Eine Tagung des Pastoraltheologischen Instituts der THC in Zürich
Aufbruch, Wandel – nur wohin …?" Unter diesem Motto stand eine Tagung, die das Pastoralinstitut der Theologischen Hochschule Chur am 11. Februar 2015 im Centrum 66 in Zürich veranstaltete. Über 60 Seelsorgende aus der gesamten Deutschschweiz waren der Einladung nach Zürich gefolgt und thematisierten die vielfältigen Herausforderungen, welche sich durch die Veränderung der Rollen im Pastoralen Dienst für ihren beruflichen Alltag ergeben. Prof. Dr. Manfred Belok führte zu Beginn in die Problematik der neuen Organisationsmodelle der territorialen Seelsorge ein und artikulierte als zentrale Frage der Tagung: Wie lässt sich das Berufsbild der Priester, Diakone, Pastoralassistentinnen und Pastoralassistenten in Zukunft gestalten?
Die katholische Kirche aus Konsumentensicht
Um die Debatte in Gang zu bringen, formulierte der Pastoraltheologe Prof. Dr. Rainer Bucher von der Universität Graz einige "Provokationen" und bündelte damit seine Sicht auf den aktuellen Transformationsprozess der katholischen Kirche: Religion vergesellschafte sich in Zentraleuropa immer mehr nach den Regeln des Marktes. Jede und jeder könne ihre/ seine persönliche Religion zusammenstellen und tue dies auch. Diese Individualisierung von Religion auf der Konsumentenseite hat nach Bucher tiefgreifende Folgen für die institutionelle Lebensform der katholischen Kirche, denn sie trifft die Kirche an einem wunden Punkt ihrer neuzeitlichen Geschichte. "Gegenwärtig muss die Kirche damit umgehen, dass mit ihr umgegangen wird und dass auch ihre stolze Institutionalität dies nicht verhindert – im Gegenteil", so Bucher.
Verflüssigung der Berufsrollen
Während er über die Metaphern der "liquid church" (Pete Ward) in einer "liquid modernity" (Zygmunt Baumann) reflektierte, betonte Bucher die Konsequenzen des kirchlichen Reichweitenverlusts für die Berufsrollen und nahm zuerst die Priester in den Blick. Niemanden treffe der aktuelle Machtwechsel im Verhältnis von Individuum und Religion härter als die Priester. Während Frauen in der katholischen Kirche, die vom Weiheamt Ausgeschlossenen, tendenziellen Gewinnerinnen dieser Entwicklung seien, so Priester, die mit dem Weiheamt Ausgezeichneten, tendenziellen Verlierer. Zwar seien Priester in der katholischen Kirche bekanntlich nach wie vor theologisch wie rechtlich hoch privilegiert, doch rutsche ihre konkrete Praxisrolle in ein dramatisches Anerkennungsdefizit.1
Priester im Anerkennungsdefizit
Während der Priester in seiner Berufsrolle früher viel stärker durch Status, Macht und Anerkennung gekennzeichnet war, ist er heute mit ganz unterschiedlichen Erwartungen konfrontiert. Zum einen wird die noch vor- oder schon wieder postmoderne Erwartung an ihn gerichtet, sakraler Heilsvermittler zu sein. Daneben muss der Priester sich als erfolgreicher Vor-Ort-Manager der Kirche bewähren. Drittens wenden sich Gläubige (und Nichtgläubige) an den Priester, damit er die Rolle der religiös-therapeutischen Lebensbegleitung übernimmt. Diese prinzipiell positiven Rollenzuschreibungen geraten im Rahmen des sich zuspitzenden Priestermangels unter Druck, da die dafür notwendige Erreichbarkeit und Zugänglichkeit der Priester im Widerspruch zu den immer grösser werdenden Pfarrei- und Gemeindestrukturen steht.2
Das ambivalente Berufsbild der Pastoralassistentinnen/-assistenten
