Die Anwege zu einem Dienst in der Kirche sind sehr unterschiedlich. Unter den Studierenden sowie den Berufseinsteigerinnen und -einsteigern befinden sich Menschen verschiedenen Alters, mit Erfahrung in anderen Berufen und auch in Führungspositionen. Die Kirche selbst und mit ihr die Pastoral sind in einer Umbruchsituation. Die SKZ sprach darüber mit Agnell Rickenmann, Regens des Bistums Basel.
SKZ: Wo liegen angesichts dieser Situation die Herausforderungen?
Agnell Rickenmann: Natürlich ist es fast ein Ding der Unmöglichkeit, jeder und jedem in allen Punkten gerecht zu werden, d.h. die individuellen Anwege und Vorkenntnisse in allem zu berücksichtigen. Dennoch versuchen wir in vielen individualisierten Programmen in den bereits vorhandenen Gefässen das Beste zu machen. Gleichzeitig, darin liegt der andere Teil der Herausforderung, müssen wir Mitarbeitende haben, die nicht nur Individualisten sind, sondern sich in die kirchliche Kultur einfügen und sich positiv einbringen können, ein gemeinsames Mindestniveau haben und auch vergleichbare und klare Kompetenzen in den Anforderungskriterien mitbringen.
Und was heisst dies für die Berufseinführung und die Pfarreien, Seelsorgeteams und Kirchgemeinden, auch im Blick auf Personalförderung und -planung?
Das gegenwärtige System der Berufseinführung wird im Moment durch eine aus Spezialisten zusammengesetzte Arbeitsgruppe revidiert und durch modulare Elemente in der berufsbegleitenden Vorbereitung ergänzt sowie den aktuellen Ansprüchen angepasst, sodass besser auf die individuellen Ausgangsbedingungen eingegangen werden kann. Dadurch wird die Berufseinführung flexibler und durchlässiger. Diese Durchlässigkeit sollte nicht nur in der Berufseinführung, sondern auch in den übrigen Studiengängen und -angeboten Menschen allen Alters noch mehr motivieren, einen kirchlichen Beruf zu ergreifen.
Mit welchen Erwartungen der Pfarreien und Kirchgemeinden an die Berufseinsteiger werden Sie konfrontiert?
Dies ist sehr unterschiedlich. Sehr oft geschieht zunächst etwas Paradoxes: Alle schreien «Wir haben zu wenig Personal!», wenn es dann aber darum geht, Berufseinsteigerinnen und -einsteiger aufzunehmen, heisst es oft ziemlich schnell «Wir haben keine Kapazität, Neue einzubeziehen.» Weil man sich um diese auch kümmern müsse und die Berufseinführung einen zusätzlichen Zeit- und Kostenaufwand bedeute. Bisweilen denken Seelsorgende, die bereits länger im Beruf stehen, wie auch Vertreterinnen und Vertreter von Kirchgemeinden, die Ausbildung müsse möglichst schnell gehen und wenig Aufwand bereiten – das ist aber genau das Konträre zu aller Ausbildungslogik für Menschen, die andere spirituell auf ihrem Glaubens- und Lebensweg begleiten sollen. Das kann für die Berufseinsteigerinnen und -einsteiger wie aber auch für uns als Ausbildungsteam manchmal recht herausfordernd sein.
Die Generationen Y und Z kommen in die Ausbildung oder machen ihre ersten Schritte im kirchlichen Dienst. Was ist ihnen wichtig?
Ich nehme drei Aspekte im Besonderen wahr: Das Pochen auf Flexibilität und den Hang zu Unverbindlichkeit, wie es unlängst ein humorvolles Plakat festhielt: «Ich habe mich entschieden, ich komme – vielleicht!». Als dritten Aspekt ist die ganz eindeutige Digitalisierung von Wirklichkeit und Wahrnehmung zu nennen, das selbstverständliche Umgehen mit elektronischen Kommunikationsmitteln jeglicher Art. Dazu kommt ein immer stärker werdender Hang zur Gleichzeitigkeit, also etwa von beruflicher Tätigkeit, Familie und Studium zugleich. Kirche und Pfarrei werden daher eher als etwas Punktuelles, Projektbezogenes, von Gruppendynamik Abhängiges verstanden, statt als feste Institution mit traditionellen und regelmässigen, von manchen oft als langweilig empfundenen Angeboten.
Junge Frauen und Männer mit Erfahrungen von jugendlicher und lebendiger Kirche an Weltjugendtagen u.a.m. treffen im pastoralen Dienst auf eine andere kirchliche Realität. Wo sehen Sie Konflikt- und Entwicklungspotenzial?
