Ein Modellfall für Problematik und Aporien der röm. Liturgie von 1962*
Weniger im Fokus der liturgischen Arbeit und Reflexion in den deutschsprachigen Ländern ist das Ende 1997 errichtete Erzbistum Vaduz. Die Einladung von Erzbischof Wolfgang Haas zur diesjährigen Chrisam-Messe hat allerdings grössere Aufmerksamkeit gefunden, denn diese wurde zum dritten Mal seit 2013 im tridentinischen Ritus in jener Fassung gefeiert, die im Jahr 1962 vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil in der römisch-katholischen Kirche in Gebrauch war. Erzbischof Haas kündigte in seinem Einladungsschreiben zugleich an, "bis auf weiteres" mit dieser Praxis fortfahren zu wollen. In diesem Zusammenhang stellen sich schwerwiegende Fragen, zum Beispiel nach der Rechtmässigkeit dieses Tuns, nach theologischen und rechtlichen Konsequenzen oder nach der Einheit der Kirche und der Stellung des Bischofs im Gottesvolk, dem er vorsteht. Auch wenn es zunächst um einen Einzelfall geht, verdeutlicht dieser zugleich darüber hinaus die Problematik und die Aporien, in die sich die katholische Kirche durch die seit 2007 bestehende Koexistenz zweier Formen des römischen Ritus gebracht hat. Im Anschluss an bestimmte Nachfragen soll in diesem Beitrag auf einige grundlegende Probleme ausführlicher eingegangen werden.1
Gegen die Ordnung der Kirche
Die von Erzbischof Haas gewählte Gestalt der Chrisam-Messe wurde durch die Reform des Missale Romanum (1969/70) und der Feier der Ölweihen (1970) abgeschafft und durch eine neue Feierform ersetzt, die auf den theologischen und gestalterischen Grundlagen der Liturgiereform des Konzils aufbaut. Wie ist das Vorgehen des Vaduzer Erzbischofs angesichts der geltenden liturgischen Ordnung der Kirche zu bewerten?
Das Motuproprio "Summorum Pontificum" von Papst Benedikt XVI. (2007) zur Wiederzulassung der tridentinischen Form der römischen Liturgie in der letzten Gestalt vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil, auf das sich Erzbischof Haas möglicherweise stützt – andere Verlautbarungen kommen nicht in Frage –, kann nicht als Rechtfertigung dienen. Denn dieses sieht die tridentinische Form der römischen Liturgie als "ausserordentliche Form" neben der "ordentlichen Form" vor; das setzt auf jeden Fall die Existenz der ordentlichen Form als der Normalform voraus. Bei einer liturgischen Feier ganz besonderer Art, wie sie die einmal im Jahr gefeierte Chrisam-Messe darstellt, kann es von der Sache her aber keine solche Koexistenz von "ordentlicher" und "ausserordentlicher Form" des römischen Ritus geben.
Des Weiteren schliesst das Motuproprio Benedikts XVI. den Gebrauch des Missale Romanum von 1962 für die Feiern des Triduum sacrum aus.2 Nun könnte man spitzfindig argumentieren, dass seit der Liturgiereform das Österliche Triduum mit der Vesper bzw. der Abendmahlsmesse vom Gründonnerstag beginne3 und deshalb die Chrisam-Messe nicht davon berührt sei. Doch nach dem Massstab der vorkonziliaren Liturgie, um deren Feier es hier ja geht, ist der Sachverhalt anders zu beurteilen, denn in dieser war die Chrisam-Messe fest an den Gründonnerstag gebunden4 und zählte zum "Triduum sacrum" hinzu, auch nach der Karwochenreform von 1955/56.5 Die Instruktion "Universae Ecclesiae" der Päpstlichen Kommission Ecclesia Dei (30. April 2011) über die Ausführung des Motuproprio Summorum Pontificum erlaubt zwar für bestimmte feste Gruppen («coetus fidelium […] stabiliter existens»), die der vorkonziliaren Liturgie anhängen, entgegen der Weisung des Motuproprio die Feiern des Triduum sacrum auch in der vorkonziliaren Form, sogar dann, wenn deshalb in derselben Kirche zweimal nacheinander die Liturgie des betreffenden Tages gehalten wird,6 doch ist von der gesamten Argumentation her eindeutig, dass sich dies nicht auf die eine und einzige Chrisam-Messe in der Diözese unter der Leitung des Diözesanbischofs bezieht.
