Bärenstarke Bibelszenen

Vom Comic-Autor Ralf König stammt eine schräge Trilogie mit überraschenden und spannenden Nach- oder vielmehr Neuerzählungen biblischer Geschichten. Die drei Titel lauten: Prototyp (zu Adam), Archetyp (zu Noah) und Antityp (zu Paulus). Kunstgeschichtlich wäre der Antityp aber für wen anderen reserviert – nämlich für Christus!

Detail aus einer reich bebilderten «Biblia Pauperum». (Bild: Thomas Markus Meier)

 

Mittelalterliche Theologie verwandte gerne die Typologie: Typen, Vorbilder aus dem Ersten Testament, aber auch aus Geschichte oder Mythologie, werden als Vorabbildung der Jesus-Geschichte gedeutet. Jesus ist dann der Antityp im Sinn einer Gegenfigur. Diese Gegenüberstellung kommt bereits in den Evangelien vor. Wie Jona drei Tage und Nächte im Bauch des Fisches gewesen sei, so werde auch der Menschensohn drei Tage und Nächte im Schoss der Erde sein (vgl. Mt 12,39.40).

Dieses Bild für das Osterwunder sehen wir dargestellt in einer «Biblia Pauperum»: Oben wird der ersttestamentliche Josef in die Zisterne versenkt und Jona ins Meer. Auf der Seite vis-à-vis zu sehen: wie Jona schliesslich ans Land gespuckt wird und Samson die Stadttore von Gaza aushebelt und in die Freiheit tritt.

Landläufig wird gerne behauptet, eine «Biblia Pauperum», eine «Armenbibel», meine Bildgeschichten für Leseunkundige. Mitnichten! Im Mittelalter nämlich bezeichnete eine «Biblia Pauperum» ursprünglich unbebilderte (!) Kurztextfassungen der Bibel. Ab den 1770er-Jahren schliesslich wird der Begriff reserviert für eine Art Schaubildsammlung – in der Mitte, als Antitypus, eine neutestamentliche Szene, umgeben von vier Typen, Vorabbildungen, aus den Psalmen, den Propheten, anderen biblischen Büchern. Das Ganze flankiert von zwei Bildern, meist einem vormosaischen Exempel (hier Josef) und einem Beispiel nach der Gesetzgebung am Sinai (hier Jona).

Angeschrieben ist der verschlingende Fisch übrigens mit dem Genitiv «ceti» für Cetus, Walfisch. Dargestellt aber ist kein Säuger, sondern ein Fisch mit gut sichtbaren Kiemen. In der Bibel ist tatsächlich bloss die Rede von einem grossen Fisch – in der Rezeption wurde dieser mehr und mehr zum Wal. Am (sprach-)gewaltigsten wohl im Roman «Moby Dick». Er beschreibt den beinah schon apokalyptischen Kampf von Kapitän Ahab (dem Namen des schlechtesten Königs Israels per se!) mit der Urgewalt der Natur. Ahabs Gegenspieler in der Bibel war Elija; ihm folgte dann Elischa. Auch Elischa erlebt das überraschende Auftauchen ungebändigter Naturgewalt; in seinem Fall zu seinen Gunsten. 2 Kön 2,23.24 erzählt nicht vom fast vollständigen Untergang einer Schiffsmannschaft wie in Moby Dick, aber davon, wie 42 junge Leute einen Angriff zweier Bären nicht überlebt haben. Weil sie Elischa als Glatzkopf verspottet hatten, werden sie zur Strafe von den zottigen Bären zerrissen. Dargestellt wurde diese Szene (siehe Detailaufnahme) als Typus für die Verspottung des Heilands. Ich muss zugeben, in dieser Bibelstelle wenig spirituellen Tiefgang entdecken zu können – im Gegenteil: bei jeder Wiederlektüre stolperte ich von Neuem über diese Episode und wunderte mich, dass sie mir nicht im Gedächtnis blieb, dass ich sie jeweils geradezu wieder verdrängt halte.

Das ist ein Effekt der Typologien: Auf der Suche nach einem Aufhänger kommen Szenen ins Bild, die das Zentrum umrahmen, auch wenn sie selber tatsächlich so etwas wie Randphänomene bleiben. Anders gesagt, es kommen Episoden in Erinnerung, die sonst im Textmeer der Bibel fast untergehen. Übrigens: Aus einem ganz andern Grund habe ich die Stelle der 42 Jünglinge als Opfer von zwei Bären schliesslich doch nie mehr vergessen. Seit ich nämlich auf eine Notiz bei Mark Twain gestossen bin: Er berichtet, dass seine Lieblingstochter Susy bei der Lektüre dieser Bibelstelle über das ganze Gesicht gestrahlt habe, und aufatmend sagte: «Endlich einmal eine Bibelstelle, die gut ausgeht – für die Bären.»

Thomas Markus Meier


Thomas Markus Meier

Die Bibelsammlung von Thomas Markus Meier (Jg. 1965) versammelt auch eine Reihe typologischer Werke. Neben unterschiedlichen Ausgaben einer «Biblia Pauperum» auch solche des «Heilsspiegels» (Speculum humanae salvationis). Gezeigt werden können weiter typologische Werke wie die «Bible moralisée» oder der «Concordantia caritatis». Eine spezielle Preziose ist der «Petersborough-Psalter», worin einzigartig die Bibeldarstellungen der Typologie folgen: Die neutestamentliche Episode umgeben von ersttestamentlichen Typen/Vorabbildungen. Übrigens zeigt auch das älteste erhaltene illustrierte Neue Testament, der Codex Rossano, jeweils vier Figuren, Propheten oder David, die vorausweisen auf die illustrierte neutestamentliche Szene. Weitere Informationen: www.kath-frauenfeldplus.ch/bibelsammlung