Was geschieht, wenn eine junge, dynamische Frau in ein «geschlossenes» Kloster eintritt und ihr Tag von nun an von morgens bis abends von Regel und Regeln bestimmt wird? Diese Frage lag in der Luft, als 1948 die 28-jährige Dichterin Silja Walter in das Benediktinerinnenkloster Fahr eintrat. Hatte das junge Talent sich bereits mit der Veröffentlichung «Die ersten Gedichte» einen Namen gemacht, so schien nun das Talent für die Welt verschollen.
Wenn eine Dichterin, die aus ihrer Intuition heraus in Sprachbildern denkt und schreibt, in einen Lebensraum eintritt, in dem die Gangart vorgespurt ist, von einer Gemeinschaft und einer männlichen Mönchsregel geregelt, welche Auswirkung hat dies dann auf ihr dichterisches Schaffen?
«Das Gedicht ist das Bild der Dichterseele.»1 – Diese Gedanken aus einem Text der etwa 15-jährigen Silja (Cecile) beschreiben treffend die frühen Gedichte vor ihrem Klostereintritt. Es sind Seelenbilder, aus Stimmungen und Emotionen heraus entstanden – etwa wie das Gedicht «Die Irre», das die Emotionen eines Liebeskummers in Poesie chiffriert: «Doch rühr ich mein Gesicht an, klingt es so, als breche man ein Kelchglas in der Mitte.»2 Und da ist noch diese andere Dimension, die literarische Vibration, die sich einem erschliesst, wenn man sich die junge Frau im Gedicht «Die Bootsbrücke» aus singenden Ufern hinausfahrend vorstellt, den Tanz in den Knöcheln, und dann sieht, wie aus ihrem Tanz das Gedicht heraustaumelt:
«Und Tanz wird Taumel und Taumel Gedicht.»3
Vom Verstummen zum Lobpreisen
Auf dieses singende Ausfahren hin wird der Klostereintritt zum existenziellen Einschnitt für die junge Frau. Der Tanz ist aus. Ihre inneren Farben löschen aus. Mehrere Jahre verstummt sie, kann kaum etwas schreiben. Später erzählt sie oft davon: «Ich erinnere mich, wie schwer ich in den ersten Klosterjahren an meiner Ausdruckslosigkeit zu tragen hatte. Das war nun die Wüste. Dies kam fast spürbar über mich hereingerieselt […] Mir schien, ich hätte mein Empfindungsvermögen verloren.»4
In der Klausur
hat man ein hartes
weisses Tuch
um den Kopf
zunächst
und die Bäume singen
auch nicht mehr.5
Zwanzig Jahre nach ihrem Klostereintritt gelingt es ihr, aus der Sprachlosigkeit herauszutreten und mitzuteilen, wie sie dieses Auslöschen erlebte und wie schliesslich die Farben, der Tanz und die Sprachbilder neu kamen, wie die benediktinische Lebensform dem Schreiben sogar Schutz geben kann und zu einer inneren Heimat wird.6 Damit ist für sie der Durchbruch geschafft für ihr Werk und eine neue Art des Schreibens: Ihr benediktinischer Lebensraum wird zum Raum des Schreibens. «Der Glaube ist Raum und Träger dieses Geheimnisses unseres Menschseins. Daraus heraus glaube ich schreiben zu müssen, wenn und soweit es der Gehorsam mir gestattet und auferlegt. Alles, was ich von Anfang an im Kloster geschrieben habe, ist immer neu der Versuch, die im Glauben verborgene Realität in unsere Weltwirklichkeit hineinzuholen, sie so in ihre Formen zu kleiden, dass sie wie von selbst von ihr ergriffen und aufgenommen werden kann.»7 Das «Schreiben Müssen» folgt einem inneren Gedrängtsein und wird zu einem «Melden Müssen». Erfahrung, Emotion, Intuition, Sprachbilder kann die Dichterin nun in die benediktinische Lebensform integrieren. Sie gewinnt eine genuine Identität in der Figur der schreibenden Nonne, die von ihrer Klausurzelle aus der Welt ausserhalb des Klosters unermüdlich von der Gegenwart Gottes erzählt:
«Ins Kloster gehen heisst von einem schwimmenden Schiff aus ans andere Ufer springen, aus wegfliessender Zeit ins stehende Jetzt Gottes hinein.»8
So findet sich dann neu am Ende ihrer Texte ihre benediktinische «Signatur» UIOGD auch als Schreibmotto: Ut in omnibus glorificetur Deus – dass Gott in allem verherrlicht werde.
Ulrike Wolitz