Damit stellt sich im Übrigen die Frage, ob nach kirchen- und liturgierechtlichen Kriterien die Weisung der Instruktion überhaupt Gültigkeit beanspruchen kann; denn eine Instruktion bietet vom Charakter des Dokuments her nur Ausführungsbestimmungen und darf nicht im Widerspruch zum Gesetz, das sie auslegt, stehen; das ist hier aber bezüglich der Drei Österlichen Tage der Fall; damit entbehrt die Instruktion in diesem Punkt eigentlich jeder Rechtskraft.7
Schliesslich könnte man entgegnen, die genannte Instruktion erlaube in ihrer Nr. 35 ohne Einschränkung den Gebrauch des 1962 in Gebrauch befindlichen Pontificale Romanum für die bischöfliche Liturgie; dazu setzt sie sogar alle seit dem Konzil erlassenen liturgischen Gesetze ausser Kraft (!), die eventuell mit der 1962 gebräuchlichen Ordnung der Liturgie unvereinbar sind.8 Daraus könnte man schliessen, dass die Ölweihen am Gründonnerstag nach dem genannten Pontifikale gehalten werden könnten. Wenn jedoch – wie oben dargelegt – die Chrisam-Messe nach dem Missale Romanum von 1962 für diese Feier nicht zugelassen ist, kann nicht im selben bischöflichen Gottesdienst das vorkonziliare Pontifikale benutzt werden; denn dann geschähe eine völlig unzulässige und liturgisch unsinnige Vermischung zweier Formen des römischen Ritus.9 Mit Rücksicht auf diese liturgierechtlichen Sachverhalte ist von der Unzulässigkeit der Chrisam-Messe nach dem Missale Romanum von 1962 und dem im selben Jahr gebräuchlichen Pontificale Romanum auszugehen. Die Feier in Vaduz war offensichtlich ein Verstoss gegen die kirchliche Ordnung, und das zum dritten Mal in Folge.
Ein Schaden an der Einheit der Kirche
Doch sind hier nicht nur liturgierechtliche, sondern auch theologische Aspekte ins Feld zu führen. Die Feier der Chrisam-Messe in der vorkonziliaren Ordnung ist ein schwerer Schaden an der Einheit der Kirche, denn diese wird gerade in den Kernzeiten des Kirchenjahres gelebt und in der Liturgie bezeugt. Dieser Riss wird auf höchster bischöflicher Ebene bewusst herbeigeführt. Trotz ihrer Zulassung werfen schon die Messe und andere liturgische Feiern in der ausserordentlichen Form des römischen Ritus erhebliche Fragen auf und widersprechen wesentlichen Gesichtspunkten heutiger theologischer Erkenntnis und kirchlichen Selbstverständnisses.10 Weit darüber hinaus geht es bei der Chrisam-Messe nicht um eine einzelne Messe unter vielen anderen im Laufe des Jahres, sondern um jene Eucharistiefeier, in der der Bischof, der "Hohepriester seiner Herde, von dem das Leben seiner Gläubigen in Christus gewissermassen ausgeht und abhängt",11 einem zentralen Gottesdienst in enger Verbundenheit mit seinen Priestern und der ganzen ihm anvertrauten Diözese vorsteht.12 Diese Eucharistiefeier hat in besonderer Weise die Einheit der ganzen Diözese auszudrücken und zu verwirklichen; das gilt auch für das Erzbistum Vaduz. Mit einer Feier auf Grundlage der liturgischen Bücher von 1962 wird aber eher Spaltung in die Diözese und das Presbyterium hineingetragen, als dass die Einheit des Bischofs mit seinen Priestern und dem ganzen Gottesvolk gelebt und je neu verwirklicht wird.13 Auch unter dieser Rücksicht stellt die Chrisam-Messe in der Erzdiözese Vaduz eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Lebens der Kirche und des Wohls der Gläubigen dar.
