Über die Festtage liessen sich im Privatraum von Familien wieder vielfältige Facetten der für die Gegenwartsreligiosität charakteristischen Weihnachts-Christlichkeit beobachten. Einer "Festreligion", so die sensible Beschreibung Matthias Morgenroths, "die von Stimmungen und weniger von Bekenntnissen lebt",1 von Gefühlen und Atmosphären. Gerade so gibt die Advents-, Heilig-Abendund Jahreswechselstimmung urmenschlichen Sehnsüchten nach Geborgensein Raum und Ausdruck. Über die Wahrnehmung der Geburtlichkeit bezieht sich Weihnachten buchstäblich "aufs Ganze" unseres In-der-Welt-Seins und bringt etwas ins Spiel, "das durchscheinen lässt, wovon wir leben, und das vergegenwärtigt, wie offen die Welt geblieben ist". Ja, wie kein anderes Fest lässt das Kommen Gottes in die Welt erfahren, "dass der Himmel offen ist und sich Himmel und Erde berühren".
Religiöse Vorstellungen und Praktiken werden auch heute ganz wesentlich in Familienritualen intergenerationell vermittelt, bestätigen Berner Forscher um den Praktischen Theologen Christoph Morgenthaler, die Weihnachts- und Tauffeier, Abend- und Einschlafrituale untersucht haben. "Im Sinne des schafft sich dabei jede Familie auch vermittelt über Rituale ihren je eigenen Umgang mit Religion."2 Traditionen werden also nicht einfach abgebrochen; es entstehen vielmehr neue Formen, die nicht mehr durch Pflicht und zeremonielle Fixierung, sondern durch Freiwilligkeit und flexible Gestaltung gekennzeichnet sind.
In vielen Familien werden Abend um Abend regelmässig Geschichten erzählt oder vorgelesen, Lieder gesungen, ein Gebet gesprochen, alles verbunden mit einem Gute-Nacht-Kuss. Solche Zu-Bett-geh-Rituale sind eine Zeit, in der Kinder ruhig werden und zu sich selber finden können, Zuwendung und Halt spüren. Bedenkt man, dass Eltern (und Kinder) in der Gestaltung weitgehend frei sind, ist es erstaunlich, dass sieben von zehn Kindern mehr oder weniger explizit einen religiösen Bezug beim Einschlafritual erleben. Sei es, dass sie Gott für das Gute danken, das der Tag gebracht hat, oder dass Kinder zu Gott beten lernen und spüren, dass es etwas gibt, das über uns steht. Und wenn dann noch ein kurzer Austausch über den Alltag stattfindet, können Kinder in der Beziehung zu ihren Eltern erleben, wie mit zwiespältigen Gefühlen und allenfalls mit Konflikten umgegangen werden kann. Die konkrete Ritualpraxis trägt einen unverkennbar individuellen Charakter, ist ganz auf Situation, Familiengeschichte und Lebensstil der Beteiligten abgestimmt: Wir als Familie machen das so.
Förderung religiöser Elternkompetenz
Religiosität ist in der Gegenwartsgesellschaft in Familien zu Hause, punktuell und situativ, in einem Ausmass wie in keinem anderen Lebensbereich.3 Zahlreiche Eltern haben nach wie vor das Bedürfnis nach Verankerung des eigenen Lebens wie das ihrer Kinder in religiösen Ritualen. Der Mehrheit der Eltern ist die religiöse Entwicklung ihrer Kinder nicht gleichgültig, doch stehen sie zu einem nicht geringen Teil orientierungslos und unsicher, Religiöses zur Sprache zu bringen, meist genauso am Anfang wie ihre Kinder – eine Chance für Familien- und Erwachsenenbildung, um religiöse Elternkompetenz und familiäre Glaubenskommunikation zu fördern,4 wobei die religiöse Bildung mit Vorteil in allgemeine Erziehungs- und Lebensthemen eingebettet wird. In ihren Kindern begegnen Eltern der eigenen Kindheit, ihrer eigenen Glaubensgeschichte und religiösen Erziehung. Das gemeinsame Nachdenken – Philosophieren bzw. Theologisieren mit Kindern wird es häufig genannt5 – verändert den Blick der Erwachsenen auf Kinder, deren eigenständige Sichtweisen, Antwortversuche und Deutungen so in den Blick kommen. Mit ihren "grossen Fragen" fordern Kinder Eltern heraus, den Faden neu aufzunehmen, spielen ihnen die Chance zu, noch einmal neu zu beginnen, zu wachsen und den eigenen Kinderglauben weiterzuentwickeln. Kinder haben ein Recht, mit ihren Fragen nicht alleine zu sein: Wer bin ich und wer darf ich sein? Warum musst du sterben, was kommt nach dem Tod? Wo finde ich Schutz und Geborgenheit? Warum soll ich andere gerecht behandeln? Warum glauben manche an Allah, andere überhaupt nicht?6
