Was wir über das Leben des heiligen Benedikt wissen, finden wir vor allem bei Papst Gregor dem Grossen (ca. 540–604). Ihm zufolge stammte Benedikt aus Nursia, wurde um 480 geboren und starb 547 in seinem Kloster Montecassino. Über die Erzählung von der Schwester Benedikts, der heiligen Scholastika, verbindet Gregor der Grosse auch die Nonnen mit der Ursprungszeit unseres Ordens. Papst Paul VI. erklärte Benedikt 1964 zum Schutzpatron Europas. Wichtiger als die Person Benedikts ist für die Ausbreitung des Ordens seine Regel, die er gegen Ende seines Lebens schrieb. In einer Zeit grosser politischer, sozialer und kultureller Umbrüche sammelte er seine Mönche unter Regel und Abt in Gemeinschaften. Das erste Gelübde in unserem Orden ist darum die stabilitas, die Beständigkeit in der Gemeinschaft. Durch eine kluge Gewichtung von Gebet, Arbeit und Lesung in der dauerhaften Bindung an ein Kloster gibt die Regel Benedikts dem menschlichen Unabhängigkeitstrieb Leitplanken, um eine innere Freiheit zu gewinnen. Nicht das Fliehen der eigenen Leere, sondern die beständige Gottsuche führt gemäss Benedikt den Menschen zur Freiheit. Mit dem Gelübde der conversatio morum, dem klösterlichen Lebenswandel, bekennen sich Nonnen und Mönche in ihrem Alltag zur Einfachheit. Was sie erwirtschaften, gehört der ganzen Gemeinschaft und ist kein Privatbesitz. Dies ermöglicht einen gemeinsamen Freiraum für die Gottsuche. Dafür wird auch auf eine engere Beziehung zu einem einzelnen Menschen verzichtet. Indem Benedikt dem Gottesdienst den Vorrang gibt, schuf er eine Voraussetzung dafür, dass in einer Gemeinschaft soziale, ethnische und nationale Unterschiede keine Rolle spielen. Aus seinem positiven Welt- und Menschenbild heraus entwickelt Benedikt so ein Gemeinschaftsleben, in das sich die Einzelnen mit ihren Talenten einbringen können. Die Pflege der Freundschaft mit Gott zeigt sich dabei nicht nur im Gebet, sondern konkret auch in der Gastfreundschaft. Im Gast wird Christus aufgenommen, in der Gastfreundschaft wird der Glaube real: «Ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen» (Mt 25,35). «Suche Frieden und jage ihm nach!» (Ps 34,15), fordert Benedikt. Mönche und Nonnen sollen sich ein Leben lang aktiv um Frieden bemühen: im Rhythmus von Gebet, Arbeit und Lesung, in der Stille, in der Begegnung mit der Bibel, mit den Gästen, der Kultur und in der Natur. Den Frieden finden sie auch im Gehorsam gegenüber den Mitmenschen. Unser drittes Gelübde ist folglich der Gehorsam, was im Lateinischen oboedientia, «das Darunter-Hören» heisst. Das Gelübde fordert, genau hinzuhören, wo es die Versöhnung mit Gott, mit den anderen und mit sich selbst braucht. Versöhnung ist nämlich für Benedikt eine wichtige Grundlage für Frieden. Wenn in Klöstern fortwährend der Friede gesucht wird, können sie zu Zellen des Friedens werden.
Die gemeinsame Vision, Gott in der Gemeinschaft eines Klosters zu suchen, trägt Nonnen und Mönche in der Nachfolge Benedikts schon seit 1500 Jahren. Mögen sie auch noch heute die Botschaft von Freiheit, Freundschaft und Friede in diese Welt tragen.
Abt Urban Federer*