Der Bischof, isoliert vom Gottesvolk: keine Konzelebration, keine Kommunionausteilung
Der Erzbischof liess in seinem Einladungsschreiben weiterhin verlauten: "Es findet keine Konzelebration statt, und es wird auch keine Kommunion ausgeteilt. In der Missa Chrismatis kommuniziert nur der zelebrierende Bischof; alle anderen Anwesenden verbinden sich durch die geistige Kommunion mit dem eucharistischen Heiland." Dass diese Messe nicht in Konzelebration gefeiert werden kann, ergibt sich aus der Tatsache, dass die römisch-katholische Kirche bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil die sakramentale Konzelebration, wie sie heute sinnvollerweise geübt wird, nicht kannte. Erst die Konzilsväter gaben in der Liturgiekonstitution (Art. 57 und 58) den Auftrag, einen Konzelebrationsritus für die Eucharistiefeier zu schaffen. Dieser wurde 1965 eingeführt, ist also in keinem vorkonziliaren liturgischen Buch, wie Erzbischof Haas es benutzt, enthalten. Die Konzelebration ist gerade in der Chrisam-Messe als Manifestation kirchlicher "communio" von höchster Bedeutung. Das geltende Messbuch sagt in aller Klarheit: "Diese Messe (…) feiert der Bischof in Konzelebration mit seinem Priesterkollegium. Sie soll ein Ausdruck der Verbundenheit zwischen dem Bischof und seinen Priestern sein."14 Hier erlebt die Diözese gewissermassen die höchste Form der Eucharistiefeier innerhalb der Teilkirche. Beim Gebrauch des römischen Ritus in seiner vorkonziliaren Gestalt entsteht in den zentralen Punkten der Einheit der Kirche, der Gemeinschaft von Bischof und Presbyterium sowie im Verständnis der Eucharistie ein schwerer Widerspruch zur geltenden Ordnung der Kirche und deren theologischer Grundlage.
Noch in anderem Sinn wird die der Eucharistie von ihrem Wesen her inhärente "communio" nicht gelebt. Wenn nur der Bischof in der Chrisam-Messe kommuniziert, entspricht dies der vorkonziliaren Ordnung; im Missale Romanum von 1962 heisst es dezidiert: "In hac Missa sacram Communionem distribuere non licet" («In dieser Messe ist die Austeilung der heiligen Kommunion nicht erlaubt»). Allerdings ist, abweichend davon, im 1962 gebrauchten "Pontificale Romanum" immerhin noch vorgesehen, dass der Bischof allen anwesenden Klerikern die Eucharistie reicht; davon wurde im Einladungsschreiben nichts gesagt; offenbar galt die Rubrik des Messbuchs. Kann man aber Eucharistie feiern, ohne die volle "communio" zu vollziehen? Wie sagte Augustinus, als er vom Zusammenhang von Kirche und Eucharistie an die Neugetauften predigte: "Ihr sollt sein, was ihr seht, und sollt empfangen, was ihr seid": Leib Christi (Sermo 272). Der Ausschluss der Mitfeiernden von der Kommunion bedeutet für die Gläubigen eine gravierende Einschränkung ihrer sakramentalen Teilnahme. Jede Eucharistiefeier zielt darauf hin, dass alle Gläubigen in voller Form teilnehmen; dazu gehört als Normalfall, dass sie kommunizieren. Besondere persönliche Situationen, die einzelne Teilnehmer veranlassen können, aus guten Gründen auf die Kommunion zu verzichten, sind davon unberührt. Wenn ein Bischof die Eucharistie mit seiner Diözese feiert und sowohl die Priester und sonstigen Dienste als auch die Gläubigen von der Kommunion ausschliesst, liegt ein bedeutendes eucharistietheologisches Defizit vor. Dass am selben Tag die Gelegenheit zum Kommunionempfang in der Abendmahlsmesse besteht (darauf verweist Haas), ändert daran nichts. Mit der Verweigerung der Kommunion für die Gläubigen stellt sich Erzbischof Haas im Übrigen gegen das Kirchenrecht, demzufolge "jeder Getaufte, der rechtlich nicht daran gehindert ist, (…) zur heiligen Kommunion zugelassen werden [kann und muss]" (CIC 1983, can. 912). Und um noch auf andere Weise mit dem Kirchenrecht zu argumentieren: Das Vorgehen von Erzbischof Haas ist mit dem grundlegenden can. 899 des CIC 1983 über die theologische Bedeutung, die grundlegenden Vollzüge und die Mitfeier der Gläubigen an der Eucharistie sowie mit dem can. 918 über den Kommunionempfang der Gläubigen als Normalfall in jeder Messe unvereinbar.15
