«Das Christliche ist Jesus Christus»

Marian Eleganti sinniert über die Frage, ob es Gott gibt. Seiner Meinung nach gibt es mehr Argumente dafür als dagegen. Der Schlüssel dazu ist das Gebet um Erleuchtung.

Wir dürfen das Christentum nicht auf den barmherzigen Samariter reduzieren und nur ein innerweltliches Reich Gottes der universalen Brüderlichkeit propagieren. Ohne Christus bleibt es eine Utopie, denn wir vergessen den Fürsten dieser Welt. «Das Christliche ist Jesus Christus» (Romano Guardini). Sein Antlitz ist die Offenbarung des unsichtbaren Gottes, den kein Mensch jemals gesehen hat und zu sehen vermag. Sein Reich ist nicht von dieser Welt, aber entscheidend. Es ist in uns, wenn wir Jesus Christus gläubig annehmen. Dann empfangen wir den heiligen Geist, damit wir sein Reich sehen und in uns verwirklichen können. Es gelangt durch uns zu allen Menschen. «Geht hinaus in alle Welt und macht alle Menschen zu meinen Jüngern!» Das bedeutet: Wir müssen unser Innerstes auf Gott ausrichten und für die Ewigkeit leben. Gott hat sie, wie Kohelet sagt, in jeden flüchtigen Augenblick hineingelegt. Ohne Übernatürlichkeit und Transzendenz degeneriert das Christentum zu einem reinen, sich selbst als letztes Ziel setzenden Humanitarismus ohne Ausrichtung auf Gott und ohne die gläubige Annahme seines Sohnes. Auch Atheisten sind zu einer solchen Humanität fähig. Der christliche Glaube ist mehr. Das Faszinierende am Christentum ist nicht seine Ethik, sondern Jesus Christus selbst:

Licht vom Licht
Wahrer Gott vom wahren Gott,
Gezeugt, nicht geschaffen,
eines Wesens mit dem Vater.

Ich erinnere daran, dass niemand den Vater hat ohne den Sohn. Die Gotteskindschaft ist Teilhabe an seiner Sohnschaft. In seinem Geist rufen wir:  «Abba, Vater!» Das ist Evangelium. Wie kann man ein Kind Gottes sein und gleichzeitig die Gottessohnschaft Jesu ablehnen und bekämpfen? Hat der Vater nicht den Sohn gesandt, dass wir in ihm und im Glauben an seinen Namen das ewige Leben haben, Zugang zu Gott, dem Vater? «Ich bin die Tür. Alle, die vor mir kamen, sind Diebe!» – auch jene, die nach ihm kommen, sind es. Es sind inzwischen viele Antichriste aufgetreten. Wie Johannes sagt, kamen sie aus unserer Mitte.

Viele zweifeln an der Existenz Gottes. Für die heilige Schrift ist es Torheit, nicht an Gott zu glauben. Die Erklärung einer Schöpfung ohne Schöpfer führt in grössere Aporien der Vernunft als der Glaube an Gott.

An was alles glauben doch die Menschen, wenn sie nicht an Gott glauben! Es gibt keine Beweise für die Existenz Gottes oder gegen sie. Es gibt Argumente für sie – meiner Meinung nach die besseren –, wie es solche gibt gegen sie. Die Frage wird nicht durch Argumente entschieden. Auch Atheisten sollten nicht mehr behaupten, als sie können. Die Demütigen unter ihnen wissen, dass sie nichts wissen. Sie sind im besten Sinn des Wortes agnostisch (unwissend). «Wir aber sind zum Glauben gekommen, dass Jesus der Sohn Gottes ist», so lautet das Zeugnis der Apostel.

Der russische Mönch und Mystiker Starez Siluan gibt den Agnostikern einen Rat: Da du nicht wissen kannst, dass es keinen Gott gibt, bete für den Fall der Fälle: «Heiliger Gott, wenn es dich gibt, erleuchte mich!» Es kann in jedem Fall nur für den Ungläubigen ein böses Erwachen geben. Das ist reine Logik. Aber auch wir Gläubigen sollten in jeder Lage demütig um Erleuchtung bitten, für uns alle und für alle Menschen, denn «das Licht, das jedes Menschenherz erleuchtet, kam in die Welt.»

+ Marian Eleganti


Marian Eleganti

Dr. theol. Marian Eleganti OSB (Jg. 1955) ist 
emeritierter Weihbischof des Bistums Chur und war von 2011 bis 2018 Jugendbischof für die deutschsprachige Schweiz und das Tessin.