Ehrerbietung dem Menschen gegenüber?

Wenn Hannan Salamat an Huldigung oder Anbetung im Islam denkt, fällt ihr spontan die Schöpfungsgeschichte ein. Der Teufel widersetzt sich dem Befehl Gottes, sich vor Adam niederzuwerfen. Eine Relektüre.

«Und Wir haben euch ja erschaffen. Hierauf haben Wir euch gestaltet. Hierauf haben Wir zu den Engeln gesagt: ‹Werft euch vor Adam nieder!› Da warfen sie sich nieder, ausser Iblis. Er gehörte nicht zu denjenigen, die sich niederwerfen.»1 Dem Vers zufolge weigerte sich Iblis – der Teufel, ein Feuer-Engel –, Gottes Befehl, sich vor Adam niederzuwerfen, zu folgen und wird von seinem Platz im Himmel vertrieben. An vielen Stellen erzählt der Koran vom Sturz des Teufels aus dem Himmel. Gott fragt den Teufel im folgenden Vers, was ihn davon abgehalten hat, sich niederzuwerfen. Der Teufel antwortet: «Ich bin besser als er. Du hast mich aus Feuer erschaffen, ihn aber hast Du aus Lehm erschaffen.» Gott wirft dem Teufel daraufhin Hochmut vor und vertreibt ihn aus dem Himmel. Das Wort «Niederwerfen»2 in diesen Koranversen wird im islamischen Kontext kontrovers diskutiert. Nach der islamischen Tradition ist diese Niederwerfung nur Gott vorbehalten. Das stellt Korankommentierende vor eine Herausforderung: Hat Gott etwa den Engeln befohlen, den Menschen anzubeten? Das würde gegen eines der zentralen Prinzipien im Islam, die Einheit Gottes, verstossen, wonach Anbetung nur ihm und niemandem sonst gebührt.

Der Mensch als Weg zu Gott?

Viele muslimische Gelehrte und Korankommentatorinnen verstehen die Niederwerfung in diesen Versen nicht im Sinne einer Anbetung, sondern einer Ehrerbietung und Demut. Gott befahl die Niederwerfung gegenüber Adam und die Engel sollen demütig Gottes Befehl folgen. Durch die Ehrung soll die besondere Stellung des Menschen in der Schöpfung hervorgehoben werden. Gottes Anbetung wiederum gehört zu den wichtigen Aufgaben des Menschen, um den Weg zu Gott zu finden. Das Beten kann verschieden interpretiert werden. Rechtsschulenübergreifend haben sich die täglich fünf obligatorischen Gebete durchgesetzt. Das fünfmalige rituelle islamische Gebet folgt festen Tageszeiten und Bewegungen. Jeder Gebetsabschnitt «rak'a» wird mit zwei Niederwerfungen beendet. Der Mensch legt seine Stirn auf die Erde. Das symbolisiert die Erschaffung des Menschen aus Erde. Er richtet sich von dieser ersten Niederwerfung auf und sitzt. Der Eintritt ins Leben im Diesseits. Die zweite Niederwerfung symbolisiert das Ableben und die Rückkehr zu Erde. Der Mensch richtet sich von der zweiten Niederwerfung erneut auf. Dies symbolisiert die Auferstehung am Tag des Jüngsten Gerichts.

Kommen wir doch auf die koranische Schöpfungsgeschichte und den Teufel zurück. Die Geschichte erinnert ein wenig an Goethes Faust. Der Prolog findet im Himmel statt. Im Prolog glaubt Gott an das Gute im Menschen und denkt, der zweifelnde Doktor Faust liesse sich nicht vom rechten Weg abbringen. Mephisto hingegen ist davon überzeugt, dass er Faust auf Abwege führen könne. Er schliesst darüber eine Wette mit Gott ab. Ähnlich geht es auch im Koran weiter: Der Teufel bat Gott nach seiner Vertreibung aus dem Himmel um Aufschub bis zum Tag des Jüngsten Gerichts, den Gott ihm gewährte. Ihre Vereinbarung ist: Der Teufel will Gott beweisen, dass der Mensch schwach ist und vom Weg Gottes abkommt. Gott glaubt aber an den Menschen und schickt ihm Propheten, Bücher und Wunder. An vielen Stellen im Koran wird der Mensch vor den Bemühungen des Teufels, ihn «vom Weg» abzubringen, gewarnt. Die Frage welcher «Weg» denn zu Gott führt, ist schon die falsche Frage. Aufgrund der Pluralität von Musliminnen und Muslimen ist vielmehr von «Wegen» zu Gott zu sprechen. Vielleicht ist eine mögliche Interpretation der Niederwerfung gegenüber Adam die, dass einer der Wege zum Schöpfer der Mensch selbst ist: die demütige Niederwerfung und Selbstreflexion, die Verbundenheit zu den Mitmenschen und zur Umwelt, um so den Weg zum Schöpfer zu finden.

Hannan Salamat

 

1 Koran Sure 7 al-A‘raf – Die Höhen, Vers 11.

2 Auf Arabisch «sagdah». Von «sagdah» leitet sich auch das arabische Wort für Moschee «masgid» ab.

 


Hannan Salamat

Hannan Salamat ist Kultur- und Religionswissenschaftlerin. Seit 2019 ist sie für die Themen Pluralität, Feminismus, Islam und Antirassismus beim Zürcher Institut für Interreligiösen Dialog (ZIID) zuständig. Die gebürtige Münchnerin hat 2016 das ausARTen Festival in München mitgegründet und kuratiert es weiterhin.

 

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