Die demokratisch-föderalistische Tradition der Schweiz und die hierarchische Struktur der römisch-katholischen Weltkirche scheinen auf den ersten Blick kaum vereinbar zu sein. In vielen Kantonen der deutschsprachigen Schweiz existieren neben der kirchenrechtlich verfassten Kirche auch staatskirchenrechtliche Gremien. Diese «Doppelstruktur » kann in eine produktive Zusammen-arbeit münden, wie hier am Beispiel der römisch-katholischen Kirche der Stadt Luzern gezeigt werden soll.
Das Modell Luzern: Zusammen planen und entscheiden
Die Katholische Kirche Stadt Luzern zählt rund 35 000 Mitglieder. Sie ist organisiert in einer Kirchgemeinde mit gewähltem Kirchenrat und Kirchenparlament und einem Pastoralraum mit acht Pfarreien und sechs Bereichen (Fachstellen). Im Leitbild 20011 bekennen sich die betroffenen Gremien zur gemeinsamen, systematischen Weiterentwicklung der für eine Zusammenarbeit notwendigen Grundlagen, Gefässe und Instrumente, kurz dem «Modell Luzern». Die Entwicklung des Modells basiert auf zwei Grundsätzen:
- Eine partnerschaftliche Zusammenarbeit verlangt ebenbürtige Partner und Verbindlichkeit.
- Die gemeinsame Steuerung geschieht auf der strategischen Ebene.
Auf Augenhöhe und verbindlich
Der Kirchenrat war als Exekutive der Kirchgemeinde Luzern schon immer einer Gesamtsicht für die Stadt verpflichtet. Parallel zum Ausbau seiner Geschäftsstelle verlagerte sich die eigene Tätigkeit zunehmend auf die strategische Ebene. Die gewählten Mitglieder dieser Kollegialbehörde tragen Mehrheitsentscheide verbindlich mit und vertreten sie gegen aussen geschlossen. Die erste Herausforderung auf kirchenrechtlicher Seite bestand deshalb darin, ein Gremium zu schaffen, welches dem Kirchenrat auf Augenhöhe begegnen kann. Für diese Rolle bot sich der bestehende Dekanatsvorstand an, der durch die ebenfalls gewählten Pfarrer und Gemeindeleitenden gebildet wurde und somit alle kirchenrechtlichen Leitungspersonen vereinte. Um auf eine Stufe mit dem Kirchenrat zu gelangen, mussten die Entscheidungskapazität erhöht und die Verbindlichkeit der Entscheide gesichert werden. Unter anderem wurden ein Monatsrhythmus für die Sitzungen eingeführt, ein Ratssekretariat für die Vor- und Nachbereitung der Sitzungen geschaffen, und im Sinne einer verbindlichen Selbstverpflichtung wurde vereinbart, dass bei einer qualifizierten Dreiviertelmehrheit die unterlegene Minderheit den Mehrheitsbeschluss akzeptiert und mitträgt.
Der von Bistumsseite angestossene Prozess der Bildung von Pastoralräumen bot in einer zweiten Phase die Chance, im Pastoralraumkonzept2 die bisherigen Strukturen zu übernehmen und sie kirchenrechtlich besser abzusichern. Im diözesanen Pastoralraumstatut3 wird der Pastoralraumleitung unter anderem die Verantwortung für die Umsetzung der beschlossenen Konzepte übertragen und ihr dazu die entsprechende Weisungsbefugnis gegenüber Pfarreileitungen eingeräumt. Zudem kann sie bei fehlendem Konsens im Pastoralraumteam selber einen Entscheid herbeiführen.
Für das Partnergremium des Kirchenrates war der Namenswechsel von Dekanatsvorstand zu Pastoralraumteam auch verbunden mit einer klaren Zuweisung der Verantwortung für die Erarbeitung einer pastoralen Gesamtstrategie im Pastoralraum. Damit wird die strategische Führungsverantwortung dieses Gremiums explizit betont und von allen Mitgliedern eine Gesamtsicht verlangt.
Die Strategie ist entscheidend
Strategische und operative Ebene sind klar zu unterscheiden. Auf der strategischen Ebene werden Zielsetzungen für die verschiedenen Zuständigkeitsbereiche der beiden Hälften der kirchlichen Doppelstruktur entwickelt und im Sinne einer gemeinsamen Steuerung miteinander in Einklang gebracht. Die Umsetzung dieser Konzepte und Strategien geschieht dann auf der operativen Ebene. Auf dieser Ebene sind die Zuständigkeiten in beiden Strängen der kirchlichen Doppelstruktur intern klar geregelt.
