«Nach ihrem Selbstverständnis besteht die Schrift nicht einfach aus Texten, die von Gott handeln. Die Bibel ist Ort der Begegnung mit dem einen Gott, der sich in seinem Wort selbst zu erkennen gibt», schreiben die Schweizer Bischöfe in ihrem Hirtenwort zur Würde des Wortes Gottes (6.12.2019). Der wichtigste und wirkmächtigste Ort des Umgangs mit dem Wort Gottes ist für uns Katholikinnen und Katholiken der Gottesdienst. Ich darf, ja muss darauf hoffen, dass die Schriftlesungen im Kontext der gefeierten Liturgie für mich als «Hörer des Wortes» noch einige Überraschungen bieten! Da spielt so vieles mit hinein. Schon der gemeinsame Gesang zum Einzug hat uns als physisch erfahrbaren Leib Christi konstituiert. Aus dieser Stimmung heraus horchen wir nun den Worten der Bibel. Jede und jeder wird sie dennoch anders hören. Auch die Person, die nun predigen wird, legt im glücklichsten Fall das Manuskript beiseite, weil sie ebenfalls neu hingehört hat, ihre Botschaft unter diesem Eindruck nuanciert und nun frei spricht. Mit den Worten Papst Benedikts XVI. lässt sich «die Sakramentalität des Wortes […] so in Analogie zur Realpräsenz Christi unter den Gestalten des konsekrierten Brotes und Weines verstehen. Wenn wir zum Altar gehen und am eucharistischen Mahl teilnehmen, empfangen wir wirklich den Leib und das Blut Christi. Die Verkündigung des Wortes Gottes in der liturgischen Feier geschieht in der Einsicht, dass Christus selbst in ihr gegenwärtig ist und sich uns zuwendet, um aufgenommen zu werden» (Verbum Domini, 56).
Deshalb ist es so wichtig, dass die Wortverkündigung als ein gottesdienstliches Geschehen verstanden wird. Romano Guardini meditiert in «Besinnung vor der Feier der Heiligen Messe (71961, 84 f): «Der Mensch nimmt das Wort Gottes erst dann voll auf, wenn er es hört. Das Wort meint nicht nur den Verstand, sondern den Menschen. Es hat die Art des Menschen und sucht die lebendige Einheit von Geist und Blut, Seele und Leib. Dahinein soll es aufgenommen werden; nicht nur mit seinem Sinn, sondern auch mit seiner Gestalt, seinem Klang, seiner Wärme und Mächtigkeit. Das ist’s, was das Wort vom Samenkorn meint. Dazu muss es aber wirklich gehört werden, nicht nur gelesen. Das Wort soll über das Ohr ins Innere kommen, [...] – ebenso wie wir Form und Farbe [...] mit dem Auge aufnehmen sollen. Das Wie kann vom Was nicht abgelöst werden. Das durch die Schrift und Auge vermittelte Wort ist anders als das vom Munde gesprochene und durch das Ohr vernommene. […] Das Wort soll aus dem heiligen Buche auf die Lippen steigen, durch den Raum hingehen, von lauschenden Ohren gehört und von bereiten Herzen aufgenommen werden.»
Peter Spichtig*