Vormittag im Vorfeld der Generalversammlung anberaumte Vortrag von Dr. Stéphanie Roulin. Roulin behandelte darin die Zwischenkriegszeit. Ein Schwerpunkt galt Abt Mgr. Joseph-Tobie Mariétan, einer sichtlich polarisierenden Gestalt. Dieser wurde 1914 zum Vorsteher der Abtei nullius gewählt, d. h. dieses keinem Bistum unterstellten und analog zu einer Diözese über ein eigenes Territorium mit Pfarreien verfügenden klösterlichen Zentrums. Davon gibt es in der bunten territorialen Landkarte der katholischen Kirche gerade einmal ein Dutzend; und dieser Status wurde in der Geschichte hin und wieder in Frage gestellt. Mariétan schied die Geister bis weit über seinen Tod im französischen «Exil» hinaus. Seine aktiven Bestrebungen, Konversionen zum Katholizismus im benachbarten Waadtland anzuregen, stiessen auf wenig Gegenliebe etwa des Bischofs von Genf, Lausanne und Freiburg, Marius Besson. Mariétan hatte Grosses vor. Nicht zuletzt ein Priesterseminar für die Schweizer in Rom Ende der 1920er-Jahre stand in seinem Projektportfolio. Vor allem aber brachte er die älteren Mitbrüder gegen sich auf, Visitationen waren die Folge. So wurde Mariétan 1931 ins Exil, «so weit weg als möglich», verbannt. Es ist Annecy geworden, keine 80 Kilometer Luftlinie entfernt, aber doch hinter den Bergen in sicherem Abstand. Die sterblichen Überreste Mariétans sollten erst Anfang der 1970er- Jahre in die Abtei rückgeführt werden. Den auf seiner Person aufruhenden, manchmal doch erstaunlich verqueren «Legenden»- und «Mythenbildungen» ging die Freiburger Historikerin Stéphanie Roulin gewissenhaft und zugespitzt genau nach. Abschliessend verwies Roulin denn auch darauf, dass die Arbeit der Historikerin/des Historikers nicht die ist, eine schöne Rolle («un beau rôle») zu spielen, was gerade für die Feier eines Jubiläums eine spezielle Herausforderung zu sein scheint. Roulin, die auch einen Beitrag im zweibändigen Hauptwerk zum Jubiläum (L’Abbaye de Saint- Maurice d’Agaune 515–2015, Bd. 1, S. 409–445; eine Anzeige in der SKZ folgt) verfasst hat, meinte in der Diskussion, dass ihr für ihre Arbeit alle Unterstützung geboten und ihr keine Steine in den Weg gelegt wurden.

Ein Besuch des Archivs mit Ausführungen von Archivar Chorherr Olivier Roduit sowie von Prof. Bernard Andenmatten (Lausanne) komplettierte den Vormittag der Besammlung. Es ist noch immer eindrücklich, ein reales Archiv zu besuchen, obwohl auch in diesem Fall schon ein eigenes Internetportal zur Verfügung steht (www.aasm.ch), das alle Dokumente des Abteiarchivs den Interessierten zur Verfügung stellt. Das optische (und haptische) Vergnügen kam also nicht zu kurz, als besondere Quellenbestände Präsentation erfuhren. Die Abtei ist für die Lokalgeschichte des Unterwallis von tragender Bedeutung, aber auch auf einer wichtigen alpinen Transversale liegend in grössere europäische Zusammenhänge eingebunden.

Nach dem Mittagessen legten der Präsident, die Chefredaktorin Dr. Franziska Metzger und der Kassier Prof. Dr. Markus Ries im Rahmen der Generalversammlung ihre Berichte vor; die Vereinigung steht auf gesicherten Fundamenten. Freilich wurde angeregt, für die Rekrutierung von weiteren Mitgliedern und Abonnenten neue und kreative Wege zu beschreiten. Die Chefredaktorin konnte auf eine erfolgreiche Nummer SZRKG 2014 verweisen (vgl. www.unifr.ch/ szrkg) und einen Ausblick auf die Planung der kommenden Jahre geben. Der Themenschwerpunkt des Jahres 2014 «Soldat et religion. Krieg und Frömmigkeit im Ersten Weltkrieg» fand im Rahmen der breit aufgestellten Kriegserinnerung mit seinem religions- und frömmigkeitsgeschichtlichen Schwerpunkt eine breite Rezeption und wird noch auf Veranstaltungen in Italien und Belgien präsentiert werden.

Der Rest des Nachmittags war einer Führung durch die Abteikirche, dem archäologischen Ausgrabungsbereich zwischen der eindrücklichen Felswand und dem Klostergebäude sowie dem neu gestalteten Klosterschatzmuseum gewidmet. Kirche und Baptisterium sind das geistliche und spirituelle Zentrum der grossräumigen Anlage, und wer durch dieses von aussen kommend hindurchschreitet, gelangt zum für das Publikum völlig neu gestalteten Bereich, der der interessierten Öffentlichkeit die Geschichte des Ortes in didaktisch gut aufbereiteter und technisch hochstehender Form näherbringt. Ein Plexiglasdach, das für angenehmes Licht sorgt, schützt den Besucher/ die Besucherin und den archäologischen Ausgrabungsort, der auf die Spuren einer vielfältigen Entwicklung verweist, die in die Antike zurückreicht.

Dass die Menschen bestrebt waren, dem Heiligen nahe zu sein, zeigt der Abteischatz in geradezu atemberaubender Weise. Der heilige Mauritius etwa hat die Geister, so scheint es, immer wieder beschäftigt und angeregt. Die reichen Hüllen, Gefässe und Schreine, der Reliquien sind dort in Vitrinen zu bestaunen, aber auch andere sakrale Objekte. Ein Besuch lohnt sich allemal. Das hatten sich wohl auch die vielen Besucher an diesem 25. April gedacht, die neben uns diesen Ort als ihr Ziel wählten.

 

 

David Neuhold

David Neuhold

Dr. theol. David Neuhold ist Doktorassistent am Lehrstuhl für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte der Universität Freiburg i. Ue.