Aus dem Geist des Evangeliums

Das Mattli Antoniushaus richtet sich seit 2015 neu aus. Das Erkennen der Wirklichkeit und die Suche nach dem Notwendenden stehen im Zentrum einer nachhaltigen franziskanischen Bildungsarbeit. Ein Werkstattbericht.

Wer dem fachlichen Diskurs über heute notwendige Bildungsarbeit nachgeht, stösst unweigerlich auf das Kürzel BNE, Bildung für eine nachhaltige Entwicklung. Dieser Bildungsansatz verfolgt das Ziel, dass alle Menschen innerhalb der planetaren ökologischen Belastbarkeitsgrenzen heute und morgen ein gutes Leben haben und sich dafür kompetent einsetzen können.1

Im September 2015 verabschiedete die UNO die Agenda 2030 zu einer nachhaltigen Entwicklung. Die Plattform «humanrights.ch» fasst die darin enthaltenen Ziele wie folgt zusammen: «Mit der Agenda 2030 und ihren 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung hat sich die Staatengemeinschaft 2015 auf eine Zukunftsvision einer Welt in Frieden geeinigt, in der niemand Hunger leiden muss, die Ökosysteme an Land und im Wasser geschützt sind und Konsum und Produktion die planetaren Grenzen nicht überschreiten. Die Agenda ist in den Menschenrechten begründet und durch ihren universellen und unteilbaren Charakter mit diesen verwandt. Das Leitmotiv der Agenda 2030, ‹Leave no one behind›, ist letztlich eine menschenrechtliche Verpflichtung.»2

Papst Franziskus zeigt mit seinen aktuellen Themensetzungen, dass auch er diese Zielsetzungen innerkirchlich mittragen will. Als Beispiele dienen die beiden Enzykliken «Laudato si’» und «Fratelli tutti». Sein eingeschlagener Kurs der Synodalität zeigt dabei auf, dass er eine ehrliche Auseinandersetzung mit den heutigen Lebensherausforderungen sucht. Ulrich Ruh, Theologe und Publizist, mahnte 2014 zum eingeschlagenen Weg von Papst Franziskus, dass die Glaubwürdigkeit davon abhängt, ob die Kirche die Bereitschaft aufbringt, die Wirklichkeit ehrlich und sensibel anzunehmen und gewillt ist, Probleme in einem positiven Geist anzugehen.

Den Bewusstseinswandel unterstützen

Soll die «Kirchliche Erwachsenenbildung» in Zukunft «Bildung für eine nachhaltige Entwicklung» sein? Auf diese Frage antworte ich mit «Teils, teils». Es macht Sinn, dass wir dieser Bildungsarbeit eine Plattform bieten. Allerdings sind andere, z. B. NGOs, die kompetenteren Vermittlerinnen zu diesem Themenkomplex. Subsidiär müssen wir der Frage nachgehen, wo die Theologie, Spiritualität, Philosophie, Psychologie und Pädagogik den notwendigen Bewusstseinswandel unterstützen kann. Die Fokussierung auf Wirtschaftswachstum, Wohlstandsvermehrung und einen egozentrisch geprägten Freiheitsbegriff hat mit falsch verstandenen oder falschen ethischen Wertsetzungen zu tun. Hier ist ein Kontrapunkt zu setzen und liegen die Themen einer nachhaltigen Erwachsenenbildung. Zudem ist den Widerständen nachzugehen, die eine Bildungsarbeit zur Verantwortung im Sinne des solidarischen Mitseins mit allen anderen Wesen, der Mitwelt, der Geschichte und der Vernetzung mit allen Ereignissen erschweren oder verhindern.

