Neue Impusel für ein uraltes Pilgerziel

Geh, geh endlich in das Land, das ich dir zeigen werde!» Mit diesen Worten wurde Abraham zum Aufbruch aufgefordert. Auch heute folgen immer mehr Menschen einem Ruf, nehmen viele Kilometer unter die Füsse und viele Strapazen auf sich, um einen für sie besonderen Ort zu erreichen.

Seit dem Mittelalter haben sich für Pilger drei Ziele herauskristallisiert: Jerusalem mit der Grabes- und Auferstehungskirche Jesu, Rom mit dem Petrus-Grab als Zentrum der (katholischen) Kirche und Santiago de Compostela mit dem Grab des Heiligen Jakobus des Älteren. Dieser stand im Ruf, als Schlachtenhelfer massgeblich zur Reconquista, zur christlichen Rückeroberung der iberischen Halbinsel von den Muslimen, beigetragen zu haben. Jerusalem hatte natürlich als Ursprungsort des Christentums eine besondere Stellung. Freilich, die Stadt war und ist bis heute auch Mitte der jüdischen Welt und ebenso den Muslimen heilig. Die geopolitischen Wirren und wechselnden Machtverhältnisse im Heiligen Land machten das Pilgern nach Jerusalem für Christen aus dem Westen jahrhundertelang fast unmöglich. Santiago profitierte von dieser Situation und etablierte sich als «der» Pilgerort in Europa. Wenn das Heilige Land schon nicht den Muslimen entrissen werden konnte, so wenigstens die spanische Halbinsel. So entstanden zahlreiche Wege nach Santiago, die sich auch dank Einreise-Erleichterungen und Zollerlassen für Pilger einer grossen Beliebtheit erfreuten.

Postmoderne grüsst Mittelalter

In den letzten Jahren erlebte der Jakobusweg einen regelrechten Boom. 215 880 Pilger legten 2013 mindestens die letzten 100 Kilometer des Jakobswegs zu Fuss zurück. Nahezu massentouristisch muten die Pilgerströme nach Santiago heute an, Ferse an Fussspitze, die Herbergen zum Bersten voll. Eigentlich ein paradoxer Zustand, suchen doch die meisten Pilger durch Langsamkeit, Verzicht und ein einfaches Leben abseits der Hektik und Reizüberflutung nach Impulsen für ihr Seelenleben. Und wissen sie überhaupt noch, wofür Santiago steht und wie der Wallfahrtsort entstanden ist?

«Ich bin dann mal weg» – für Jerusalem

Pilgern abseits der grossen Ströme und dennoch zu einem Ziel mit Weltbedeutung hin – das ist möglich. Dafür steht auch Christian Rutishauser, Provinzial der Schweizer Jesuiten, ein. «Eine globalisierte Welt braucht ein Pilgerziel mit Weltbedeutung », ist der Jerusalem-Pilger überzeugt. Er selber ist tief mit dem Land der Bibel verbunden. Und auch in Sachen Pilgern ein Experte – 2011 hat er sich vom Lassalle-Haus in der Zentralschweiz aus mit drei Freunden zu Fuss nach Jerusalem gemacht und sein Ziel nach sieben Monaten erreicht, wie in der «Schweizerischen Kirchenzeitung» regelmässig kommentiert.1 «Jerusalem ist ein Pilgerort von grösster Sinndichte. Spirituelle Tiefe für die Sinnsucher unserer Zeit entsteht, wenn die biblischen Orte, das Land und Jerusalem nicht nur im klimatisierten Bus abgefahren werden, sondern wenn man sich ihnen zu Fuss nähert, sich dabei die heiligen Texte neu erschliesst.»

Pilgern im Zeichen des Dialogs

Katholiken haben Rom und Santiago als Pilgerorte für sich allein, Mekka gehört ausschliesslich den Muslimen, Varanasi den Hindus. Jerusalem aber müssen sich Juden, Christen und Muslime teilen – niemand kann einen absoluten Anspruch darauf erheben. Die drei abrahamitischen Religionen haben in jeweils anderen Epochen ihren Stempel der Stadt Jerusalem aufgedrückt. In Jerusalem stehen also Nebeneinander und Miteinander im Mittelpunkt. So eröffnet diese Stadt Pilgernden noch eine zusätzliche Dimension, diejenige des interreligiösen Dialogs. Hier kann Pilgern nicht nur den eigenen Glauben stärken, sondern auch die Offenheit für eine andere Tradition. «Spirituelle Selbstvergewisserung darf nicht in religiöse Selbstbehauptung umschlagen», schreibt Rutishauser in seinem Buch. Aus den Überlegungen heraus, wie ein Pilgern gestaltet sein muss, das Spiritualität und Dialog gleichermassen gewichtet, ist ein neues Pilgerprojekt entstanden: eine Tagung zum Thema «Zu Fuss nach Jerusalem – Pilgern im Heiligen Land», die diesen Sommer im Lassalle- Haus in Bad Schönbrunn, in Berlin und in Wien stattfindet (siehe unten).

