«… der Bund und Treue hält ewiglich und niemals preisgibt das Werk seiner Hände» – schon von den ersten Worten an bezeugen reformierte Liturgien das göttliche Versprechen der Auferweckung von den Toten. Denn hier wird der Gottesdienst nicht nur förmlich eröffnet im Namen Gottes, der (einst) Himmel und Erde gemacht hat. Mit dem Bekenntnis zur unverbrüchlichen Treue Gottes zu seiner Schöpfung werden vielmehr die Christen und Gott an sein Versprechen erinnert, als Schöpfer für immer Sorge zu den Geschöpfen zu tragen.
Verlässlicher Partner der Schöpfung
Die in sich «gesellige Gottheit» (Kurt Marti) bestimmte sich dazu – in der Dogmatik wird das Erwählung genannt –, ihren eigenen inneren Beziehungsreichtum zu wiederholen in der Beziehungsgeschichte zu einem Gegenüber ausserhalb ihrer selbst. Die interne Geselligkeit Gottes will sich nicht selbst genügen. Gott geht das Weltabenteuer Schöpfung ein und ist nunmehr als der, der frei zur Schöpfung war, nicht mehr frei von der Schöpfung. Liesse Gott auch nur ein Geschöpf im Stich (und das heisst letztlich: überliesse er es dem Tod), würde GottT sich selbst untreu, fiele zurück hinter die aus Liebe und Freiheit getroffene Wahl, unaufgebbar verlässlicher Partner der Schöpfung zu sein. Denn die versprochene Fürsorge Gottes endet nicht an der Grenze geschöpflichen Lebens, am Tod als der einschneidenden Endlichkeitssignatur. Der Gott, der das eigene Gottsein an das Leben der Schöpfung gebunden hat, lässt sich bei seiner Verantwortung behaften. Die Kärntner Dichterin Christine Lavant (1915–1973) bringt dies in einem ihrer Gedichte verwegen zum Ausdruck: «… du bist mir das Auferstehn schuldig».
Auf die Auferweckung der Toten pochen
Dass Gott seinen Geschöpfen die Auferweckung schuldig ist – dafür gibt es mindestens drei gute, biblisch bezeugte Gründe:
1) Gott steht mit Verheissungen im Wort, die über den Tod hinausweisen und auf dessen endgültige Entmachtung setzen. An die Auferweckung von den Toten zu glauben, heisst, Gott beim Wort zu nehmen und darauf zu verpflichten, das gegebene Wort auch wahrzumachen, die Versprechen eines neuen Himmels und einer neuen Erde doch endlich einzulösen.
2) Wenn der Einsatz für Recht und Gerechtigkeit fundamental das Handeln Gottes ausmacht (Psalm 82) und wenn die Gerechtigkeit Gottes eine aufrichtende Gerechtigkeit ist, in der Recht und Erbarmen untrennbar zusammengehören (Psalm 33,5), dann schreit das Unrecht in unserer Welt zum Himmel. Es zitiert den göttlichen Richter herbei, auf dass ER mit der ganzen Schöpfung zurechtkomme und alles zurechtbringe.
3) Im Zentrum christlichen Glaubens steht das Bekenntnis zur Auferweckung des Gekreuzigten. Dieses ist entstanden im Horizont der jüdischen Hoffnung auf eine allgemeine Totenauferstehung, wie sie etwa das Feld staubtrockener Totenknochen des Gottesvolkes, in die der schöpferische Geist Gottes neues Leben bringt, ins Bild setzt (Ezechiel 37). Und zugleich gilt: Was dem einen widerfuhr, soll allen blühen! Wie aber lässt sich die Auferweckung Jesu, die unserer Hoffnung auf Auferweckung Grund und Nahrung gibt, verstehen?
Gottes Handeln am Gewaltopfer Jesus
Die Christen haben sich so sehr an die Frage «Was geschieht im Tod und in der Auferweckung Jesu für uns?» gewöhnt, dass sie darüber die Frage, die doch zuerst kommen müsste, nämlich: «Was tut Gott für den, der Opfer brutaler Gewalt geworden ist?», fast vergessen haben. So wichtig es ist, in der Auferweckung Jesu die Deutung zu erkennen, die Gott der Passion Jesu als eines stellvertretend für andere geschehenen Leidens und Sterbens gegeben hat, ist doch zunächst einmal die Auferweckung des Menschen- und Gottessohnes Jesus von Nazareth als ein heilvolles Handeln Gottes am Gekreuzigten selbst zu verstehen. Wenn wahrgenommen wird, wie Gott am Ostermorgen dem brutal zu Tode Gequälten zu Hilfe kommt, kann erahnt werden, was die Christen mit dem Bekenntnis zur Auferweckung aller auch für sich selbst erhoffen. Jesu Auferweckung lässt sich als göttliche Antwort, als nichtreaktionäre Reaktion Gottes auf den Kreuzestod verstehen:
• Sie ist Gottes schöpferische Antwort auf das Unrecht und die Gewalt, die Jesus ans Kreuz gebracht haben. Gott entreisst den Gekreuzigten der Herrschaft des Todes und verohnmächtigt dabei den Tod, zieht ihm den tödlichen Stachel. Auferweckung ist Neuschöpfung, der Beginn einer neuen Schöpfung, die mit dem Tod auch Leid und Not, Tränen und Trauer hinter sich lässt.
