Die Wislikofer Schule für Bibliodrama und Seelsorge und der Verein Bibliodrama und Seelsorge werden im kommenden Jahr zehn Jahre alt. Im Verein, der aktuell 52 Mitglieder hat, vernetzen sich die Absolventinnen und Absolventen der Ausbildung zur Bibliodrama-Leitung. Die Ausbildungen finden seit dem Jahr 2000 in Koopera-tion mit dem IFOK – neu TBI – statt. Mehr als 60 Seelsorgerinnen und Seelsorger haben daran teilgenommen. 2016 startet der siebte Ausbildungskurs unter dem Titel «Religiöse Erfahrungsräume öffnen».
Die Anliegen der Wislikofer Schule
Entgegen dem Trend, die Zukunft der Kirche durch Umstrukturierungsprozesse zu sichern, setzt die Wislikofer Schule auf die Beseelung der Pastoral von innen und von ihren biblischen Wurzeln her. Dieses Anliegen verbindet sie mit der Bewegung, die die Bibelpastorale Arbeitsstelle des Schweizerischen Katholischen Bibelwerks 2010 unter dem Titel «Biblische Beseelung der Pastoral» ins Leben gerufen hat.
Will die Kirche an ihrer Ausstrahlung und Glaubwürdigkeit arbeiten, dann ist neben der Schaffung von Strukturen, die Lebendigkeit und pastorale Kreativität fördern, vor allem die Personalsituation die grosse Herausforderung. Frauen und Männer in kirchlichen Berufen stehen nicht nur im Gegenwind gesellschaftlicher Prozesse, sondern auch kirchlicher Restrukturierungen. Ihre Berufsidentität ist bedroht von der zunehmenden Bedeutungslosigkeit der Kirche im gesellschaftlichen Diskurs und vom Vorbehalt der Kirche gegenüber der Berufung von sogenannten Laien für eine Aufgabe in der Kirche.
Seelsorgerliche Identität
Die Wislikofer Schule hat das Anliegen, Seelsorgende in diesen schwierigen Rahmenbedingungen zu stützen und ihre berufliche Identität weiterzuentwickeln. Dabei legt sie den Fokus auf die Berufung von Menschen. Berufung bedeutet in den biblischen Texten zunächst einmal nichts anderes, als dass mich Gott ruft und ich eingeladen bin, darauf eine Antwort zu geben. Berufung liegt idealerweise jeglicher Berufsidentität zugrunde. Sie ist ungeschuldet und unvermittelt, sie ist persönlich und schenkt Orientierung, gerade dann, wenn Strukturen brüchig und Entwicklungsprozesse unübersichtlich werden.
Bibliodrama bietet Raum für die Stärkung der eigenen Identität als suchender und glaubender Mensch und als Seelsorgerin und Seelsorger. Deswegen sprechen wir für die Ausbildung zur Bibliodrama-Leitung gezielt Seelsorgende an.
Glaubenskommunikation und Gemeindeentwicklung
Da nicht nur die Seelsorgenden, sondern alle Menschen Berufene sind, muss es in Hinblick auf die Kirche darum gehen, tiefer zu lernen, ob und wie Gott im Leben der Kirche und im persönlichen Leben eine bedeutsame Rolle spielt. Was in der Wislikofer Schule für Bibliodrama und Seelsorge eingeübt wird, sind Instrumente der Glaubenskommunikation. Sie zielen darauf ab, ein persönliches sowie ein gemeindliches Glaubensbewusstsein zu entwickeln. Gemeinden wollen leben, nicht nur verwaltet werden. Eine Gemeinde kann wachsen, wenn Gruppen und Verantwortliche miteinander Glaubenserfahrungen machen. Kommen Menschen in der Haltung als Berufene zusammen, dann entsteht ein geistliches Kraftfeld. Bibliodrama bietet Raum dafür. Es ist ein Instrument des Kirche-Werdens. Es erinnert die Teilnehmenden an ihre eigene Berufung und an ihre gemeinsame Verheissung. «Da wohnt ein Sehnen tief in uns nach dir, Gott» – in der Seelsorge geht es um dieses Sehnen der Menschen. Sehnen nach Trost, nach Halt, nach Orientierung. Sehnen nach Gerechtigkeit und Frieden. Wir sind davon überzeugt, dass die Kirche Ausstrahlung behält, wenn Menschen in ihr Raum für dieses Sehnen finden.
Ausbildung zur Bibliodrama-Leitung
Zentrales Anliegen der Wislikofer Schule ist die Ausbildung von Seelsorgenden zur Bibliodrama- Leitung. Ihr Grundmodell hat sich bewährt. In den vergangenen Jahren wurde es aber auch weiterentwickelt, um unseren Anliegen noch besser Rechnung zu tragen.