Ich denke, dass die Kirche die Grosszügigkeit, die Kreativität und Begeisterungsfähigkeit der jungen Menschen unbedingt braucht. Daher ist es zwar gut, dass wir vielfach Seelsorgerinnen und Seelsorger aus den mittleren Lebensjahren rekrutieren dürfen, aber: Wir brauchen auch wirklich junge Leute von 20 Jahren, die den neuen Wind der neuen Generation einbringen. Hier sehe ich Chancen und Konfliktpotenzial: Nicht immer verstehen ältere Seelsorgende jüngere Menschen und ihre Bedürfnisse nach tiefer Spiritualität und nach klaren Formen. Dies ist bei ihnen nicht gepaart mit einem kirchlichen Verständnis der Vergangenheit, weil diese Generation gar kein oder wenigstens kaum ein Fundament dazu hat.
Das Fernstudium in Theologie an der Universität Luzern erfreut sich grosser Beliebtheit. Weshalb?
Eine Präzisierung vorab: Die theologische Fakultät nennt dieses Studium nicht mehr Fernstudium, um Missverständnisse zu vermeiden, sondern Flex-Studium. Dies, weil neben den im Fernmodus besuchten Vorlesungen auch Präsenzelemente – Blockkurse, Examen, andere spezifische Veranstaltungen – dazugehören und der Besuch von Vorlesungen im Präsenzmodus dazu individuell möglich ist. Für die Beliebtheit dieser Möglichkeit sehe ich zwei der oben genannten Gründe – die Flexibilität und die Gleichzeitigkeit. Also kommt zum einen die freie Wahl der Zeiten und Orte, an denen man digital Vorlesungen folgen kann, dem Lebensstil vieler Menschen heute fast punktgenau entgegen. Das bedeutet zum andern, dass man neben Beruf und allenfalls Familie und den übrigen freizeitlichen und ehrenamtlichen Engagements das Studium in dafür individuell eigens reservierten Zeitfenstern machen kann.
Wie gestalten Sie die Studierendenbegleitung für Flex-Studierende?
Für uns im Ausbildungsteam und in der Diözese ist es klar, dass, wenn jemand ein Flex-Studium macht und nachher in den kirchlichen Dienst kommen will, sie oder er die Veranstaltungen der Studienbegleitung in Luzern regelmässig besuchen soll. Es muss garantiert sein, dass sich diese Studierenden sozusagen mit der «physischen» Realität des Bistums vertraut machen können. Denn ohne diese Realitätserfahrung wäre ein wesentlicher Aspekt der Ausbildung nicht gewährleistet: Die ganzheitliche Einbindung eines Menschen in die kirchliche Realität beinhaltet das Kennenlernen der Strukturen und der Mitarbeitenden. Zudem müssen die Studierenden auch eine geistliche Begleitung wahrnehmen, und der Prozess ihres spirituellen Wachstums muss für uns sichtbar sein. Anderenfalls riskieren wir, Menschen aufzunehmen, die wir nicht kennen und die uns auch nicht kennen.
In Publikationen ist öfters von Charismenförderung zu lesen. Wieweit stehen sich Charismenförderung und das Aufgabenheft eines angehenden Priesters oder einer angehenden Pfarreiseelsorgerin einander auch gegenüber?
Es gibt hier nicht strikte Regeln oder reglementierte Handlungsanweisungen in der Art, wie die zu geschehen haben. Worauf wir aber ausdrücklich schauen – es gibt dazu extra einen eigenen Tag während der Berufseinführung –, ist die gegenseitige Wertschätzung der jeweiligen Rollen und auch der Respektierung der damit verbundenen Kompetenzen und Grenzen. Hier schleppen wir in der Kirche Schweiz sicher noch Altlasten mit, die im Blick auf die gegenseitige Achtung gemindert werden können.
Braucht es neue Leitmotive für die Gestaltung der einzelnen kirchlichen Berufe?
Wenn ich eine verbindliche Antwort auf diese Frage wüsste, wäre ich wohl der gefragteste Pastoraltheologe der Schweiz. Ich sehe zum einen die Notwendigkeit einer klaren Christusbezogenheit unseres pastoralen Tuns und Lebens als Priester, Diakone und Pfarreiseelsorgerinnen und -seelsorger. Zum andern kommt die notwendige Liebe zur Kirche, als oft – von uns selbst – geschundenem Leib Christi, ohne die man wohl ob der vielen Skandale, Anfragen und Sorgen verzweifeln müsste.
Interview: Marria Hässig