Bei der Betroffenheit ansetzen

Voraussetzung für nachhaltige Bildungsarbeit ist immer die konkrete Betroffenheit der Menschen, denn Betroffenheit bewegt zum Handeln. Entweder setzen wir uns für oder gegen etwas ein. In seiner Dissertation machte Peter Übersax3 in unserer konkreten Lebenswirklichkeit folgende Bezugspunkte von Betroffenheit aus: Subjekt (z. B. wenn es einzelne Personen, Gruppen oder das gesamte Gemeinwesen betrifft), Objekt (z. B. wenn es um Themen, Ereignisse, die hohe Emotionen auslösen, geht), Lebensraum (z. B. wenn es um den konkreten Lebensort, einen konkreten Lebensabschnitt geht), Zeit (z. B. wenn es um eine konkrete geschichtliche Gegebenheit im Hier und Jetzt oder ein konkretes Projekt geht). Bei Bildung, die bei der Betroffenheit ansetzt, geht es stets primär um Selbstwahrnehmung und Selbstverwirklichung. Gelungene Selbstverwirklichung ist immer in Bezug zu Grundwerten zu sehen, denn wir dürfen weder den Kontext noch die konkrete Lebenswelt ausblenden. Aktuell können hier u. a. den Bildungsinstitutionen die BNE, die Agenda 2030 und die beiden oben erwähnten Enzykliken einen guten Qualitätsmassstab bieten.

Ein neues Bildungskonzept war notwendig

2015 standen wir im Mattli Antoniushaus, dem franziskanischen Seminar- und Bildungszentrum, vor der Herausforderung, uns neu auszurichten. Unser Stammpublikum war weggebrochen, altershalber, aber auch bedingt durch die institutionelle Krise der Kirche. Kirchliche Orientierungshilfen (Moral, Ethik, Bildungsinhalte usw.) wurden auf ihre Glaubwürdigkeit hin hinterfragt. Ein neues Bildungskonzept sollte Klarheit und Transparenz schaffen und uns selbst herausfordern, unseren Standpunkt und unsere Angebote immer wieder neu zu hinterfragen.

Wir4 haben die kritische Anfrage von Ulrich Ruh zur Glaubwürdigkeit der Kirche zur Präambel gemacht: «Es geht um die Bereitschaft, die Wirklichkeit ehrlich und sensibel anzunehmen und Probleme in einem positiven Geist anzugehen.» Dies sollte sich in Zukunft sowohl in unserer Konzeptarbeit als auch in den Bildungsangeboten sowie im Geist des Betriebes widerspiegeln. Klarheit und Transparenz wollten wir auch in Bezug auf die Spiritualität schaffen. Im Bildungskonzept 2017 steht dazu: «Das Stichwort Spiritualität können wir, bezugnehmend auf den Brief des Apostels Paulus an die Römer (vgl. 12,9–21), als Leben aus dem Geiste bezeichnen. Im Brief an die Galater (5,22f) präzisiert Paulus, wie sich dies in unserem Leben widerspiegeln sollte: Die Frucht, die der Geist Gottes hervorbringt, besteht in Liebe, Freude, Frieden, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Rücksichtnahme und Selbstbeherrschung. Wer sich auf Gott einlässt, wer sich von dem Geist Gottes berühren lässt, der wird sein Leben und die Sicht auf das Weltgeschehen neu wahrnehmen und aus dieser Beziehung heraus neu gestalten (vgl. Gal 5,25).»

