Mit rund drei Millionen Mitgliedern ist die römisch-katholische Kirche die grösste Religionsgemeinschaft in der Schweiz. Dank Kirchensteuern und Beiträgen der öffentlichen Hand verfügt sie über jährliche Einnahmen von etwa einer Milliarde Franken. Aber zunehmende Kirchenaustritte, rückläufige Mitgliederzahlen, wachsende Kirchendistanzierung und ein anhaltend steigender Anteil von Konfessionslosen an der Gesamtbevölkerung lösen besorgte Fragen und Diskussionen um die finanzielle Zukunft aus. Zudem besteht seit Längerem eine Diskrepanz zwischen dem Bild einer Kirche, die an Mitgliedern und an gesamtgesellschaftlichem Gewicht verliert, und der Tatsache, dass die Kirche finanziell insgesamt noch in guter Verfassung ist, wenn auch mit erheblichen kantonalen und regionalen Unterschieden.1
Verzögerter Steuerrückgang
Im Zentrum der Studie steht die voraussichtliche Entwicklung der Kirchensteuererträge von natürlichen Personen. Die entsprechenden Modellrechnungen basieren auf einer Auswertung von kantonalen Steuerdaten nach Alterskohorten der Steuerzahlenden. Diese erklärt und quantifiziert beide Phänomene: Den finanziellen Rückgang aufgrund rückläufiger Mitgliederzahlen wie auch die Tatsache, dass er verzögert eintrifft:
- Zurzeit und in näherer Zukunft kommen noch zahlenmässig bedeutende Kohorten von Kirchenmitgliedern in ein Alter, in dem sie massgeblich zu den Erträgen aus Kirchensteuern natürlicher Personen beitragen und die Ertragslage stabilisieren.
- Auf längere Sicht wird der beschleunigte und nicht mehr durch Zuwanderung kompensierte Mitgliederrückgang zu einem sich beschleunigenden Rückgang der Erträge führen.
Der untersuchte Zeitraum der nächsten 25 Jahre ist demzufolge eine Übergangsphase von einem vorerst noch langsamen zu einem akzentuierteren Rückgang.
Hohe Ungewissheit
Was die Kirchensteuern von Unternehmen betrifft, ist die Projektion der Erträge von erheblichen Unsicherheitsfaktoren geprägt:
- Die Auswirkungen der Unternehmenssteuerreform(en) (STAF) und absehbaren weiteren Anpassungen aufgrund der internationalen Entwicklung sind schwer vorhersehbar und divergieren von Kanton zu Kanton.
- Die Auswirkungen politischer Diskussionen um die Rechtmässigkeit, Sinnhaftigkeit und Plausibilität dieses Instruments der Kirchenfinanzierung sind unabsehbar, das Modell bildet das Risiko in Form eines Rückgangs der Erträge um 20 Prozent im Jahr 2033 ab.
- Die konjunkturellen Ausschläge sind stärker als bei den Kirchensteuern natürlicher Personen.
Die Studie rechnet demzufolge mit einem unruhigen Verlauf der Entwicklung. Zu berücksichtigen ist zudem, dass 64 Prozent oder knapp zwei Drittel dieser Erträge im Jahr 2019 aus nur drei Kantonen stammten: Zürich (43 Prozent), Zug (12 Prozent), Luzern (9 Prozent).
Mitgliederentwicklung wichtigster Faktor
Nicht nur für Erträge aus Kirchensteuern natürlicher Personen ist – über die Anzahl der Kirchensteuerzahlenden – die Mitgliederentwicklung der wichtigste Faktor, sondern auch für die anderen beiden Ertragsquellen. Denn die Existenz und Höhe der Kirchensteuern von Unternehmen wie der Beiträge der öffentlichen Hand hängen nicht zuletzt von der Zahl der Kirchenmitglieder, ihrem Anteil an der gesamten Wohnbevölkerung und ihrer Fähigkeit ab, auf breiter Basis das Zusammenleben in der Gesellschaft mitzuprägen.
Was die konkreten Zahlen für die Katholische Kirche betrifft, geht die Studie für den Zeitraum zwischen 2020 und 2045 davon aus, dass die Zahl der über 15-jährigen Mitglieder von rund 2,5 auf 1,75 Mio. zurückgeht (minus 30 Prozent).
Ein detaillierter Blick auf die Entwicklung der letzten zehn Jahre zeigt, dass die Zahl der Kirchenmitglieder 2014 ihren Höhepunkt überschritten hat. Seit 2015 vermögen das Bevölkerungswachstum und der früher positive Migrationssaldo den Rückgang der Mitglieder aufgrund der demografischen Entwicklung (Überalterung) und als Folge der Kirchenaustritte nicht mehr zu kompensieren.
Die Ecoplan-Studie zeigt deutlich auf, dass die Annahme, der Mitgliederrückgang werde durch wachsende Erträge auch in Zukunft weitgehend kompensiert, trügerisch ist. Grund für den irreführenden Eindruck ist, dass die Kirche derzeit finanziell noch von starken Jahrgängen guter Steuerzahlender profitiert. Werden diese nicht durch entsprechend nachwachsende Generationen ersetzt, kommt es zu einem sich beschleunigenden Rückgang.
Gesamtbild
In der Gesamtbetrachtung der voraussichtlichen Entwicklung der Erträge aus Steuern natürlicher und juristischer Personen ergibt sich aus den Modellrechnungen Folgendes:
- Im Zeitraum zwischen 2020 und 2050 gehen diese Erträge bei einem mittleren Szenario von rund CHF 880 auf 760 Mio. zurück (minus 14 Prozent).
- Ein optimistisches Szenario rechnet mit einem Rückgang von CHF 50 Mio., ein pessimistisches mit einem Minus von CHF 230 Mio. (minus 26 Prozent).
In diesen Szenarien bleiben zwei Faktoren unberücksichtigt: Die Entwicklung der Staatsbeiträge (derzeit ca. CHF 100 Mio.) und politische Entscheidungen, die dazu führen würden, dass die Kirchensteuern juristischer Personen in einem oder mehreren Kantonen ganz wegfallen. Für beide Faktoren ist neben der Mitgliederentwicklung der Rückhalt der Kirchen in der Gesellschaft und ihr Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt von entscheidender Bedeutung, können aber in einer ökonomischen Betrachtung nicht abgebildet werden.
Entschiedenes Handeln gefordert
Die finanziellen Folgen der bereits eingetretenen Entwicklungen bei den Mitgliederzahlen können nicht rückgängig gemacht werden. In absehbarer Zeit wäre daher selbst dann mit rückläufigen Finanzen zu rechnen, wenn eine Trendwende gelänge. Die pastoral Verantwortlichen sind gefordert, Kräfte zu bündeln und Prioritäten zu setzen, um dieser Herausforderung gerecht zu werden.
Die staatskirchenrechtlichen und die pastoralen Leitungsgremien benötigen Strategien, die dem unabwendbaren Rückgang (der seine Ursache in bereits verlorenen Mitgliedern hat) Rechnung tragen und gleichzeitig heute schon in neue Formen der Gewinnung und Pflege von Mitgliedern und in die Schaffung finanzieller Voraussetzungen für eine glaubwürdige und gesamtgesellschaftlich wirksame Pastoral investieren.
Daniel Kosch