Zwar hat die Volk-Gottes-Ekklesiologie des Zweiten Vatikanums die Bedeutung der Laien in der Kirche gestärkt und zur Entstehung einer eigenen laientheologischen Berufsgruppe geführt. Insgesamt stellt sich das Berufsprofil der Pastoralassistentinnen und Pastoralassistenten 40 Jahre nach ihrer Einführung aber immer noch als zwiespältig dar. Während sich ausserhalb der Gemeinde eigenständige kategoriale Handlungsfelder (Schule, Erwachsenenbildung, Caritas, Medien) entwickeln konnten, in denen Pastoralassistentinnen und Pastoralassistenten heute selbstverständlich und professionell tätig sind, ist ihre Berufsrolle im Sinne einer theologischen Laienkompetenz in der Gemeinde nach wie vor ungeklärt. "Das insgesamt ambivalente Schicksal des Berufs der Pastoralassistenten in der deutschsprachigen Kirche, seine permanenten Status- und Selbstverständnisunsicherheiten dokumentieren, dass die deutschsprachige Kirche die konziliare Volk-Gottes-Theologie als praxisleitendes Konzept noch nicht wirklich realisiert hat", so Bucher auf der Zürcher Tagung. Dabei wurde aber gewürdigt, dass die Kirche Schweiz im deutschsprachigen Raum eine gewisse Vorreiterrolle einnimmt, indem hier zahlreiche Pastoralassistentinnen und Pastoralassistenten in Anwendung von c. 517 § 2 (CIC 1983) als De-facto-Gemeindeleiterinnen und -Gemeindeleiter tätig sind.3 Diese spezifische Berufsrolle hat sich in Deutschland oder Österreich nicht in gleicher Weise entwickeln können.4
Diakone zwischen Liturgie und Caritas
Als ambivalent beschreibt Bucher auch die Berufsrolle der Ständigen Diakone. Das Amt des Diakons, das es jahrhundertelang gar nicht gab, sieht sich heute mit dem Problem konfrontiert, dass die beiden Funktionen der Liturgie und der Caritas, für die es den Diakonat von seiner Entstehungsgeschichte her eigentlich gibt, durch andere besetzt sind. So wird die Diakonie in den deutschsprachigen Ländern von einer hoch professionalisierten Caritas abgedeckt, die Liturgie vor allem von Priestern vollzogen. Dazu kommt, dass immer mehr (hauptberufliche und ehrenamtliche) Laien liturgische Aufgaben übernehmen. Aus dem "Stigma", dass die Ständigen Diakone zwar zu den Klerikern gerechnet, aber doch nicht ganz gleich behandelt werden, könnte sich nach Bucher ein "Charisma" entwickeln: Die Diakone könnten nach seiner Vision eine Art prophetisches "freies Amt" in einer Kirche sein, die sich in ihren Sozialformen immer weiter verflüssigt und die noch nicht genau weiss, wie es weitergeht. Die auf der Tagung anwesenden Ständigen Diakone konnten dieser kreativen Vision zwar etwas abgewinnen, sahen ihre eigene Berufsrolle insgesamt aber nicht so ambivalent. Das zeigten nicht zuletzt die Bewerberzahlen für den Ständigen Diakonat, die in der Deutschschweiz erfreulich hoch seien.
Ehrenamtliche sind keine Lückenbüsser
Bucher legte sein Augenmerk auch auf das immer wieder diskutierte Miteinander von Hauptberuflichen und Ehrenamtlichen in der Gemeinde.5 Ehrenamtliche seien nicht zuerst Ehrenamtliche, sondern vielmehr von Gott berufene Mitglieder des Volkes Gottes, die "des priesterlichen, prophetischen und königlichen Amtes auf ihre Weise teilhaftig" seien (Lumen gentium 31). Es könne nicht darum gehen, die Ehrenamtlichen einfach nur als "Lückenbüsserinnen" und "Lückenbüsser" für das krisenhafte professionelle System der Kirche zu mobilisieren. Vielmehr gelte es, die Ehrenamtlichen künftig noch stärker als erfahrungsreiche Mitchristinnen und Mitchristen zu begreifen, die bereit seien, unentlohnt und im öffentlichen Raum zu tun, wofür es die Kirche gibt, nämlich das Evangelium und unsere heutige Existenz kreativ miteinander ins Spiel zu bringen.6
Was liegt in den Pfarreien in der Luft?