Tradition trifft Expertenwissen

Die alte Tradition des Pilgerns zu Fuss im Heiligen Land wird von drei Experten aus verschiedenen Bereichen wieder aufgegriffen: Neben Christian Rutishauser, der unter anderem Delegationsmitglied der vatikanischen Kommission für die religiösen Beziehungen mit dem Judentum ist, sind auch Andreas Götze, Landespfarrer für interreligiösen Dialog in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg und Vorstand des Jerusalemvereins, sowie Georg Rössler, Inhaber einer auf Pilgerwanderreisen spezialisierten Agentur in Israel, an diesem Projekt beteiligt. Angesprochen sind Leute, die sich selbst, zusammen mit Gleichgesinnten oder mit ihren Gemeinden auf den Weg nach Jerusalem machen möchten. Eine Pilgergruppe im Heiligen Land zu begleiten, erfordert spirituelles und praktisches Wissen zugleich. Neben Fragen der Logistik und der technischen Hilfsmittel stellt sich auch die Frage, wie sich Besinnung auf das grosse Ziel hin stiften lässt, wie sich der Weg nach Jerusalem und zum leeren Grab zu einem wirklich spirituellen Glaubensweg ausgestalten lässt. Die biblischen Orte und die Landschaft – auch «das fünfte Evangelium» genannt – sollen sich auf dem Weg zu Fuss erschliessen.

Auch schwierige Begegnungen nicht scheuen

Jerusalem ist bekanntlich auch Zankapfel für Israelis und Palästinenser, für Fromme und Säkulare, für Nationalisten und religiös Suchende. Die biblische Geschichte wird hier in die Geschichte von heute verlängert, deren Spannungen bisweilen nicht einfach auszuhalten sind. Jerusalem ist Ort der Sammlung des Unterschiedlichsten. Da Angrenzung und Abgrenzung einüben, Grenzen wahrnehmen und respektieren, sie aber auch überwinden, ist an sich schon eine spirituelle Herausforderung. So ist auch das Thema «Begegnungen mit Palästinensern und Israelis» Gegenstand eines Vortrages.

Der Weg und das Ziel

Beim Pilgern zähle der Weg mehr als das Ziel, heisst es. «Ja und nein», meint Christian Rutishauser. «Der innere Weg ist zentral: Beim Pilgern soll sich der Mensch besinnen, woher er kommt, wohin er geht und was seine letzte Bestimmung ist. Das Ziel aber ist nicht beliebig: Heilige Stätten sind Erinnerungsorte, die nicht nur äussere Geschichte markieren, sondern auch spirituelles Geschehen und Ideen zur Anschauung verkörpern.» Wenn sich Pilger unterschiedlicher Herkunft in dieselbe Geschichte einzuschreiben versuchen, entsteht religiöse Identität, die nicht platt und einfach, sondern vielschichtig und dynamisch ist. Es entsteht ein geistiger Raum zum Bewohnen. Ihn will Rutishauser mit seinem Pilgerprojekt gerade für Sinnsuchende öffnen.
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Zu Fuss nach Jerusalem – Pilgern im Heiligen Land Spirituell: interreligiös, friedenspolitisch

Die Tagung wird dreimal durchgeführt:

25.–27. August 2014, MO 15 Uhr bis MI 13 Uhr:
Lassalle-Haus, Bad Schönbrunn, 6313 Edlibach (ZG);

1.–3. September 2014, MO 15 Uhr bis MI 13 Uhr:
Kardinal König Haus, Kardinal König Platz 3, A-1130 Wien;

15.–17. September 2014, MO 15 Uhr bis MI 13 Uhr:
Jerusalemverein im Berliner Missionswerk, Georgenkirchstrasse 70, D-10249 Berlin.

Informationen und Anmeldung unter www.zu-fussnach-jerusalem.org

 

 

1 Die SKZ berichtete zwischen dem Beginn der Jerusalem-Wallfahrt (SKZAusgabe vom 2. Juni 2011) und deren Ende regelmässig darüber (der «Schlussbericht » findet sich in: SKZ 29–30 / 2013, 510–513). Die Pilgerreise ist in Christian Rutishausers Buch «Zu Fuss nach Jerusalem» (Patmos 2013), im Gedichtband «Zu Fuss bis Jerusalem» von Hildegard Aepli (Echter 2012), im Pilgerblog unter www. blog.lassalle-haus.org und im Dokumentarfilm «Die Schrittweisen» festgehalten.

Sabrina Durante

Sabrina Durante

ist im Bereich Öffentlichkeitsarbeit und Medien im Lassalle-Haus in Bad Schönbrunn (Edlibach) tätig.