Kirche bei Gelegenheit
Wohl gibt es, ausgelöst insbesondere durch Veränderungen im Selbstverständnis von Frauen, einen Bruch in der Tradierung der Kirchenbindung, nicht aber in der Tradierung des Religiösen.7 Ziel religiöser Bildung ist es heute meist nicht mehr, zur Kirchlichkeit, zur Einhaltung von Normen und Bindung an eine Institution, sondern zu einem eigenständigen Glauben als Quelle gelingender Lebensbewältigung zu erziehen. Nicht wenige junge Familien suchen zu für sie lebensgeschichtlich besonders wichtigen Zeiten, bei Geburt oder Tod, aber auch an den grossen Jahresfesten, den Kontakt zur Pfarrei. Wie generell ein Wandel von kirchlich geformter zu eigenständigpersönlicher Religiosität festzustellen ist, stehen die jeweiligen Bedürfnisse der Familien im Vordergrund: Ohne alltagsweltlich situative Veranlassung besteht keine Nachfrage nach kirchlichen Riten. Die Mehrheit der getauften Kirchenmitglieder lebt in weitgehender Distanz zur Gemeindekirchlichkeit und sucht nur gelegentlich Kontakt zur Kirche am Ort. Wenn die eigene Biographie eine religiös-spirituelle Begleitung fordert, dann gehen diese "Kasualienfrommen"8 zur Kirche, nicht aber wenn die Kirche zum Sonntagsgottesdienst oder zum gemeindlichen Mitleben (und Mitmachen) einlädt. Zugleich bieten familienbiografische Ereignisse und Rituale die Chance, dass Kirche unmittelbar lebenspraktisch bedeutsam, Glaube als Hilfe zur Lebensgestaltung konkret familienstützend erfahrbar wird (z. B. in Gestalt wohltuender Befreiung vom gesellschaftlich vorherrschenden Optimierungswahn entsprechend dem gnadentheologischen Motto: Eltern müssen nicht perfekt sein, dazu gehört auch ein entlastendes Veranstaltungssetting mit Kinderhütedienst usw.9).
Familienspiritualität
Gefragt ist eine diakonische Pastoral für und mit Familien: Den Eigen-Sinn heute gelebter Religiosität in Familien, ihre Suche nach zeitgemässem, authentischem Ausdruck für Spirituelles gilt es respektvoll wertzuschätzen, zu ermutigen und zu unterstützen; nur so können familiäre Bedürfnisse mit kirchlichen Angeboten verknüpft und weiterführende Impulse einer inkarnatorischen Familienspiritualität gegeben werden, die für Christiane Bundschuh-Schramm darin besteht: menschliche Bezogenheit nach innen und aussen zu leben; sich als ein wechselseitiges Wachstums-, besser: Entwicklungsunternehmen zu verstehen, in dem nicht nur die Kinder wachsen; den konkreten Familienalltag mit seinen Höhepunkten und Krisen als Prozess bejahen, in dem Gott begegnet; bewusst und praktisch Familie immer wieder zu entgrenzen auf ihr Innerstes und Äusserstes, auf Gott. Solche inkarnatorische Familienspiritualität braucht die Anerkennung der Familienformen, die es heute gibt; die Entdeckung des Glaubens der Familien (entsprechend dem Wort Jesu: "Dein Glaube hat dir geholfen"), die Anleitung zu einfachen spirituellen Übungen und einer entsprechenden Sprache; die Ermutigung zu eigenen unterschiedlichen Wegen, diese zu gehen, auszutauschen und davon zu lernen.10 Zugleich sind Pfarreien herausgefordert, sich für diejenigen zu öffnen, welche die gängigen kirchlichen Kommunikations- und Sozialformen als nicht passend empfinden. Die neueste religionssoziologische Studie für die Schweiz geht davon aus, dass sich die grosse Mehrheit der Schweizer Bevölkerung zwischen den klar profilierten Polen der Institutionellen, Alternativ-Religiösen und Indifferenten bzw. Religionsgegner befindet. Dennoch glauben sie nicht nichts, vielmehr charakterisiert sie eine "unscharfe", institutionendistanzierte Religiosität.11 Für den geistlichen Hunger solcher Sinnsucher kann Kirche Impulse für den persönlichen spirituellen Weg setzen.
