SKZ: Wie haben Sie Ihr künstlerisches Talent entdeckt?
Manuel A. Dürr: Das habe ich meiner Mutter zu verdanken. In den Bekenntnissen des Augustinus gibt es den Satz: «Unmöglich, dass ein Sohn solcher Tränen verloren gehe.» Damit kann ich mich identifizieren. Auch verdanke ich der endlosen Geduld meiner Mutter die entscheidenden Impulsein meiner Jugendzeit. Das Gestalten gehörte irgendwie einfach immer dazu. Und natürlich geschieht der Lebensweg in so unendlich vielen kleinen Schritten, dass die Schlüsselmomente sich kaum ausmachen lassen.
Was möchten Sie mit Ihrer Kunst bewirken respektive aussagen?
Die Malerei hat in der Neuzeit viele Identitätskrisen durchgemacht. Die Fotografie, der erste Weltkrieg und das Internet haben sie in Auktionshäuser und Museen gedrängt. Oft wird die Malerei für obsolet gehalten. Ich schätze sie als eine ganz spezielle Art von Zuwendung. Ein Gemälde sagt: «Schau genau hin – ich bin (irgendwie) wichtig.» So verstehe ich auch einen Teil der Berufung zur Kirche: der Welt eine Perspektive zu eröffnen, wie die Dinge sind und sein könnten. Diese Perspektive ist im Alltag, in der rein aufs Diesseits bezogenen Geschäftigkeit oder in der modernen Gottvergessenheit oft verschüttet.
Was würde Ihnen fehlen, wenn Sie sich nicht durch Ihre Kunst ausdrücken könnten?
Malen ist nicht zuletzt eine Einübung ins genaue Hinsehen. Ob eine Landschaft, ein Konzept oder ein Gesicht – Bildfindung ist immer eine dialektische Angelegenheit, die ein sich Einlassen auf das Gegenüber fordert. In dem Sinne öffnet das Malen meinen Blick für die Welt. Das kann aber natürlich auch schiefgehen. Der Rückzug ins Atelier und das Selbstgespräch vor der Leinwand sind auch eine Gefahr. Kunst kann dann weltfremd werden. Andererseits hat auch der weltfremde Aspekt der Kunst seine Berechtigung; die Distanz zu allem kann ja auch neue Perspektiven öffnen. Grundsätzlich gefällt mir das Verschwenderische an der Kunst; sie dient nicht im strengen Sinne einem Zweck. Das macht sie nicht nutzlos, sondern erinnert vielleicht daran, dass wir nicht alles verzwecken müssen. Auch hierin gleicht die Kunst der Religion.
Haben Sie ein künstlerisches Vorbild?
Viele! Besonders am Herz liegt mir die russische Avantgarde des 19. Jahrhunderts, die sogenannten «Wanderer», die sich gegen das Zarentum, gegen die Leibeigenschaft und für eine neue Spiritualität in der Moderne einsetzten. Lev Tolstoi in der Literatur und Ilja Repin in der Malerei sind ihre berühmtesten Vertreter. Mir gefallen die Energie und Konsequenz, mit der sie sich für ihre Anliegen einsetzten.
Wo holen Sie sich Ihre Inspiration?
Üblicherweise kann ich sie mir leider nicht holen. Sie kommt, wann sie will. Oft dann, wenn ich sie nicht will, z. B. beim Einschlafen. Die besten Einfälle fallen einem zu, es braucht aber schon Disziplin und Erfahrung, sie nicht wieder zu verlieren. Ich glaube, man kann Bedingungen schaffen, in denen Inspiration wahrscheinlicher wird. Wie Heinrich von Kleist in seinem Aufsatz «Die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden» beschreibt, formen sich die Ideen im Akt des Schaffens selbst. Ich beginne frühmorgens jeweils auch ohne Inspiration zu arbeiten.
Wie ist das abgebildete Werk entstanden und was möchten Sie damit sagen oder bewirken?
Am Ende von Berthold Brechts Dreigroschenoper kommt ein kurzes Gedicht vor, das mich vor einiger Zeit bewegt hat. Ich arbeitete damals in einem Betagtenheim und war betroffen von der Tatsache, dass da Menschen praktisch in völliger Verlassenheit lebten. Man wusste nicht recht wohin mit ihnen und oft wussten sie es selbst nicht. Das ist ein Problem, das einem in der hochbeschäftigten sogenannten «Blütezeit des Lebens» kaum bewusst ist. Diese Menschen tauchen auf dem Radar manchmal gar nicht mehr auf. So ist das Bild eine etwas groteske Verbildlichung von Brechts Gedicht: «Denn die einen sind im Dunkeln / Und die anderen sind im Licht. Und man sieht nur die im Lichte / Die im Dunkeln sieht man nicht.»
Welches Projekt verfolgen Sie momentan?
Gerade arbeite ich an einer Serie über die zehn Gebote. Die Werke werden in verschiedener Form im Zusammenhang mit Lesungen von Fulbert Steffensky erscheinen.
Interview: Brigitte Burri