Gefässe für die gemeinsame Steuerung
In der kirchlichen Doppelstruktur stehen sich zwei Organisationen mit je eigener Zuständigkeit und Unternehmenskultur gegenüber. Für eine gemeinsame Steuerung reicht es deshalb nicht, dass sich die Leitungsgremien beider Organisationen auf Augenhöhe begegnen können, es braucht auch ein Gefäss, welches die beiden Organisationen für diese Aufgabe im direkten Gespräch zusammenführt. In Luzern ist der «Doppelrat» – mit seinen Mitgliederinstanzen Kirchenrat und Pastoralraumteam – das strategische Koordinationsgremium für die Zusammenarbeit von Kirchgemeinde und Pastoralraum. Er hat insbesondere folgende Aufgaben:
- Informations- und Meinungsaustausch über alle gegenseitig interessierenden Themen;
- Entwicklung und Vereinbarung von gemeinsamen Strategien und Projekten;
- Mehrjährige Rahmenvereinbarungen mit den Pfarreien oder mit den Leistungserbringern (kirchenrechtliche Organisationseinheiten oder weitere Leistungserbringer) über die Erfüllung gemeinsamer Aufgaben (Ziele, Leistungen und finanzielle Abgeltung).
Die Entscheidungen des Doppelrates kommen durch übereinstimmende Beschlüsse der beiden Mitgliederinstanzen zu Stande. Eine Geschäftsordnung regelt die Verfahren der Entscheidungsvorbereitung und Entscheidungsfindung im Doppelrat. Das operative Koordinationsgremium, welches nebst der Koordination der Tätigkeiten der Kirchgemeinde und des Pastoralraums insbesondere die Aufgabe hat, die Entscheidungsunterlagen und Sitzungen des Doppelrats vorzubereiten und dessen Beschlüsse auszuführen sowie die Jahresvereinbarungen (auf der Basis der Rahmenvereinbarungen) abzuschliessen und zu überprüfen, ist der Doppelrats- Ausschuss. Diesem gehören das Präsidium des Kirchenrats und die Pastoralraumleitung an. Die Geschäftsführung der Kirchgemeinde und die Koordinationsstelle des Pastoralraums nehmen an den Sitzungen beider Koordinationsgremien mit beratender Stimme teil.
Grundlagen
[bild 49173w550l]Basis für Regelung der partnerschaftlichen Zusammenarbeit sind das Kirchgemeindegesetz der römisch-katholischen Landeskirche des Kantons Luzern von 2007,4 welches in § 5 die Aufgaben der Kirchgemeinden wie folgt umschreibt: «Die Kirchgemeinden sorgen auf ihrem Gemeindegebiet für die religiöse Betreuung der Katholikinnen und Katholiken durch die römisch-katholische Kirche (…).» Genannt wird in der anschliessenden Aufzählung insbesondere die Sicherstellung der Leitung der Pfarrei, der Verkündigung des Glaubens, des Feierns des Glaubens, des Glaubenslebens (inkl. Diakonie), der ökumenischen Zusammenarbeit und des interreligiösen Dialogs, der Infrastruktur und der Erfüllung der von der Landeskirche übertragenen Aufgaben sowie Verwaltungsaufgaben (inklusive Finanzen).
Diese Vorgaben werden in der Gemeindeordnung der Katholischen Kirchgemeinde Luzern von 20095 übernommen und in Art. 3.1 mit dem entsprechenden Quellenverweis wie folgt zusammengefasst: «Sie [die Kirchgemeinde] sorgt in Zusammenarbeit mit den kirchenrechtlichen Institutionen insbesondere für die Erfüllung folgender Aufgaben: a. Seelsorge, Gottesdienste; b. Verkündigung, Bildung; c. Diakonie; d. Gemeinschaftsbildung.» Die Zusammenarbeit wird in Art. 5 dieser Gemeindeordnung näher spezifiziert: «1. Die Kirchgemeinde und die kirchenrechtlich zuständigen Organisationseinheiten planen gemeinsam, vereinbaren Ziele und verständigen sich auf eine sinnvolle Aufgabenteilung. 2. Finanziert die Kirchgemeinde eine durch eine kirchenrechtlich zuständige Organisationseinheit zu erfüllende Aufgabe, werden Leistungsvereinbarungen abgeschlossen. Diese umschreiben insbesondere die Leistungen, die finanzielle Abgeltung, den Leistungserbringer und die Vertragsdauer. 3. Die Kirchgemeinde überprüft zusammen mit der kirchenrechtlich zuständigen Organisationseinheitperiodisch die Zielerreichung, die Erforderlichkeit des Angebots und die Eignung des Leistungserbringers. 4. Die Bestimmungen von Abs. 1 bis 3 finden auf die Zusammenarbeit mit weiteren Leistungserbringern sinngemäss Anwendung.» In Art. 33 wird die Zusammenarbeit mit den Pfarreien nach demselben Schema nochmals separat ausgeführt. In der Organisationsverordnung der Katholischen Kirchgemeinde Luzern von 20106 werden in Art. 23 bis 25 die oben beschriebenen Koordinationsgefässe Doppelrat und Doppelrats-Ausschuss, deren Aufgaben, Zusammensetzung und Arbeitsweise festgehalten.