Dieses Wahrnehmen deutete Kardinal Carlo Martini SJ als Sehnsucht nach Authentizität, als Wunsch, die Welt richtig verstehen zu wollen.5 Dies ist Motivation und ethische Grundhaltung zugleich. Die Suche nach wahrhaftiger, oder wie man heute sagt, nach nachhaltiger Zukunft wirkt prägend. Getragen von der Zusage Gottes  sind wir zu dieser Suchbewegung eingeladen. Im konkreten Leben heisst das: Sei aufmerksam und klug, übernimm Verantwortung und bringe dich ein. Deine Gedanken, deine Fantasie, deine Kreativität, deine Liebe und dein Handeln, dein Engagement dürfen nicht fehlen, soweit es dir gut und richtig erscheint. Nimm deine Berufung, in der christlichen Tradition deine Berufung im Geist Jesu Christi, an. In der franziskanischen Weiterführung dieses Spiritualitätsverständnisses heisst das, dass es um die Botschaft der Einfachheit, Geschwisterlichkeit und um die Sorge für die Welt in ihrer Ganzheit geht. Wir ringen um einen nachhaltigen Lebensstil, um das solidarische Engagement aus dem Geist des Evangeliums in Verantwortung. «Die festgehaltenen Gedanken führten uns zur unabdingbaren Prämisse: Wenn nachhaltige franziskanische Bildungsarbeit geleistet werden soll, dann muss das Erkennen von Wirklichkeit und die Suche nach dem Notwendenden im Zentrum stehen. Daraus folgt unweigerlich, dass ein franziskanischer Bildungsansatz immer einem aufklärerischen Bildungsauftrag verbunden sein muss. Vor allem, wenn er sich zu einer ethischen Reflexion zu den franziskanischen Spiritualitätswerten Einfachheit, Geschwisterlichkeit, Sorge für die Welt und Orientierung am Evangelium Jesu Christi verpflichtet. In der biblischen Tradition könnte das als Bildung zum aufrechten Gang (Lk 13,10ff.), zum Leben in ganzer Fülle (Joh 10,10) und zur Freiheit (Röm 8,21 und Gal 5,1) in Verantwortung (1 Kor 10,23ff.) verstanden werden.»6

Bildung weiterentwickeln

Die planetaren ökologischen Belastbarkeitsgrenzen zeigen uns die Grenzen des Wachstums auf. Sie haben nicht nur schonungslos entlarvt, dass unser Konsumverhalten nicht nur nicht tragbar ist, sondern ein untaugliches Kompensationsverhalten für die ungeklärte Frage darstellt, was gelungenes Leben wirklich ist. Heutige Achtsamkeitskurse machen durchaus Sinn, weil sie zur Unterscheidung von Effizienz und Effektivität auffordern und nach gelungener Lebensgestaltung fragen. Aber sie lassen oft den solidarischen Blick zur Weltgestaltung vermissen, das heisst. sie lassen die politische Dimension der Achtsamkeit aussen vor.

Die Pandemie hat aufgezeigt, dass vergangene schulische Bildung zwar Ausbildung für bestimmte Funktionen bieten konnte, aber weder vernetztes Denken noch ehrliche und kritische Infragestellung von Informationen oder Klarstellung hinsichtlich eines ethisch verantworteten Freiheitsbegriffs vermittelt hat. Hier gilt es, bei den Ü25 anzusetzen. Ich bin gespannt, wo uns der weiterzuführende Bildungsprozess hinführen wird. Pace e bene!

Eugen Trost

 

1 Vgl. éducation21, Bildung für eine Nachhaltige Entwicklung (BNE) in Schule und Unterricht, Bern 2018.

2 Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung – eine Menschenrechtsagenda, unter Grundlagen auf www.humanrights.ch

3 Vgl. Übersax, Peter, Betroffenheit als Anknüpfungspunkt für Partizipation, Basel / Frankfurt a. M. 1991.

4 Wenn ich im Folgenden von «wir» spreche, dann ist damit der Vorstand der Trägerschaft (Franziskanische Laiengemeinschaft), die Geschäftsleitung und die Leitung «Bildung und Kultur» des Mattli Antoniushauses gemeint.

5 Vgl. Martini, Carlo Maria, Mein spirituelles Wörterbuch, Augsburg 1998, 149ff.

6 Bildungskonzept, Mattli Antoniushaus, Morschach 2017.

 


Interview-Partner Eugen Trost

Dipl. theol. Eugen Trost ist Dozent für Kirchliche Jugendarbeit und Studienleiter des CAS «Kirchliche Jugendarbeit».

 

BONUS

Folgende Bonusbeiträge stehen zur Verfügung:

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