Hoch und mächtig ragen die beiden Türme der Kirche St. Martin in Olten 66 Meter in den Himmel. Ich stehe mit Wolfgang von Arx, Mitglied der Baukommission der Kirchgemeinde und Leiter des Umweltteams, vor dem Hauptportal.
So mächtig wie die Türme, so gross war der frühere Wärmeenergieverbrauch, über die letzten Jahre kontinuierlich steigend. Diese Tendenz konnte dank des Umweltmanagementsystems Grüner Güggel1 in die andere Richtung gelenkt werden. Allein durch gezielte Massnahmen wurde im 2019 der Wärmeverbrauch um 20 Prozent, der Wasserverbrauch um 10 Prozent und der Stromverbrauch um 17 Prozent gesenkt. «Und dies ohne Investitionskosten», betont von Arx. Die systematische Bestandesaufnahme der einzelnen Gebäude mit Experten, was zur Einführung des Umweltmanagementsystems gehört, machte dies möglich.
Die Implementierung eines Umweltmanagementsystems zielt gerade auf eine kontinuierliche Verbesserung der betrieblichen Umweltauswirkungen. Dabei soll der gesetzlich geforderte Umweltschutz nicht nur eingehalten, sondern überschritten werden. Das tönt nach finanziellem Mehraufwand. «Keineswegs, denn betriebswirtschaftlich ist das Umweltmanagementsystem interessant. Mit ihm können die Kilowattstunden gesenkt werden, was sich in der Buchhaltung niederschlägt», hält von Arx entgegen. Dafür braucht es aber ein Umdenken. Nicht nur die Investitionskosten sind in den Blick zu nehmen, sondern auch die Betriebskosten. Angestrebt wird eine effiziente Nutzung der Ressourcen und deren laufende Optimierung.
Die Stunde der Wahrheit
Der Elektroingenieur Wolfgang von Arx kam 2018 in die Baukommission der Kirchgemeinde. An seiner ersten Sitzung in der Baukommission stand auf der Traktandenliste «Grüner Güggel». Er wollte wissen, was das sei. Denn obwohl er sich schon lange sehr für den Umweltschutz engagiert – er erstellte eines der ersten Minergiehäuser in der Schweiz – , sich stets mit Umweltfragen beschäftigt und kirchlich aktiv ist, begegnete er dem Grünen Güggel und auch Oeku noch nie. Das Mitglied der Baukommission, das das Dossier innehatte, gab ihm eine dicke Mappe, die er eingehend studierte: «Ich stellte anschliessend sofort einen Antrag an die Kirchgemeinde, das Umweltmanagement Grüner Güggel einzuführen.» Der Antrag wurde gutgeheissen und trat am 1. Januar 2019 in Kraft. Anschliessend stellte von Arx ein Umweltteam von zehn Personen, die beruflich mit der Thematik vertraut sind und einen Bezug zur Kirche haben, zusammen. Das ist der zweite der zehn Schritte auf dem Weg zur Zertifizierung mit dem «Grünen Güggel», welche die Kirchgemeinde Ende März 2020 erreichte.
Ein weiterer Schritt ist die Bestandesaufnahme zu den sechs Schlüsselthemen der Europäischen Öko-Audit-Verordnung EMAS.2 Ein Schüsselthema ist der Energieverbrauch der letzten Jahre. «Die Daten zum Verbrauch von Wärme, Wasser und Strom der Kirchgemeinde Olten/Starrkirch-Wil während der letzten acht Jahre», führt von Arx aus, «haben wir bei der Stadtverwaltung eingeholt und diese dann in die Online-Datenbank des Grünen Gockels in Deutschland3 eingespiesen. Die Datenbank generiert einen ersten Überblick über den Energieverbrauch. Dabei wurde der jährliche Mehrverbrauch ab 2014 ersichtlich und den wollten wir möglichst bald brechen.» Und er fährt fort: «So eine Bestandesaufnahme ist eine Stunde der Wahrheit.» Zur Bestandesaufnahme gehört auch die Begehung der Gebäude der Kirchgemeinde mit Experten. Aus dieser Begehung resultierten rund 50 bis 60 Massnahmen zu einer ökologisch und sozial nachhaltigen Nutzung der Ressourcen. Dabei kommt nicht nur der Energieverbrauch in den Blick, sondern auch die Arbeitssicherheit des Personals, die Art der Reinigungsmittel, der Arbeitsabläufe sowie die Begrünung der Flächen.