Es gibt geschlossene Module, in denen die Ausbildungs-Teilnehmenden unter sich sind und sich intensiv mit der Vollform des Bibliodramas beschäftigen. Gelernt wird dabei nicht nur eine Methode, sondern vor allem auch eine persönliche Haltung, die Haltung als Seelsorger, als Seelsorgerin.
Es ist die Arbeit an der eigenen beruflichen Identität und dem eigenen Verständnis von Pastoral an den unterschiedlichen kirchlichen Orten, sei es in der Pfarrei, im Spital, in der Erwachsenenbildung oder in der Jugendarbeit. Daneben gibt es offene Kurswochen, zu denen sich Interessierte anmelden können. Sie beschäftigen sich mit sogenannten Kleinformen bibliodramatischen Handelns und erweitern das eigene Repertoire an existenzieller Bibelarbeit. In ihnen werden die konkreten pastoralen Handlungsfelder von Seelsorgenden intensiver ins Zentrum gerückt, wie die Katechese mit Kindern- und Jugendlichen, die Bildungsarbeit mit Erwachsenen, die seelsorgerliche Gesprächsführung und die Liturgie.
Anders als die Vollform eines Bibliodramas, die zweieinhalb Stunden benötigt, lassen sich die bibliodramatischen Kleinformen flexibler in die pastorale Praxis einpassen. Leitende Frage ist: Wie kann ich in meinem pastoralen Handeln mit Gruppen und Einzelnen religiöse Erfahrungsräume öffnen und das Gespräch über den Glauben, über das, was trägt und Richtung gibt, in Gang bringen?
Um die gesammelten Erfahrungen der Wislikofer Schule im Bereich der Kleinformen über die Ausbildung hinaus auch anderen Seelsorgenden zugänglich zu machen, wurde 2008 ein Buch veröffentlicht. Es trägt den Titel «Geh in das Land, das ich dir zeigen werde» und wurde von Detlef Hecking, Claudia Mennen, Sabine Tscherner-Babl und Peter Zürn im Schwabenverlag herausgegeben.
Der Band bietet eine abwechslungsreiche Sammlung von Elementen aus dem Bibliodrama, zugeschnitten auf die Bedürfnisse des Gemeindealltags: leicht einsetzbare methodische Impulse zu verschiedenen Festen im Kirchenjahr, für Gruppen, Gremien und Liturgie sowie unterschiedliche Ziel-und Altersgruppen. Eine Fundgrube für alle, die haupt- oder ehrenamtlich in der Pastoral und in der Erwachsenenbildung tätig sind und sich für kreative Bibelarbeit interessieren.
Die jüngste Entwicklung betrifft den sogenannten Bibliolog, der ein erfahrungsbezogenes Gespräch über biblische Texte in grösseren Gruppen, mit begrenztem Zeitrahmen und auch im Gottes dienst erlaubt. In der Wislikofer Schule wurde er weiterentwickelt zum Bibliolog in Bewegung. Da es sich dabei um etwas ganz Neues handelt, sei es etwas ausführlicher beschrieben.
Was bedeutet Bibliolog in Bewegung?
Im klassischen Bibliolog sitzen die Teilnehmenden im Stuhlkreis. Die Leitung liest einen Bibeltext vor, unterbricht ihn und führt eine Rolle ein. Alle Teilnehmenden versetzen sich in diese Rolle. Die Leitung stellt ihr eine Frage. Wer möchte, kann in der Rolle eine Antwort geben. Andere Antworten schliessen sich an. Vielfalt ist angestrebt. Die Leitung wiederholt die Antworten in eigenen Worten. Dieses sogenannte «Echoing» verlangsamt und gibt der Antwort mehr Raum. Die antwortende Person hört, wie sie verstanden wurde, und kann allenfalls darauf reagieren. Ein kurzes Gespräch kann – muss aber nicht – entstehen. Im Bibliolog in Bewegung finden sich all diese Elemente auch. Mit einer entscheidenden Veränderung: Es gibt keinen Stuhlkreis. Teilnehmende und Leitung bewegen sich im Raum. Schauen wir uns ein Beispiel an.
Ein Elternabend, eine Retraite des Pfarreirates, die Sitzung der Katechetinnen oder des Liturgieausschusses: Die Teilnehmenden stehen in einer Ecke des Raumes. Die Leitung liest den Bibeltext von oben und sagt: «Du bist Mose. Hier ist die Steppe. Dort drüben liegt der Gottesberg Horeb. Treibe deine Herden in die Richtung.» Die Leitung geht bis zur Mitte des Raumes. Nachdem die Teilnehmenden dort angekommen sind, fragt sie: «Wie geht es dir auf deinem Weg?»
