«Ablass» als «Einlass» – ein Umdenken

Der Ablass hat es nicht leicht. Er gilt als ein Grund für die Reformation und dem Begriff haftet bis heute der Duft von Handel und Missbrauch an. Doch der Ablass ist – richtig verstanden – ein grosser Schatz.

Lassen wir die lange Geschichte der Missbräuche und Missverständnisse in Sachen Ablass mal beiseite, nicht aus Verdrängung, sondern um mit einer kleinen Skizze über christliche Vitalität zu überraschen – vom lebendigen Gott her. Denn Gott ist in der Liebesglut der drei göttlichen Personen Vater, Sohn und Geist unendlich vital. Aber durch Jesus, der als erhöhter Herr zur Rechten Gottes thront, hat Gott eine himmlische Gemeinschaft um sich: die grosse Welt der Engel und Heiligen. Diese Welt ist auch sehr vital in diesem Sinne. Weniger vital jedoch sind wir hier auf Erden, und zwar wegen unserer Sünden und deren Folgen. Genau hier setzt das Geschenk des Ablasses an.

Zugegeben – der Weg der Kirche dorthin war kurvig. Aber hinter allem steht Gutes: Zuerst einmal führte das radikale Nein der jungen Kirche zu jeder Sünde zu harten Kirchenbussen, um bei der Wiederkunft Jesu nur ja als «ganz reine Braut» erscheinen zu können. Dann kam ihr Erbarmen gegenüber den konkreten Sünderinnen und Sündern, was zu einem Nachlass an Bussauflagen führte, sowie ausgleichend zur Zusicherung kirchlicher Fürbitte, um Sündenfolgen vor Gott zu tilgen. Dazu kam später noch die Umkehrung der Reihenfolge: nicht mehr zuerst Busse und dann Vergebung, sondern erst Lossprechung und anschliessend Bussauflage.

Und so reifte die Idee, einerseits den Nachlass von Bussauflagen mit der kirchlichen Fürbitte für die Sünderinnen und Sünder zu kombinieren, und andererseits die letztgenannte Gebetskraft auf die «unfehlbar wirksame» himmlische Fürbitte Jesu und der Heiligen («Kirchenschatz») zu verlagern. So ist der Ablass geboren: ein autoritativer Nachlass von vor Gott noch bestehenden Strafen für Folgen unserer (bereits vergebenen) Sünden. Denn nur wer auch davon «entschlackt» ist, kann sich einmal in der himmlischen Vitalität zu Hause fühlen!

Teilhabe an der himmlischen Vitalität

Der «Kirchenschatz» steht aber weit über der Kirche auf Erden: Kann sie allen Ernstes über ihn verfügen? In einer Abmilderung wollte man daher den Ablass nur fürbittend auffassen. Aber damit bliebe seine Eigenart unklar. Besser könnte man es folgendermassen ausdrücken: dass die Kirche nicht hoheitlich «Kirchenschatz austeilt», sondern uns schlicht und einfach mit dieser vitalen Himmelsgemeinschaft «verknüpft». So gewährt sie uns «Einlass» zur Teilhabe an deren Vitalität (vgl. Hebr 12,22 f.) – und zwar gezielt im Blick auf belastende Sündenfolgen.

Dafür nennt sie uns liebevoll Bedingungen: am Ablasstag zur heiligen Kommunion gehen und bestimmte Gebete verrichten, im Umkreis des Ablasstages das Busssakrament empfangen usw. Sehr wichtig aber ist unser klares Nein zu jeder Anhänglichkeit an Sünde und Böses. Wenn ich nun darauf eingehe, trete ich mit der vitalen Himmelsgesellschaft in Lebenskontakt. Das lässt Gott nicht kalt. Er kommt mir sogar zuvor: Noch bevor ich selbst alle Sündenfolgen durch eigene Busse bereinigt habe, mildert er sein Urteil über sie («Sündenstrafen»), teilweise oder sogar ganz. Nicht die Kirche lässt also Sündenstrafen nach, sondern Gott! Die Sündenfolgen selbst sind damit zwar nicht weggezaubert, aber vor Gott sozusagen unbeschwert(er): Das wiederum motiviert mich, sie in Gottes Gnade aufzuarbeiten, und macht das zugleich fruchtbarer.

Noch mehr! Kardinal Leo Scheffczyk (1920–2005) weist darauf hin: Das kleine Instrument des Ablasses (oder «Einlasses») bringt gleich den ganzen Heilszusammenhang auf einmal in Gang. Gottes Erbarmen, Jesu Erlösungstat, die Fürbitte aller Engel und Heiligen, Gebet und Vollmacht der Kirche, Glaube und Umkehrwille sündiger Menschen – da wirkt alles zusammen! Daher dient mein «Einlass» – gewissenhaft genutzt – dem gesamten Christentum, nicht nur mir allein. Alle und alles profitieren unsichtbar-real davon, fürbittweise auch Verstorbene. Einzigartig …

P. Johannes Nebel FSO

 

Mehr dazu in: Nebel, Johannes, Der Ablass – ein vernachlässigter Dienst an der Erlösung, in: Stumpf, Gerhard (Hg.), Der katholische Glaube – Kraft für den Alltag, Landsberg 2017, 71–130; siehe auch: Scheffczyk, Leo Card., Dienst an der Erlösung. Zur Theologie des Ablasses, in: Klerusblatt 63 / 5 (1983), 117–120; 123–124.


Johannes Nebel

P. Dr. Johannes Nebel FSO (Jg. 1967) studierte Philosophie und Theologie an der Hochschule Sankt Georgen (D) und doktorierte in Liturgiewissenschaft am Päpstlichen Liturgischen Institut Sant’Anselmo in Rom. Seit 2006 ist er Leiter des Leo-Scheffczyk-Zentrums in Bregenz.