Nachdem die Provokationen von Rainer Bucher zu Beginn der Tagung für reichlich Diskussionsstoff unter den Teilnehmenden gesorgt hatten, wurde der Horizont aus der Praxis-Perspektive verschiedener Berufsrollen erweitert. Aus der Sicht der Priester betonte der Zürcher Generalvikar Dr. Josef Annen die Authentizität der pastoral Tätigen: "Egal, wie die Rollenbilder heissen – Ständiger Diakon oder Pastoralassistentinnen sowie Pastoralassistenten –, wer authentisch, also nahe bei den Menschen und nahe bei Jesus ist, erfüllt seine Aufgabe." Die Pastoralassistentin Claudia Nuber aus Altdorf (UR) versuchte ihre anwesenden Kolleginnen und Kollegen zu motivieren, die unklare Berufsrolle als Chance zu begreifen: Unter dem Motto "Da passt viel rein ins Rollenbild" war ihre Selbstwahrnehmung tendenziell positiv. Das Berufsprofil der Laientheologinnen und Laientheologen skizzierte sie als die Möglichkeit, die vermeintlichen "Leerstellen" im Vergleich mit dem Priester- Profil durch vielfältige Begabungen kreativ zu füllen. Ernst Walker, Ständiger Diakon von Amsteg (UR), erzählte, er sei zunächst viele Jahre Pastoralassistent gewesen. Als Diakon würde er jedoch in den Pfarreien zum Klerus gezählt und habe nicht mehr mit einer ständigen Rollenunsicherheit zu kämpfen. In einer ländlich geprägten Region nehme er (anders als das Rollenprofil, das Bucher gezeichnet hatte) seine Aufgabe als Diakon gerade in Liturgie und Caritas sehr positiv wahr und erfahre viel Wertschätzung in den Gemeinden. Walli Bäbi, Präsidentin des Kantonalen Seelsorgerats Graubünden, zeigte aus der Sicht der Ehrenamtlichen auf, wie Frauen und Männer als getaufte Mitglieder des Volkes Gottes selbstbewusst ihre Erfahrungen einbringen und Kirche mitgestalten. Ähnlich erzählte Angelika Hecht, Pfarreiratspräsidentin aus Winterthur, von der Erfahrung, dass die Vielfalt der Charismen die Pfarreien belebe, aber ein wertschätzendes Klima gerade für Ehrenamtliche sehr wichtig sei. Frei nach dem marktorientierten Motto der freien Wirtschaft "Ich warte nicht, ich frage die Leute!" müsse sich die Kirche ihrer Meinung nach noch stärker als bisher an den "Kundenbedürfnissen" ihrer Mitglieder orientieren.
Religionssoziologische, dogmatische und kirchenrechtliche Perspektiven
Die lebhafte Debatte um die Veränderung der Rollenbilder in den Seelsorgeberufen wurde weiterhin durch drei theologische Fachperspektiven ergänzt: Tit.-Prof. Dr. Arnd Bünker, als Leiter des Schweizerischen Pastoralsoziologischen Instituts (SPI) in St. Gallen Mitveranstalter der Tagung, forderte eine Besinnung auf neue Leitbilder für die Seelsorgeberufe. Er gab zu bedenken, dass das klassische Leitbild des "guten Hirten" manchen pastoralen Kontexten zwar noch gut entspreche, woanders aber vermehrt an seine Grenzen stosse. Das fehlende Leitbild der Seelsorge verstand Bünker als Hinweis auf eine innere Erosion der traditionellen Vorstellungen von Seelsorgeberufen und sprach die interessante Empfehlung aus, das Leitbild des "guten Hirten" auszuweiten. So könnten andere Christustitel aufgewertet werden wie etwa "Lehrer der Weisheit, Ältester von Brüdern und Schwestern, Zeuge des Vaters, Einheitsstifter" usw.7 Bünker strich in seinem Fazit positiv heraus, dass die Seelsorgenden ihre Rollen ohnehin selbst neu ausgestalten: "Je weniger Rollenvorgaben sozial anerkannt sind und institutionell wirksam mitgetragen werden, desto stärker sind es die betroffenen Personen selbst, die sich mit ihrer Berufsrollen-Identität behaupten müssen."
