Aus meiner Sicht als ehemaliger Pfarrer und jetzt Abt braucht es zwei Voraussetzungen, um gemeinsam überhaupt geistliche Entscheidungen treffen zu können. Die eine Voraussetzung eröffnet der hl. Benedikt mit dem ersten Wort seiner Regel: «Höre». So steht am Anfang des klösterlichen Lebens eine Grundhaltung und nicht ein Gesetz oder eine Vorschrift. Ein hörender Mensch ist einer, der tagtäglich sich vom «Jetzt» herausfordern lässt und nicht stehen bleibt. Es ist ein Mensch, der in Wirklichkeit davon weiss, dass er selber ein Kunstwerk ist, das noch nicht vollendet ist, sondern seiner Vollendung bis zu seinem Sterben hier auf Erden entgegen geht. In klösterlichen Entscheidungsfindungen braucht es jeden und vor allem keine Miesmacher bzw. in der Sprache des hl. Benedikt: keine Murrer.
Die zweite Voraussetzung ist auch im Prolog zu finden: Das Kloster ist nicht ein Haufen von Profis, sondern ein Haufen von Schülern. Im Vers 45 nennt er das Kloster eine «Schule für den Dienst des Herrn». Somit wird klar, dass wir als Mönche ein Leben lang bei Christus in die Schule gehen, bzw. auf der Schulbank sitzen müssen. Die normale Schulzeit hat ein Ende. Aber der Mönch bleibt ein Leben lang ein Schüler Christi. Der Lernstoff, so einfach es jetzt tönt, ist das Evangelium. Mit diesem Lernstoff kommt der Mönch nie an ein Ende.
Der Weg zur Entscheidungsfindung
Mit diesen beiden Voraussetzungen gibt Benedikt in seiner Regel den Weg für Entscheidungen im Kloster. Dem Abt steht sein Consilium (sein engstes Beratungsgremium) zur Seite. Mit ihm sollen erste Ideen, neue Möglichkeiten, andere Wege, wichtige Entscheidungen besprochen werden. Wenn wir so wollen: Es ist der erste Echo-Ort, an dem das «Hören» zum Ausdruck kommt. Was ich heute allerdings schade finde ist, dass die altgedienten Mitbrüder häufig sagen: «Jetzt sollen die Jungen ran! Ich muss da nicht mehr mitmachen.» Aber Benedikt wünscht sich eine gute Durchmischung dieses Gefässes. Denn Benedikt rechnet mit dem Heiligen Geist, ob bei alt oder jung. Und aus meiner Erfahrung heraus wird dem Heiligen Geist nur in einem Generationenmiteinander letztlich diese Landepiste vorbereitet. Hat man im Consilium eine Entscheidung gefunden, geht es in den zweiten Echo-Ort: das Kapitel. Dies sind alle Mönche, die sich für immer ans Kloster gebunden haben. Das ist typisch benediktinisch: Wir bleiben ein Leben lang miteinander in der gleichen Schulbank, ob wir nun 30 Jahre oder 85 Jahre alt sind. Wir sind alles Schüler in der Schule Christi. Benedikt nennt es so:
«Die Brüder sollen jedoch in aller Demut und Unterordnung ihren Rat geben. Sie sollen nicht anmassend und hartnäckig ihre eigenen Ansichten verteidigen» (RB 3,3).
Im Kapitel darf und muss diskutiert werden. Denn keiner weiss, wo der Heilige Geist sich gerade niederlässt, und jeder muss sich seiner eigenen Gebrechlichkeit bewusst sein. Es darf nichts aus dem Kapitel heraus: weder an andere Mönche, noch an Angestellte oder an wen auch immer. Das Kapitel ist der intimste Ort einer Klostergemeinschaft. Deshalb müssen ihn auch alle Beteiligten heilig halten.
Alle zur Beratung rufen
«Dass aber alle zur Beratung zu rufen seien, haben wir deshalb gesagt, weil der Herr oft einem Jüngeren offenbart, was das Bessere ist» (RB 3,3). Benedikt rechnet mit dem Heiligen Geist. Darum ist in einem Benediktinerkloster alles immer in Bewegung, in Fluss. Der Weg hat allerdings seine Zeit. Das ist für Aussentehende manchmal nicht nachvollziehbar, wie lange wir da herumdiskutieren, und der Abt nicht einfach «Amen und basta» sagt. Entscheidungsfindung gerade im Religiösen ist ein langer Weg, der herausfordert, der aber mit jedem rechnet und vor allem auch mit dem Prinzip «Heiliger Geist».
Abt Christian Meyer