Interessant ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass auf kirchenrechtlicher Seite bei der Erarbeitung des Organisationskonzepts im Rahmen der Errichtung des Pastoralraums Luzern 2008 auf ausdrücklichen Wunsch des Ordinariats in Solothurn keine Verbindungsstellen zur staatskirchenrechtlichen Seite beschrieben oder im Organigramm aufscheinen durften. Es blieb daher nichts anderes übrig, als im Organisationskonzept des Pastoralraums festzuhalten, dass das bestehende Zusammenarbeitsmodell aus der Planungsphase als Zusammenarbeitsmodell für die weitere Arbeit übernommen wird und die Steuergruppe (= Doppelrats- Ausschuss) diese Zusammenarbeit weiter koordinieren wird.
Trotz fehlender Grundlagen auf kirchenrechtlicher Seite ist die Entwicklung dieses Zusammenarbeitsmodells ein gemeinsames Werk. Bedingt durch die Blockade auf kirchenrechtlicher Seite wurde der Pastoralraum aktiv in die Erarbeitung der entsprechenden Artikel in der Gemeindeordnung und Organisationsverordnung der Katholischen Kirchgemeinde Luzern einbezogen, um so eine gemeinsame Basis zu schaffen.
Instrumente für die gemeinsame Steuerung
Ein Gebilde in der Grösse und Komplexität der Katholischen Kirche Stadt Luzern verlangt einen hohen Organisationsgrad, was sich auch in den Instrumenten widerspiegelt. Diese Instrumente sind einerseits hierarchisch geordnet, anderseits dem Führungskreislauf zugeordnet (siehe Grafik):
[bild49172w250r]Leitbild 2001
Pastorale Planung 2014–2020 (in Arbeit)7
Stategien, Politiken, Konzepte8
Gesamtplanung und Berichterstattung9 basierend auf: Rahmenvereinbarungen Jahresvereinbarungen und -berichte
Teilglobalbudgets
Evaluationsinstrumente und Selbstevaluationsworkshops
Kritische Würdigung
Das «Modell Luzern» versucht die Grundsätze der Wirkungsorientierten Verwaltungsführung respektive des New Public Managements auf die spezifische Situation der Katholischen Kirche Stadt Luzern zu übertragen. Die lokalen äusseren Rahmenbedingungen haben das Modell also mitgeprägt. Ebenso prägend waren in diesem Prozess aber konkrete Personen, welche durch ihr klares Bekenntnis zu einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit in der kirchlichen Doppelstruktur nebst den organisatorischen Veränderungen auch einen entscheidenden Mentalitätswandel herbeigeführt haben. Der gemeinsame Wille zur Zusammenarbeit ist die entscheidende Grundlage dieses Modells.
Die parlamentarische Struktur der Kirchgemeinde erleichtert einerseits die Übernahme politischer Führungsinstrumente, verlangt anderseits aber auch einen hohen Formalisierungsgrad insbesondere bezüglich Planung und Berichterstattung. Dies ist für die Pastoral eine Herausforderung und verlangt insbesondere von den Pfarreiteams längerfristiges Planen und definierte Schriftlichkeit. Zugleich erleichtert dies aber auch die Führung auf der neuen Ebene Pastoralraum.
In den Beratungsgremien auf Pfarreiebene (Pfarreiräte), in gemischten Kommissionen zu gesamtstädtischen Themen und durch die demokratischen Instrumente der Kirchgemeinde (vom Kirchgemeindeparlament bis zur Volksabstimmung) bestehen vielfältige Möglichkeiten der Mitsprache und Mitbestimmung. Insbesondere das Kirchgemeindeparlament ist heute besser informiert und stärker in Entscheidungsprozesse einbezogen. Dies wird von Pfarreiräten teilweise als Abwertung erlebt. Allerdings hängt die gefühlte Gewichtsverschiebung auch mit der Errichtung des Pastoralraums zusammen. Mit dem Pastoralraum gewinnt die Gesamtsicht zunehmend an Bedeutung. Anderseits eröffnen sich den Pfarreien zum Beispiel durch die Teilglobalbudgets auf der operativen Ebene neue unternehmerische Freiheiten.