«Einmal katholisch, immer katholisch», so wird der «character indelebilis» der Taufe manchmal scherzhaft erklärt. Viele Menschen, die sich im Laufe ihres Lebens von der Kirche entfernt haben, legen dennoch Wert auf gewisse «Rituale» wie Taufe, Ehe oder Beerdigung. Anscheinend bleibt man halt doch immer irgendwie katholisch – so auch Martin Scorsese.
Liturgische Bilder
Scorsese (*1942) wuchs in Little Italy (New York) auf und besuchte katholische Schulen. Mit 14 Jahren trat er in das Kleine Seminar ein, das er aber bereits ein Jahr später – aufgrund schlechter Noten und dem erwachten Interesse an gleichaltrigen Mädchen – wieder verliess. Er studierte Film und englische Sprache. Scorsese bezeichnet sich selbst als gefallenen Katholiken – er ist in fünfter Ehe verheiratet –, doch ist ihm der Einfluss seiner Religion durchaus bewusst: «It always will [be there] in every piece, in every work I do, even in the way I act.»1
Scorsese drehte nur wenige wirklich religiöse Filme2, doch ist sein katholischer Glaube immer präsent, z. B. durch Filmrequisiten wie Kreuze, religiöse Bilder und Statuen. Analog dem Anziehen liturgischer Gewänder in der heiligen Messe, «kleiden» sich seine Hauptdarsteller vor wichtigen Ereignissen: In «Cape Fear» (Kap der Angst, 1991) trägt Max Cady ein Tattoo in Form eines grossen Kreuzes auf dem Rücken, das an ein Messgewand denken lässt. In der Eröffnungsszene von «Raging Bull» (Wie ein wilder Stier, 1980) tanzt Jake LaMotta langsam im Boxring. Er trägt dabei einen Kapuzenumhang, der einer Mönchsrobe gleicht, der Rauch seiner Zigarette erinnert an Weihrauch. In «Taxi Driver» (1976) legt sich Travis Bickel vor seinem Rachefeldzug einen Irokesenschnitt zu und legt behutsam seine Waffen an.
Erlösung finden
Typisch für Scorsese sind Bilder mit «sakramentalen» Aussagen. So lässt er Travis in «Taxi Driver» in Anlehnung an die Taufe sagen: «Someday a real rain will come und wash all the scum off the streets.»3 Das Bild der Eucharistie im Sinne eines Opfers zur Erlösung, bei dem Blut und Wasser miteinander vermischt werden, bezeichnet Blake gar als Scorseses «Signatur» seiner Filme. In «Mean Streets» (Hexenkessel, 1973) ist Charlie hin- und hergerissen zwischen seinem katholischen Glauben und seiner Arbeit als Schulden- eintreiber für die Cosa Nostra. Er kümmert sich um seinen Freund Johnny, der ständig Schulden hat und unberechenbar ist. Charlie beschliesst, für die Vergebung seiner Sünden sein Leben für Johnny zu riskieren, der vor einem Kredithai aus der Stadt flüchten muss. Dabei werden beide durch Schüsse verletzt. Durch das Vergiessen ihres Blutes, vermischt mit dem reinigenden Wasser des Regens, erfahren die beiden Männer eine Art Erlösung. Jake LaMotta in «Raging Bull» vergiesst im Boxring immer wieder sein Blut, das sich mit dem Wasser auf dem Schwamm vermischt, den seine Helfer ihm reichen. Seine «Erlösung» erlebt er aber erst, nachdem er seinem Bruder gegenüber ein Geständnis abgelegt und ihn um Vergebung gebeten hat. Erst jetzt kann er im Spiegel wieder sein eigenes Gesicht anschauen. Der Vietnamveteran Travis in «Taxi Driver» kann die Erlösung für die minderjährige Prostituierte Iris und sich selbst nur erlangen, indem er sein Blut vergiesst und jenes der Menschen, die sich an Iris schuldig gemacht haben.
Ein anderes «katholisches» Thema, das Scorsese immer wieder inszeniert, ist jenes der Gemeinschaft. In «Good Fellas» (1990) muss Tommy DeVito sterben, weil er seine eigenen Interessen über jene der «Familie» (Mafia) gestellt hat. Umgekehrt kann Henry Hill nie wirklich zur «Familie» gehören, da er irischer Abstammung ist. So wird er schliesslich die «Familie» verraten. In «Cape Fear» wird die Situation für Sam Bowden unerträglich, als Max Cady nicht nur ihn, sondern auch seine Familie umbringen will. Obwohl die Familie zerstritten ist, muss sie bewahrt werden. «A dysfunctional family is better than no family at all in Scorsese's universe.»4
Vielleicht schauen Sie Filme von katholischen Regisseurinnen und Regisseuren in Zukunft mit anderen Augen. Es würde sich sicher lohnen.
Rosmarie Schärer