«Das Leben ist sowieso lebensgefährlich»

Das Gewissen als ethische oder moralische Instanz gehört zu jedem Menschen und kann schicksalhaft für sein Leben sein. Gewissensentscheide sind deshalb oft ein Thema in Filmen.

Der Satz «Das Gewissen ist eine Uhr, die immer richtig geht. Nur wir gehen manchmal falsch» wird Erich Kästner als Zitat zugeschrieben. Der bekannte Autor hat sich in seinen Erzählungen und Gedichten immer wieder mit Fragen von Gut und Böse und den Entscheidungen des Gewissens beschäftigt. Im Film «Kästner und der kleine Dienstag» (D 2016, Regie: Wolfgang Murnberger) wird der zum Zeitpunkt des Kennenlernens siebenjährige Hans Albrecht Löhr, der im (ersten) «Emil und die Detektive»-Film die Rolle des «Dienstag» spielt, für eine Zeit zum mitlaufenden Gewissen für den Dichter: Als Kästners Bücher verbrannt werden und er Schreibverbot erhält, ist er ständig im Zweifel, ob er mehr tun könne, um seinen eigenen moralischen Ansprüchen gerecht zu werden. Im Film zitiert der «kleine Dienstag» Kästner mit den eigenen Worten: «Seien wir ehrlich, das Leben ist immer lebensgefährlich.»

Schicksalhaftes Mitwissen

Die ursprüngliche Bedeutung unseres deutschen Wortes «Gewissen» (von griech. «syneidesis») ist «in einer Sache Mitwisser sein». Der Widerstreit, wie man mit diesem «Mehr-Wissen» umgehen soll, findet sich daher besonders im Gewissenskonflikt des «Whistleblowers» (= Hinweisgebers): Soll ich der Verpflichtung nachkommen, zu schweigen, oder habe ich eine moralische Verpflichtung zur Weitergabe meines Wissens? Einer der bekanntesten Whistleblower ist sicherlich Edward Snowden, dessen Schicksal Stoff mehrerer Filme geworden ist (z. B. «Snowden», USA 2016, Regie: Oliver Stone). Diese Art von Gewissenskonflikt ist aber nicht ausschliesslich ein Phänomen der Gegenwart. Der Regisseur Roman Polanski rollt in «Intrige» (F/IT 2019) die sogenannte «Dreyfus-Affäre» (= die fälschliche, antisemitisch motivierte Verurteilung eines jüdischen Offiziers der französischen Armee wegen angeblichen Landesverrats) aus der Perspektive des Offiziers Marie-Georges Picquart auf, der auf Beweise für Dreyfus’ Unschuld stösst und sich für die Rehabilitierung des Verurteilten einsetzt. Der Offizier Picquart ist selbst nicht frei von Schuld an der Verurteilung von Dreyfus, aber sein Gewissen gebietet ihm, sich für die Aufdeckung der Wahrheit einzusetzen. Um sein Vorhaben umzusetzen, ist er auf Helfer wie Émile Zola («J’accuse ...») angewiesen.1 Polanski erzählt den historischen Fall mit deutlichen Bezügen zur Gegenwart.

Tödliche Entscheidung

Auch der Film «Ein verborgenes Leben» (USA/D 2019, Regie: Terrence Malick) schildert im Kampf eines Einzelnen gegen systematisches Unrecht einen historischen Fall, der in der Filmerzählung universale Wirkung erhält: Der oberösterreichische Bauer Franz Jägerstätter gerät 1943 durch seine Einberufung zur Wehrmacht in einen Gewissenskonflikt. Aus religiösen und moralischen Gründen verbietet ihm sein Gewissen, das verbrecherische nationalsozialistische Regime zu unterstützen, gleichzeitig bringt er durch dieses Handeln nicht nur sein eigenes Leben, sondern auch das seiner Frau und der drei Kinder in Gefahr. Zudem stellt er die Entscheidung seiner Umwelt, den Dienst an der Waffe als Vaterlandspflicht zu begreifen, infrage. Trotz aller Anfeindungen in seinem Dorf und entgegen dem Rat von Ortspfarrer und Bischof verweigert er den Eid auf Hitler und wird 1943 wegen «Wehrkraftzersetzung» zum Tode verurteilt. Wussten nicht viel mehr Menschen das, was auch Jägerstätter sah, der «nur» ein einfacher Bauer war? Bis zu welchem Punkt trägt das eigene Gewissen und wozu bin ich bereit?

Erich Kästner hat als Dichter immer klar Stellung bezogen, war aber im Alltag nicht vor Kompromissen und (aus Gründen des Überlebens) vor einer gelebten Doppelmoral und einem beständigen Gewissenskonflikt gefeit. Seine Einsicht, dass «die Uhr des Gewissens richtig geht, man selber aber oft falsch», bleibt auch für uns gültig.

Martin Ostermann

 

1 Der Schriftsteller und Journalist Émile Zola prangerte 1898 in einem Artikel («J‘accuse…!» den Justizirrtum an 130 Dreyfus öffentlich an und musste in der Folge aus Frankreich fliehen, um einer Haftstrafe zu entgehen.

 


Martin Ostermann

Dr. theol. Martin Ostermann studierte Theologie, Philosophie und Germanistik in Bochum. Von 2014 bis 2020 war er Studienleiter bei Theologie im Fernkurs. Seit Juli 2020 ist er Leiter der Fachstelle «Medien und Digitalität» des Erzbistums München und Freising. Als Mitglied der Katholischen Filmkommission für Deutschland, Prüfer bei der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) und als Lehrbeauftragter der katholischen Universität Eichstätt und der Universität Erfurt engagiert er sich im Rahmen der Medienpädagogik mit dem Schwerpunkt der Spielfilmarbeit, vor allem in theologischer Perspektive.