• Mit der Auferweckung des Gekreuzigten unterbricht Gott die gewaltsame, lebenszerstörende Fortschrittsgeschichte einer sich gegenüber Gott verschliessenden Welt. Gott widerspricht denen, die wollen, dass alles so bleibt, wie es ist. Auferweckung ist eine göttliche Protest- und Widerstandshandlung gegen die Verhältnisse und Strukturen, in denen Menschen zu Opfern und Tätern von Gewalt werden.
• Indem Gott den Hingerichteten nicht im Tod lässt, sondern ihn neu ins Leben ruft, setzt Gott das Leben gegen den Tod, den Segen gegen den Fluch durch. Auferweckung ist eine göttliche Segenshandlung am Gekreuzigten, mit der die tödliche Macht des Fluchtodes am Kreuz (Galater 3,13) gebrochen wird.
• In der Auferweckung ergreift Gott Partei für den Entrechteten und bestreitet dem Tod und denen, die ihm in die Hände arbeiten, das Recht über sein Leben. Gott entzieht den Gewalttätigen jede Legitimation für ihre Tat. ER gibt dem Opfer gegen die Täter Recht. Gott setzt das Gewaltopfer ins Recht und anerkennt dessen Leben als das eines Gerechten. Auferweckung ist ein göttlicher Rechtsakt.
So verstanden bezeugt die Auferweckung Jesu das Wort des Propheten Habakuk: «Der Gerechte aber wird aus seiner Treue leben» (2,4; vgl. Römer 1,17) – aus der Treue Gottes zu ihm und aus seinem eigenen Vertrauen zu Gott. Aufgrund dieses Prophetenwortes hätte auch Jesus zu Gott sagen können: «Du bist mir das Auferstehn schuldig.»
Gott beim Wort nehmen
Vielleicht lässt sich in Fortschreibung alttestamentlicher Rede von der Reue Gottes sogar sagen: Die Auferweckung des Gekreuzigten ist ein Akt der Reue Gottes des Vaters gegenüber dem eigenen Sohn: «Junge, es tut mir leid.» Wie Isaak in 1 Mose 22 nicht ungeschoren aus der Geschichte, in der Abraham bereit war, den eigenen Sohn zu opfern, davonkommt, so lässt auch der Kreuzestod Jesu die Beziehung zwischen Vater und Sohn nicht unberührt. Dass hier «ein Tod den andern frass», wie Martin Luther die evangelischen Christen singen lässt, dass also im Tod des Gottessohnes der Tod selbst krepierte, das macht dieses Sterben ja nicht weniger quälend. Die Auferweckung zielt auf die Heilung des Risses, mit dem die tödliche Passion die Gemeinschaft von Vater und Sohn zerbrach, ohne dass sie die Narben dieser Passion retuschiert. Den Gekreuzigten auferweckend, gibt der göttliche Vater die Antwort auf dessen Klage: «Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?»
Die Auferweckung des Gekreuzigten beantwortet aber die Theodizeefrage, die Frage nach der Gerechtigkeit eines allmächtigen, gütigen und verstehbaren Gottes angesichts des Elends in der Welt, nicht, sondern verschärft sie geradezu: Warum nur der Eine?! Menschen können diese Frage nicht beantworten, müssen sie aber umso lauter Gott ins Angesicht schreien und ihn zur Verantwortung ziehen.
So erinnert jedes Osterfest daran, Gott beim Wort zu nehmen, auf dass wirklich und wahr werde, was bereits im Jesajabuch verheissen ist: «Den Tod hat er für immer verschlungen» (Jesaja 25,8). Dass dies so sein wird, können die Christen weder beweisen noch vorwegnehmen. Aber sie können diese Hoffnung bewähren, indem sie sich an jedem Osterfest neu motivieren und ermächtigen lassen, «Protestleute gegen den Tod» (Christoph Blumhardt) zu sein. So verkommt der Glaube an die Auferweckung von den Toten nicht zur billigen Vertröstung, sondern macht auf- und widerständisch – mitten im Leben.
Magdalene L. Frettlöh