Zwischen persönlichen Vorlieben und Dienst an der Kirche
Bei der Feier der Chrisam-Messe in Vaduz ist eine Kirche in Erscheinung getreten, die die berechtigten Belange des Gottesvolkes missachtet. Der Bischof gibt offensichtlich seinen persönlichen Vorlieben und möglicherweise den Partikularinteressen einer Sondergruppe, nämlich der Priesterbruderschaft St. Petrus von Wigratzbad, die die liturgischen Dienste übernommen hat,16 höheres Gewicht als der Teilkirche, für die er in der Gemeinschaft der gesamten Kirche die Verantwortung trägt. Die Feier zeigt einen Bischof, der sich aus welchen Gründen auch immer – seien es typisch postmoderner Individualismus und liturgischer Subjektivismus, sei es ein theologisch unhaltbares Verständnis von Tradition, sei es ein schädlicher liturgischer Ästhetizismus oder eine bestimm te Ideologie, seien es noch andere Gründe – gegen die Ordnung der Kirche stellt, für deren Einhaltung er selbst als Bischof eine besondere Verantwortung trägt.17 Es ist das Bild einer Kirche – genauer gesagt einer Sondergruppe innerhalb der Kirche, denn mit diesem Gebaren stellt Erzbischof Haas nicht die ordentlich geltende Lehre, Disziplin und Praxis der katholischen Kirche dar –, die in überholten zeremoniellen Details ihr Heil sucht, sich aber dem theologischen Fortschritt eines halben Jahrhunderts und den Fragen der Gegenwart verweigert. Wenn man umfassender weitere Konzilstexte sowie spätere lehramtliche Verlautbarungen über das Bild, den Dienst und die Aufgaben des Bischofs in seiner Diözese hinzunimmt,18 wird der Widerspruch noch eklatanter. Wenn man den wiederholten Vollzug der Chrisam-Messe in dieser Form mit in Betracht zieht, hat sich im Grunde eine "Parallelkirche" entwickelt, die sich gerade in den Kernzeiten des liturgischen Jahres, die auch die Kernzeiten für das geistlich-liturgische Leben aller Getauften sind, auf höchst fragwürdige Weise selbst inszeniert.19
Der Vorrang der Diözese als Teilkirche innerhalb der Universalkirche
Von ihrer Bedeutung her ist die Chrisam-Messe eine der wichtigsten Feiern innerhalb einer Diözese. Das hindert nicht daran, dass auswärtige Teilnehmer und Gruppen hinzukommen. Jedoch kann die Chrisam-Messe sich nicht einseitig nach deren partikulären Interessen richten; vielmehr stehen die Belange der Diözese und deren geistliches Wohl an erster Stelle. Papst Johannes Paul II. sagt treffend zu den besonderen liturgischen Feiern des Bischofs in seiner Diözese, unter denen er die Chrisam-Messe eigens nennt: "Bei diesen Feiern tritt der Bischof in sichtbarer Weise als Vater und Hirt der Gläubigen auf, als ‹Hoherpriester› seines Volkes (vgl. Hebr 10,21), als Beter und als Lehrer des Gebetes, der sich für seine Brüder verwendet und mit dem Volk selbst den Herrn anfleht und ihm dankt …".20 Diese Aussage bezieht sich auf das Gottesvolk in seinem Bistum – und nicht auf irgendwelche von aussen kommende Sondergruppen wie etwa die Priesterbruderschaft St. Petrus.
Interessanterweise kündigte Erzbischof Haas in seinem Einladungsbrief an, dass die Erneuerung der Bereitschaftserklärung zum priesterlichen Dienst, "wie diese in der jetzigen Form der Chrisam-Messe vorgesehen ist", nach der Homilie gehalten werde, was nach verlässlichen Informationen auch stattgefunden hat. Diese Bereitschaftserklärung, die in den vorkonziliaren liturgischen Büchern nicht enthalten ist, wird dem klerusbezogen denkenden Erzbischof willkommen sein. Allerdings geschieht dabei eine Vermischung von ausser Kraft gesetzter und aktuell gültiger Form des römischen Ritus; eine solche Vermischung hat Papst Benedikt XVI. in seinem Motuproprio "Summorum Pontificum" nicht zugelassen; die Instruktion "Universae Ecclesiae" (Nr. 24) hat sie explizit ausgeschlossen.
Gelebte Einheit mit dem Bischof von Rom?