Prof. Dr. Eva-Maria Faber, Rektorin der Theologischen Hochschule Chur, diagnostizierte aus der Sicht der Dogmatik und Ämtertheologie zunächst eine grosse Bereitschaft bei den pastoral Tätigen, in "ambivalenten Verhältnissen" zu arbeiten. Was die theologische Diskussion um die ekklesiale Verortung der Laien im pastoralen Dienst betrifft, machte sie zwei Richtungen aus, die gegenwärtig in der Dogmatik vertreten werden: Die eine, vor allem von Guido Bausenhart und Peter Hünermann vertretene Richtung, plädiert im Rückgriff auf Karl Rahner dafür, die Laien im pastoralen Dienst dem "ordo" zuzurechnen.8 Die andere Richtung (Ottmar Fuchs, Leo Karrer) versteht die pastoralen Laienberufe als genuine Ämter von Laien, die in einer besonderen Ausrichtung auf das von allen gelebte Christsein konturiert werden.9 Faber betonte, dass in diesen Fragen weiterhin Diskussionsbedarf bestehe. Der Luzerner Kirchenrechtler Prof. Dr. Adrian Loretan sprach nach einer grundlegenden Einführung zu den Freiheitsrechten in der katholischen Kirche10 über die personal- und kirchenrechtlichen Aspekte der "ausserordentlichen Gemeindeleitung in Pfarreien ohne Pfarrer" (can. 517 § 2). Er konnte zeigen, dass die Rolle der Gemeindeleiterinnen und Gemeindeleiter kirchenrechtlich viel zu wenig geklärt ist. Wo Laien jedoch Gemeindeleitungsfunktionen innehätten, veränderten sich die Rollenbilder und zeigten die Notwendigkeit einer professionellen Ausübung dieser Funktion. Mit Blick auf die Zukunft der Seelsorgeberufe forderte er klare Rollenprofile, um auch junge Menschen künftig für einen Kirchenberuf motivieren zu können.
Veränderung der Rollen braucht Mut und offene Türen
Das engagierte Schlussplenum aller beteiligten Referentinnen und Referenten, das von den Tagungsmoderatoren Livia Wey (Basel) und Prof. Dr. Christian Cebulj (Chur) geleitet wurde, brachte nochmals zum Ausdruck, dass die Schweizer Bistümer mit der Errichtung grösserer Pastoralräume auf einen doppelten Mangel reagieren: auf den Mangel an Ordinierten sowie auf die veränderten Lebensgewohnheiten und Erwartungen der Menschen in den Gemeinden. Dr. Rudolf Vögele (Zürich) von der Konferenz der deutschsprachigen Pastoralamtsleiter (PAL) dankte allen Beteiligten für die spannenden und richtungsweisenden Diskussionen und formulierte als Mitveranstalter der Tagung das Fazit, dass an überzeugenden Vorstellungen für ein attraktives Berufsbild von morgen noch gearbeitet werden müsse. Und zwar sowohl für Priester als auch für Diakone und Pastoralassistentinnen und Pastoralassistenten, die den neuen Erwartungen an die Seelsorgeberufe gerecht werden wollen. Mit den Worten von Papst Franziskus stand ein engagiertes Votum für Reformen am Schluss der Tagung: "Reisst die Türen auf. Tut dort etwas, wo der Schrei des Lebens zu hören ist. Mir ist eine Kirche lieber, die etwas falsch macht, als eine Kirche, die krank wird, weil sie sich nur um sich selbst dreht."11