Beziehungsbegleitung
Die von Papst Franziskus initiierte Pastoralumfrage zu Partnerschaft, Ehe und Familie belegt darüber hinaus: Paar- und Familienbeziehungen nehmen an Bedeutung eher noch zu. Stehen sie doch als Quelle von Lebenssinn, Glück und Angenommensein im Kontrast zur Zweckrationalität und Funktionalität des Erwerbslebens. Kein Wunder, dass in der jüngsten Shell-Jugendstudie die Bedeutung von Familie und Partnerschaft für Jugendliche ein weiteres Mal angestiegen ist; das bezieht sich nicht nur auf eine feste Paarbeziehung und die Gründung einer eigenen Familie, sondern auch auf die Herkunftsfamilie; nochmals zugenommen hat auch der Wunsch nach eigenen Kindern. Trotz Vorbehalten gegenüber weiten Teilen der kirchlichen Lehre und konkreten Normen belegt die im Vorfeld der Familiensynode durchgeführte Pastoralumfrage, mit der vor allem kirchennahe Menschen erreicht wurden, eine grosse Offenheit für die spirituelle Dimension wesentlicher Lebensentscheidungen, insbesondere für die religiöse Prägung von Partnerschaft, Ehe und Familie: "Männer und Frauen, Alte und Junge wünschen sich eine religiöse Gestaltung dieses wichtigen Lebensbereichs sowie eine verständnisvolle Begleitung durch die Kirche."12
Die vielfältigen Realitäten und praktisch gelebten Überzeugungen heutiger Partnerschaft, Ehe und Familie gilt es respektvoll wahrzunehmen. Nur so können christlich einladende Antworten auf die Herausforderungen dieses zentralen Erfahrungsbereichs gegeben werden. Ja, nur so besteht die Chance, auch hilfreich-wohltuende Gegenakzente zu mancherlei Verengungen der modernen Leitbilder von Liebe und Partnerschaft setzen zu können, die Paare um sich selbst kreisen lassen, die Liebe zum zentralen Ort des Glücks hochstilisieren und damit überfordern. Dazu braucht es (über die Ehevorbereitung hinaus) seelsorgerliche Begleitung und Unterstützung von Paaren in ihrer persönlichen Beziehungsgestaltung, die dazu beiträgt, "dass Menschen ihre je eigenen Wege finden, um Lebenssituationen und Glauben miteinander zu verbinden".13
Keine Frage: Diese wichtigen pastoralen Aufgabenfelder erfordern fachlich wie persönlich besondere Kompetenz. Wie der PPK-Bericht "Partnerschafts-, Ehe- und Familienpastoral"14 belegt, machen erhöhte Ansprüche an die pastorale Qualifikation in diesem sensiblen Bereich kirchlichen Engagements entsprechende Weiterbildungsangebote immer wichtiger. Als seelsorgerliches Querschnittsthema sind Partnerschaft, Ehe und Familie nicht isolierte Spezialthemen, sondern in ein die vielfältigen Lebenssituationen und -entwürfe umfassendes pastorales Gesamtkonzept einzubinden. Aufs Ganze liegt darin eine dreifache Chance: Begleitung, Animation und Bildung von Paaren, Gruppen und Familien bilden ein attraktives Handlungsfeld für die heute an vielen Orten bereits angegangene stärker lebensweltorientierte Schwerpunkt- und Profilbildung in grösseren Seelsorgeräumen. Zugleich bieten (nicht nur) religiöse Eltern- und Familienbildung sowie seelsorgerliche Beziehungsbegleitung hauptamtlich in der Kirche tätigen Personen mit ausgewiesenen Zusatzqualifikationen eine interessante berufliche Entwicklungsperspektive, deren professionelle Aufgabenerfüllung sowohl den Menschen wie der Zukunftsfähigkeit der Kirche dient.
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Partnerschafts-, Ehe- und Familienpastoral Zusatzausbildung für die Seelsorge 2015/2017
Zusammen mit der Fachstelle Partnerschaft – Ehe – Familie im Bistum St. Gallen führt das Institut für kirchliche Weiterbildung IFOK bereits zum vierten Mal eine berufsbegleitende Weiterbildung für kirchlicher Mitarbeitende mit theologischer bzw. religionspädagogischer Grundausbildung durch, die als Zertifikatslehrgang (CAS) der Theologischen Fakultät der Universität Luzern anerkannt ist. Die praxisorientierte Kursarbeit baut auf dem Dreischritt "sehen – urteilen – handeln " sowie den Erfahrungen der Teilnehmenden auf und verbindet Theorie-, Prozess- und Selbsterfahrungselemente (22 Kurstage einschl. Gruppensupervision, Projektarbeit innerhalb des eigenen Arbeitsfelds).
- Kursmodul 1 (9. bis 12. November 2015)
Heutige Partnerschafts-, Ehe- und Familienwirklichkeiten – Genderkompetenz in der Seelsorge - Kursmodul 2 (29. Februar bis 3. März 2016)
Meine eigene Prägung durch die Herkunftsfamilie – meine heutige Lebens- und Berufssituation - Kursmodul 3 (6. bis 9. Juni 2016)
Theologische und spirituelle Aspekte von Liebe, Partnerschaft und Ehe – Beziehungsbegleitung als seelsorgerliche Aufgabe - Kursmodul 4 (19. bis 22. September 2016)
Mit Kindern Religion neu entdecken – Ansätze religiöser Eltern- und Familienbildung. - Kursmodul 5 (14. bis 17. November 2016)
Zwischen Ideal und Wirklichkeit – Grenzen, Krisen und Brüche, Trauerarbeit und Neubeginn - Kursabschluss (17./18. Mai 2017)
Präsentation und Austausch über die dokumentierten Projekte – Kursauswertung.
Gesamtleitung: Christoph Gellner, Dr. theol., Leiter IFOK, mehrjährige Tätigkeit als Pastoralassistent mit Schwerpunkt sowie Zusatzausbildung in Ehe- und Familienpastoral; Madeleine Winterhalter-Häuptle, Leiterin Fachstelle Partnerschaft – Ehe – Familie im Bistum St. Gallen. Detailinformationen und Anmeldung bis zum 15. Mai 12015 auf www.ifok.ch