Von Arx macht auch mit mir eine Begehung. Bevor wir in die Kirche St. Martin, eine dreischiffige Säulenbasilika, eintreten, verweist er mich auf die sieben, in Stein dargestellten Todsünden am Hauptportal: die Völlerei, die Habsucht, die Trägheit ... Eine der «Klimasünden» der Kirche St. Martin ist schon bei der Türe ersichtlich. Die Bestandesaufnahme 2019 offenbarte undichte Türen, dadurch gehen zehn Prozent der Wärmeenergie verloren. Auch generieren sie Zugluft. Die Gottesdienstteilnehmenden spüren die Zugluft, frösteln und bitten den Sakristan die Heizung höherzuschrauben. Nicht nur durch die undichten Türen, ebenfalls durch undichte Fenster tritt Zugluft und Feuchtigkeit ein. Feuchtigkeit und erhöhte Temperaturen bewirken eine raschere Verunreinigung der Innenwände. «Das ist wie eine Spirale, die aber in die falsche Richtung läuft», merkt von Arx an. «Das Ziel ist, die zeitlichen Abstände der regelmässigen Reinigung der Innenwände zu vergrössern. Das ist kostensparend. Dies werden wir erreichen, wenn wir die undichten Türen und Fenster sanieren und die Temperaturen im Kirchenraum belegungsgesteuert regulieren. Das heisst, auf Gottesdienste hin wird die Temperatur auf 16 Grad Celsius hochgefahren, in den übrigen Zeiten weist die Kirche maximal eine Raumtemperatur von 10 Grad auf. Zusätzlich zur Bodenheizung sind während den Gottesdiensten die Heizkörper unter den Bänken eingestellt. Durch die Heizkörper läuft dann Wasser von 40 bis 50 Grad, was sich angenehm warm anfühlt.»
Die 1910 eingeweihte Kirche St. Martin steht vor einer Innenrenovation. Im Zuge dieser Innenrenovation werden die Massnahmen zu einem geringeren Energieverbrauch umgesetzt. Um ein optimales Ergebnis zu erreichen, werden weiterhin laufend Messungen im Kirchenraum gemacht. An verschiedenen Orten sind Sensoren montiert, die den Feuchtigkeitsgehalt der Luft und die Temperatur messen. Die Ergebnisse werden aufgezeichnet, angeschaut und ausgewertet. Sie fliessen in die Feinjustierung der Wärmeregulierung der Kirche ein. «Es nützt nichts, wenn man die Ergebnisse aufschreibt, wie dies über Jahre geschah, aber diese nicht anschaut und auswertet», merkt der Elektroingenieur an. Das war eine weitere «Klimasünde». Das Betriebssystem für den Wärmehaushalt der Kirche wurde über Jahre nicht mehr justiert, so kam es, dass die Heizung mitten in der Nacht zu laufen begann und tagsüber ruhte. «Der Zeitzähler war um sieben Stunden verschoben», führt von Arx aus, «das ist nicht nur ein Energieverschleiss, sondern schlägt sich auch in den Finanzen nieder.»
Für die Zukunft gebaut
Nach der Begehung der Kirche führt mich von Arx zum neuen Herzstück der Wärmeversorgung der Kirchgemeinde Olten/Starrkirch-Wil. Durch die nördliche Seitentüre verlassen wir die Kirche St. Martin und stehen vor einer Baustelle: Baugerüste für gezielte Aussenrenovationen, brache Erde. Über den Sommer wurden hier im Abstand von zehn Metern 15 Erdsondenbohrungen vorgenommen. Von Arx erzählt: «Die Sonden gehen 200 Meter tief. Nach zwei Metern stiessen die Arbeiter schon auf Jurakalkstein. Diese Kirche ist auf Felsen gebaut, im wahrsten Sinn des Wortes.» Bislang wurden die Kirche, das Pfarreiheim und das Pfarrhaus mit Gas beheizt. Die Gasheizung war in die Jahre gekommen und musste dringend ersetzt werden. Die Ersetzung der Gasheizung hätte die Kirchgemeinde 200'000 Franken gekostet. Die Erdsondenwärmepumpe kostet sie 700'000 Franken. Sie wird mit 90'000 Franken vom Staat subventioniert. Die Investitionskosten sind hoch. Die Betriebskosten sind dafür niedrig. In elf Jahren ist die neue Heizung amortisiert. Auch können nach dem neuen Energiegesetz des Bundes, sobald es in Kraft tritt, die CO2-Abgaben zurückgefordert werden, wenn man selber die CO2-Emissionen reduziert. «Das wissen viele nicht. Insgesamt braucht es ein grosses Fachwissen, über das etliche Kirchgemeinden nicht verfügen. Aus diesem Grund finde ich es sehr wichtig, Experten, die sich irgendwie mit der Kirche noch verbunden fühlen, in Gremien und Teams zu holen», empfiehlt von Arx und führt weiter aus, dass Oeku Kurse zum Umweltberater anbietet. Die Umweltberater setzen das Gelernte in ihren und auch weiteren Pfarreien um. Aus dem Kurs und unter den Pfarreien entsteht so ein Netzwerk des Miteinanders, des Austausches und der Unterstützung.
«Sind Sie und Ihr Umweltteam bei der Einführung des Umweltmanagementsystems auf Widerstände gestossen?», will ich wissen. «Nein, auf Widerstände nicht. Die hohen Investitionskosten bereiten etwas Angst. Wird der Fokus auch auf die Betriebskosten gerichtet, relativieren sich die Investitionskosten. Der betriebliche Unterhalt der kirchlichen Gebäude ist jetzt so aufzustellen, dass die Kosten über die Jahre niedrig gehalten werden können, auch die Personalkosten. Das ist zukunftsweisend», davon ist von Arx überzeugt.
