Das Evangelium ist kein Billy-Regal

Ikea hat Anfang des Jahres einen Katalog speziell für Israel herausgebracht. Die Berits, Frederikas, Hermines, Indiras und Minnas darin sind alles Möbelstücke. Keine einzige Frau ist abgebildet. Denn der Katalog richtet sich an eine ultraorthodoxe Kundschaft, immerhin elf Prozent der israelischen Bevölkerung.

Auf dem Titel ist dementsprechend ein Vater mit Kippa und Tallit und einem religiösen Buch in der Hand zu sehen. Zwei Jungen spielen auf dem Boden. Ikea hat sich für die Abwesenheit von Frauen in dem Katalog entschuldigt. Dies entspreche nicht den Werten, denen sich der Möbelgigant verpflichtet fühle. Allerdings hat IKEA schon 2012 in seinem Katalog für Saudi-Arabien Frauen herausretuschiert und auf diese Weise von der Bildfläche verschwinden lassen. Dabei ist das Haus gerade der Bereich, in dem diese sich dort relativ frei bewegen können.

Kritik an dem Vorgehen von Ikea ist billig. Offenbar heiligt der ökonomische Zweck die Mittel. Ausserdem können sich die Kritiker in ihrem schwarzweissen Weltbild bestätigt sehen: wirklich schlimm, die Diskriminierung der Frau in diesen Kulturen. Und das auch noch religiös legitimiert. Zum Glück ist das bei uns natürlich nicht der Fall.

Ikea – eine der wenigen globalen Einheitsformeln

Man kann die Sache auch anders sehen. In einer Welt, die immer mehr auseinanderdriftet und in der Rasse, Geschlecht, Religion, Sexualität oder Herkunft die Menschen voneinander entfremden, ist Ikea eine der wenigen globalen Einheitsformeln. Nicht was trennt, sondern was verbindet steht im Vordergrund. Sehr modernes Design lässt sich sogar mit religiöser Orthodoxie reimen.

Die Billy-Regale sind überall gleich und können durch jedermann (und jedefrau) zusammengebaut werden. Dafür ist nicht sosehr handwerkliches Geschick gefragt, pure Geduld ist ausreichend. Die Bauanleitungen mit Piktogrammen und Zeichnungen und ohne ein einziges Wort sind dafür eine gute Grundlage. Ikea verbindet die Welt im Ärger über fehlende Schrauben und blau geschlagene Daumen.

Sicher: Die Wohnzimmer, Küchen und Schlafräume sehen überall gleich aus. Ästhetische Homogenität ist der Preis, denn wir für die Ikeaisierung der Welt bezahlen. Zwar passt sich das Unternehmen an lokale Eigenheiten an, doch das bleibt eine Äusserlichkeit. Die Restaurants in Israel bieten koscheres Essen an, in Saudi-Arabien sind die Köttbullar halal und haram. Mit der Anpassung an die Gegebenheiten vor Ort sollen die Kunden zum Kauf eines einheitlichen Produkts verführt werden. Ikea verfolgt dieselbe Strategie wie andere globale Unternehmen. Cola und Burger schmecken (beinahe) überall gleich. Auch die Kataloggestaltung von Ikea ist in dieser Hinsicht konsequent. Sie spiegelt die Lebenswelt der jeweiligen Zielgruppe wider. Die lokale Verpackung transportiert die globale Einheitsästhetik.

Ikeaisierung der Kirche

Der katholischen Kirche ist diese Strategie nicht ganz unvertraut. Sie ist ebenfalls wie ein weltweites Unternehmen aufgebaut, mit einer Zentrale in Rom, einer hierarchischen Struktur und einem Netz an Filialen. An jedem Platz der Erde weiss der Katholik, welcher Pfarrer für ihn zuständig ist. Zwar ist dieses Prinzip durch die immer grösseren pastoralen Räume faktisch ausgehöhlt, an der Idee wird festgehalten. Genauso liegt auch für jeden und jede eine Ikea-Niederlassung am nächsten Autobahnkreuz.

Die Ikeaisierung der Kirche hat manchmal merkwürdige Folgen. So entscheiden Kirchenbeamte in Rom darüber, welche Lieder in der Sonntagsmesse der Dorfkirche gesungen werden. Ein weltweites Netz von Diözesen wird fiktiv aufrechterhalten, indem Weihbischöfe ein Bistum in einer Gegend zugeteilt bekommen, die keine Katholiken kennt und die sie selbst niemals zu Gesicht bekommen.

Evangelium ist kein Billy-Regal

Das Evangelium ist aber kein Billy-Regal. Papst Franziskus hat deutlich gemacht, dass er die Kirche nicht wie ein globales Unternehmen führen will. Rom soll nicht mehr alle Entscheidung anziehen, sondern sie sollen vor Ort getroffen werden. So ist das Schweigen zu erklären, das Franziskus der Anfrage von Kardinälen zukommen liess. Sie drängten ihn zu einer eindeutigen Antwort auf die Frage, wie nach Amoris Laetitia mit wiederverheirateten Geschiedenen umzugehen sei. Die Kardinäle verstanden nicht, dass der Papst ihnen eine Antwort gegeben hat, indem er ihnen nicht antwortete. Stattdessen sieht er die jeweilige Ortskirche in der Verantwortung.

Die katholische Kirche ist wie Ikea eine der wenigen globalen Spieler. Beide bauen Brücken und verbinden Menschen. Doch für die Kirche sind Unterschiede nicht äusserlich, sondern wesentlich. Was die Schweden von der Kirche lernen können ist, dass Differenzen wertvoll sind und Zusammenhalt nicht zum Preis der Einheitlichkeit herzustellen ist. Das Evangelium ist kein Einheitsbrei, es hat viele Farben. Billy-Regale nur Birkenfurnier, Eschenfurnier, schwarz oder weiss.

 

Stefan Gärtner

Stefan Gärtner

Dr. habil. Stefan Gärtner, geboren 1965, ist Assistant Professor Praktische Theologie an der Universiteit van Tilburg in Tilburg (NL ).