Insofern Erzbischof Haas in wichtigen Punkten der geltenden Ordnung der Kirche widerspricht, stellt er sich gewissermassen auch gegen die Einheit mit dem Bischof von Rom. Die hier an einem konkreten Fallbeispiel dargelegte Problematik reicht weit über die Chrisam-Messe hinaus; sie ist eklatant und führt die Kirche mit ihrer Liturgie in unauflösbare Aporien hinein. 21 Papst Franziskus hat sich bisher nicht ausführlicher zur Problematik der Koexistenz zweier Formen des römischen Ritus geäussert, die sein Vorgänger eingeführt hatte. Allerdings hat er mehrfach durch starke symbolische Akte im Zusammenhang der Liturgie seine grundsätzliche Orientierung verdeutlicht. Er hat unlängst noch durch die Erinnerung an die ersten Eucharistiefeiern in der Volkssprache (1965) den grundsätzlich richtigen Weg des Konzils und der Liturgiereform zum Ausdruck gebracht; diese Liturgie ist die Norm der Kirche. Das bewusste Leben von Einfachheit in der Kirche, zu der Papst Franziskus auch die Kardinäle, Bischöfe und andere kirchliche Verantwortungsträger wiederholt aufgerufen hat, um den Kern der Botschaft des Evangeliums in der Welt von heute zu unterstreichen, ist mit dem zeremoniellen Gehabe eines Erzbischofs Haas kaum in Einklang zu bringen. Wenn die Übereinstimmung in wesentlichen Punkten der Liturgie – dazu gehört die Chrisam-Messe – auch die Einheit innerhalb der Kirche unter der Leitung des Bischofs von Rom bezeugt, haben die Ereignisse in Vaduz noch erheblich weiter reichende Konsequenzen – wenn Liturgie wirklich mehr ist als eine beliebige rituelle Spielerei und wenn man sie in ihrer vollen theologischen Bedeutung im Leben und für das Leben der Kirche ernst nimmt.22
Akzente in der Liturgie der Chrisam-Messe heute
Eine zeitgemässe Feier der Chrisam-Messe verlangt an erster Stelle, dass sich der Bischof mit seinem Presbyterium und, soweit möglich, mit der ganzen Diözese oder wenigstens Vertretern aus allen Regionen und Dekanaten versammelt und mit ihnen die Gemeinschaft im Sakrament lebt. Wünschenswert – und faktisch auch oft geübt – ist die Teilnahme besonders jener Gläubigen, die im Laufe des kommenden Jahres mit den Ölen und dem Chrisam gesalbt werden: jugendliche und erwachsene Taufbewerber, Firmbewerber und Weihekandidaten. Ebenso wäre es denkbar, im Rahmen des Möglichen Kranke und alte Menschen hinzuzuladen, die in nächster Zeit voraussichtlich die Krankensalbung als Stärkung angesichts ihrer gefährdeten Gesundheit empfangen werden. So mit wird durch die vom Bischof geweihten Öle für die betroffenen Gläubigen sichtbar und konkret nachvollziehbar, dass sie beim Empfang des Sakraments in der Gemeinschaft mit dem Bischof in seinem Bistum und darüber hinaus mit der Kirche insgesamt stehen.
Die Chrisam-Messe in ihrer heutigen Gestalt legt einen besonderen Akzent auf die Gemeinschaft von Bischof und Presbyterium. Diese Gemeinschaft kommt in der Eucharistiefeier vor allem in der Konzelebration der Priester aus allen Regionen des Bistums mit dem Bischof zum Ausdruck. Durch eine persönliche Intervention von Papst Paul VI. wurde bei der Liturgiereform die "Erneuerung der Bereitschaftserklärung zum priesterlichen Dienst" eingeführt, die im deutschen Sprachgebiet nicht obligatorisch ist (das Messbuch sagt: "wo es üblich ist"23), aber in fast allen Diözesen regelmässig gehalten wird. Dadurch ist zu den Ölweihen ein weiteres prägendes Element hinzugekommen. Hier ist zu fragen, ob der Zeitpunkt für diese Erneuerung der Bereitschaftserklärung zum priesterlichen Dienst günstig ist; die Frage verschärft sich nochmals, wenn, wie in manchen Diözesen der Schweiz praktiziert, bei der Gelegenheit auch Diakone und Pastoralassistenten und -assistentinnen ihre Bereitschaft zum kirchlichen Dienst erneuern, um die Einheit mit dem Bischof im je spezifischen pastoralen Dienst der Kirche zu bekunden. Doch reichen diese Fragen schon über die Chrisam-Messe hinaus.
Die Chrisam-Messe hat nicht nur wegen der Ölweihen vor Ostern einen bedeutenden Platz, sondern ist auch ekklesiologisch hoch relevant. In ihr muss der Kern kirchlichen Lebens deutlich werden: die Einheit der Kirche insgesamt, die sich unter anderem in der Einheit der Liturgie ausdrückt; die Gemeinschaft der Gläubigen innerhalb der Teilkirche unter dem Vorsitz des Bischofs, die erstrangig in der Eucharistie unter voller und tätiger Teilnahme aller Mitfeiernden verwirklicht wird; die enge Verbindung des Bischofs mit seinem Presbyterium, die in der Konzelebration gelebt wird. Das ist eine hohe Aufgabe für jeden Bischof und jede Diözese. Die Liturgie der Kirche in der nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil geschaffenen Ordnung bietet dafür die adäquate Grundlage.
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*Der Untertitel lautet in seiner ganzen Länge: "Ein Modellfall für Problematik und Aporien der römischen Liturgie nach den Ausgaben von 1962".