Inzwischen führt die Begehung zu den neuen technischen Anlagen der Wärmegewinnung. Sie liegen auf der Westseite der in neuromanischem Stil gebauten Kirche und unter dem Chorraum. Wo früher der Gaskessel stand, sind jetzt die Wärmeverteilrohre und Zähler montiert. Hier kann genau reguliert und justiert werden. Die Daten werden vom Sakristan regelmässig mit dem Smartphone gelesen und so direkt ins Betriebsleitungssystem eingespiesen. Von Arx betont: «Es bedeutet fürs Personal keinen Mehraufwand, einzig die Einführung kostete etwas mehr Zeit.»
Ein Wanderprediger
Der Elektroingenieur engagiert sich mit viel Herzblut für einen möglichst niedrigen ökologischen Fussabdruck, nicht nur privat, sondern auch für Kirchen. Sein über die Jahre erarbeitetes Know-how will er in der Kirche einsetzen und dies nicht nur in der Kirchgemeinde Olten/Starrkirch-Wil. Aktuell berät er andere Kirchgemeinden wie Bellach und Kestenholz im Kanton Solothurn und meint scherzhaft: «Ich werde zum Wanderprediger.»
Seine Ziele sind ambitioniert. Er möchte, dass die Kirchgemeinde Olten/Starrkirch-Wil bis 2030 CO2-neutral ist. Damit würde die Kirchgemeinde zur Verwirklichung der von Fastenopfer geforderten «Null CO2-Emissionen bis 2040 im Inland»4 wesentlich beitragen. «Die Pfarreien St. Marien und St. Martin stiessen bis anhin zusammen 190 Tonnen CO2 pro Jahr aus. Im 2019 konnten wir mit den gezielten Massnahmen den Ausstoss um 20 Tonnen verringern», erzählt von Arx stolz. Er rechnet dank der Erdsondenwärmepumpe mit einem Minus von zusätzlichen 50 Tonnen. Die neuen Werte werden regelmässig in die Online-Datenbank eingegeben. Diese errechnet den Mittelwert aller mit dem Grünen Güggel resp. Gockel zertifizierten Kirchgemeinden in Deutschland und der Schweiz und erstellt eine Rangliste. Von Arx erklärt mir deren Vorteile und Wirkung: «Ich kann schauen, wo die Kirchgemeinde Olten steht: über oder unter dem Mittelwert. Und je mehr Kirchgemeinden ihren betrieblichen Haushalt ökologisch optimieren, desto tiefer wird der Mittelwert und desto höher der Ansporn, mehr zu tun. Bei der EMAS geht es nicht darum, fixe Werte zu erreichen, sondern zu sehen, wo man steht, oberhalb oder unterhalb des Mittelwertes. Und das spornt an. Bei fixen Werten besteht die Gefahr, dass man sich nach der Erreichung der Ziele zurücklehnt. Man hat es ja erreicht. Umweltmanagement ist nicht eine einmalige Aktion, sondern ein Prozess.» Seine grosse Begeisterung ist spürbar und ansteckend.
«Wie weit erhalten Sie denn Rückmeldungen von Pfarreiangehörigen?», frage ich ihn. «Insgesamt erhalten wir wenig Echo. Interessiert sind vor allem Frauen. Wenn sie mich in der Kirche sehen, kommen sie auf mich zu und wollen mehr über die Heizung und die weiteren Optimierungen erfahren.» Zu Beginn organisierte die Kirchgemeinde einen Informationsanlass zum Umweltmanagementsystem Grüner Güggel. Am Informationsanlass wurde ein Fragebogen verteilt. Rund 40 wurden retourniert, die den Verantwortlichen zeigten, dass die Einführung des Umweltmanagements auf guten Rückhalt in der Pfarrei stösst. Von Arx betont: «Klare und regelmässige Informationen über die Optimierungen, die Ergebnisse und Erfolge sind enorm wichtig. Sie werden im Pfarrblatt kommuniziert und haben auch schon Pfarreiangehörige motiviert, etwas beizutragen, beispielsweise fertigte ein pensionierter Schreiner Vogelnistkästen an. Und ich finde, dass die ökologischen Anstrengungen der Kirchgemeinde auch in eine Predigt einfliessen sollten. Es reicht nicht, wenn in der Predigt die Gottesdienstteilnehmenden sensibilisiert und ermutigt werden, ökologischer zu leben, und die Kirchgemeinde selbst ist eine CO2-Schleuder. Hier klaffen Wort und Tat weit auseinander.»
Mit dem Umweltmanagement Grüner Güggel schliessen die Kirchgemeinden diese Kluft. Sie nehmen eine Vorbildfunktion ein und wirken positiv und glaubwürdig weit über die Pfarrei hinaus. Umweltmanagement ist ein systematischer Weg vom Wort zur Tat.
Maria Hässig