Die Teilnehmenden schlüpfen also auch körperlich in biblische Rollen und bewegen sich im Text. Die körperliche Identifikation steigert die Verbindung von biblischer Rolle und eigener Person, von Bibeltext und Lebenstext. Die äusserliche, körperliche Bewegung fördert die innere Bewegung. Es findet eine Verdichtung der persönlichen Erfahrung statt. Der Text wird räumlich erfahren. Seine Dimensionen im Raum kommen in den Blick bzw. werden wie in unserem Fall unter die Füsse genommen. Unser Text ist eine Weggeschichte. Er spielt unterwegs. Im Zwischenraum. Im offenen, gefährlichen, herausfordernden Raum zwischen bekannten, vertrauten Orten. Der Textraum ist existentieller Raum, ist theologischer Raum. Diese Dimensionen werden zugänglich.
Bibliolog in Bewegung als Geo-Theologie
Wer Erfahrungen machen will, muss sich bewegen. Wer die Welt, sein Leben und Gott erfahren will, der macht sich auf den Weg: geht aufrecht, gebeugt, ängstlich, neugierig, stolpernd, eilend über die Steppe hinaus zum Berg Horeb. Wer heiligen Boden betritt, setzt seine Füsse bewusst, zögernd, ängstlich, vertrauend auf, zieht seine Schuhe aus, oder auch nicht! Der Körper, der diese Wege geht und unterwegs verschiedene Bewegungen und Haltungen erprobt, bringt sich mit seiner eigenen Wahrheit in den Bibliolog ein.
Wie in unserem Modell von Bibliodrama wird der Text mit verschiedenen Stationen im Raum verortet. Wege und Bewegungen übernimmt die Leitung aus dem Text. Die Geschichte wird somit nicht nur gelesen und gehört, sie wird auch begangen. Die Raumaufteilung ist nicht nur Geografie, sie ist Geo-Theologie, d. h. nicht geografische Orte stehen im Vordergrund, sondern theologisch-existenzielle Erfahrungsorte.
Dabei gibt es nicht nur eine richtige Variante. Eine Raumeinteilung ist gelungen, wenn sie den Text verortet, äussere und innere Bewegung ermöglicht und vorhandener Dynamik Raum gibt.
Heterotope Erfahrungen
Im Hintergrund steht das bibliodramatische Modell von Andriessen und Derksen mit seinem Verständnis von biblischen Texten als Glaubensangebot. Unser Anliegen ist es, Menschen «heterotope» Erfahrungen zu ermöglichen, Erfahrungen an Andersorten. Den Begriff «Heterotopie» hat der Salzburger Dogmatiker Hans-Joachim Sander geprägt. Solche Orte legen die biblischen Texte selbst nahe. Da hört Jakob im Traum davon, dass er trotz allem gesegnet ist. «Ach, Gott wohnt an diesem Ort und ich wusste es nicht!» Da werden Propheten berufen und beauftragt, obwohl sie sich jung und unerfahren fühlen. Sie sind herausgefordert zu glauben, dass Gottes Mitgehen sie in Todes Schatten Schlucht bewahrt. Da erzählt der Mann aus Nazareth, dass «Adonai» kommt wie ein Dieb in der Nacht. Und da steht Mose am Berg Horeb auf heiligem Boden.
Biblische Texte bringen Erfahrungen mit Gott zur Sprache. Sie erzählen, wie Gott ruft, wie Gott stört und wie Gott ein Geheimnis bleibt. Menschen, die sich im Bibliolog in Bewegung auch körperlich diesen Andersorten, heiligen Orten, geheimnisvollen Begegnungsorten nähern, werden selbst Berufene, Suchende und Menschen voll Sehnsucht, die vom Geheimnis Gott ergriffen werden wollen.
Beim Bibliodrama-Symposion im Mai 2016 in der Propstei soll der Zusammenhang von hetereotopen und bibliodramatischen Erfahrungen mit Hans-Joachim Sander und anderen Referenten weiter erfahren und diskutiert werden.
Natürlich kann man heterotope Erfahrungen nicht machen – weder im Bibliodrama noch im Bibliolog noch im Bibliolog in Bewegung. Nein, machen kann man das nicht, aber damit rechnen und Raum dazu bieten, das geht.
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«Ach, Gott wohnt an diesem Ort und ich wusste es nicht»: Bibliodrama-Symposion vom 26. bis 28. Mai 2016. Information und Anmeldung: www.propstei.ch.
Was ist die Wislikofer Schule für Bibliodrama und Seelsorge? Mehr unter www.bibliodramaundseelsorge.ch und www.facebook.com/Wislikofer-Schule-fuer-Bibliodrama-und-Seelsorge.