Eine Geste der Liebe

Corona-Impfung, ja oder nein? Die momentan in allen Kreisen vieldiskutierte Frage beschäftigt auch Marianne Pohl-Henzen, bischöfliche Delegierte der Bistumsregion Deutschfreiburg.

Als Mutter und Grossmutter, aber gleichzeitig auch als Tochter von inzwischen ziemlich alten Eltern, mache ich mir derzeit in Bezug auf die Corona-Impfung, respektive auf den Widerstand gewisser Menschen gegen diese Impfung, ziemlich viele Gedanken.

Es gab eine Zeit, in der Kinderlähmung in unseren Breitengraden sehr verbreitet war. Seit den 1950er-Jahren gibt es Gott sei Dank die Polio-Impfung. Heute sehen wir kaum noch Leute, die als Kind an Polio erkrankt waren, und doch kann ich mich noch erinnern, Personen mit Kinderlähmungserscheinungen gesehen zu haben. Die Krankheit ist inzwischen in vielen Gegenden der Welt ausgerottet.

Bei meinen eigenen Kindern – das war die Zeit, als die Homöopathie so richtig aufkam – war ich eher zurückhaltend, eher hinauszögernd, aber impfen liess ich meine Kinder dann trotzdem, auch wenn vielleicht etwas später als von den Schulmedizinern empfohlen. Die KeuchhustenImpfung liess ich auch zu, obwohl ich noch etwas mehr Widerstand in mir verspürte. Genau da gab es eine leichte Reaktion bei meinen Kindern, weshalb ich die Wiederholungsimpfungen nicht durchführen liess. Entsprechend erlebten wir dann den echten Keuchhusten, in allen Farben, mit nächtelangem Husten, Erbrechen usw.

Heute sind wir konfrontiert mit der Krankheit Covid-19. Sie ist hoch ansteckend. Sie ist lebensgefährlich. Vielleicht nicht für uns selber, wir wissen es nicht, aber vielleicht für unsere Mitmenschen, z.B. für meine alten Eltern, für Freundinnen mit geschwächtem Immunsystem, für ältere Bekannte, für Kolleginnen am Arbeitsplatz, für Tischnachbarn im Restaurant, für…
Gibt es daher einen halbwegs vernünftigen Grund, beim heutigen Stand der Wissenschaft, sich nicht impfen zu lassen?
Darf ich – und dazu als Christin – auf meine angebliche Freiheit pochen und mich nicht impfen lassen, wenn gerade diese Freiheit für meine Mitmenschen lebensgefährlich sein kann?
Ist meine Selbstherrlichkeit höher zu bewerten als die Gesundheit meiner Mitmenschen? Oder haben nicht auch sie das Recht, gesund zu bleiben?
Müssen wir nicht dankbar sein, dass es heute die Polio-Impfung, aber eben auch die Covid-19-Impfung gibt und uns diese vor Krankheit und vielleicht vor frühem Tod schützen kann?

Wir befinden uns in einer schwierigen Zeit. Anderswo würde man vielleicht einfach allen die Impfpflicht auferlegen. Dies ist bei uns – glücklicherweise auch für viele andere Lebensbereiche – nicht möglich. Trotzdem, vielleicht sollten wir uns wirklich das Zitat von Papst Franziskus zu Herzen nehmen:
«Sich impfen zu lassen hat etwas mit Liebe zu tun: mit Liebe zu sich selbst, Liebe gegenüber Angehörigen und Freunden, Liebe unter den Völkern… Die Impfung ist eine einfache, aber tiefgreifende Art und Weise, um das Gemeinwohl zu fördern und uns umeinander zu kümmern, vor allem um die, die am verletzlichsten sind. Ich bete zu Gott, dass jeder sein Sandkorn, seine kleine Geste der Liebe beitragen möge.» (Papst Franziskus, am 18. August).

Marianne Pohl-Henzen


Marianne Pohl-Henzen

Marianne Pohl-Henzen (Jg. 1960) ist verheiratet, hat drei erwachsene Kinder und vier Grosskinder. Sie studierte klassische Philologie und Germanistik, später Theologie im Fernkurs. Sie arbeitete als Sprachlehrerin, Katechetin, Pfarreiseelsorgerin und Coach. Ab 2012 war sie Adjunktin des Bischofsvikars für Deutschfreiburg und ist seit 1. August 2020 bischöfliche Delegierte für die Bistumsregion Deutschfreiburg.