Einfach da sein

Bei einem Ereignis mit Todesfolge kommen neben Polizei und Rettungskräften auch Care Teams und Notfallseelsorger zum Einsatz. Andreas Graf ist einer von ihnen.

Pastoralraumleiter Andreas Graf (Jg. 1964) lebt in Dagmersellen LU und arbeitet seit über zehn Jahren in der Notfallseelsorge/Careteam Luzern mit. (Bild: rs)

 

Zur Notfallseelsorge stiess Andreas Graf durch Zufall: Der damalige Dekan, selbst Mitglied der Notfallseelsorge, fragte ihn, ob er sich für diese freiwillige Tätigkeit interessieren würde. Graf fand es eine sinnvolle Sache und sagte zu. Was genau seine Tätigkeit sein würde, wurde ihm nie so exakt gesagt. Nicht ohne Grund: Die Aufgabe für einen Notfallseelsorger gibt es nicht ...

Aushalten und Halt geben

In einer Notsituation (z. B. Unfall mit Todesopfer, Suizid usw.) entscheidet der Verantwortliche von Polizei, Sanität oder Feuerwehr, ob die Notfallseelsorge aufgeboten wird. Graf erhält dann einen Anruf der Nummer 144. Dabei bekommt er eine kurze Information darüber, was passiert ist, sowie den Namen der Kontaktperson vor Ort. «Ich weiss nie genau, was mich erwartet», erklärt er. «Man kann sich nicht wirklich darauf vorbereiten und braucht eine gewisse Gelassenheit.»

Vor Ort spricht er mit seiner Kontaktperson, die ihm erklärt, wo er gebraucht wird. «Zu Beginn versuche ich, mir einen Überblick zu verschaffen, was passiert ist und wer da ist, und herauszufinden, wie es den betroffenen Menschen geht und was sie brauchen.» Vorgefertigte Rezepte gibt es nicht. «Ich weiss nicht im Voraus, wie die Menschen reagieren», hält Graf fest. Manche sind abwesend, gar nicht wirklich ansprechbar, manche möchten reden. «So ist es wichtig, die einen zum Reden zu ermuntern, den anderen einfach zuzuhören.» Für Notfallseelsorger ist deshalb neben einer gefestigten Persönlichkeit und psychischer Belastbarkeit die Fähigkeit, sich zurücknehmen zu können, sehr wichtig.

Als Notfallseelsorger ist Graf oft der ruhende Pol. Er beantwortet Fragen und hilft, das Geschehen zu strukturieren. Wichtig ist ihm, den Menschen zu helfen, Abschied zu nehmen. Wenn sich die Angehörigen um den Verstorbenen versammeln und Graf spürt, dass die Menschen das Bedürfnis haben, bietet er an, gemeinsam ein Vaterunser zu beten. Die Notfallseelsorge/Careteam Luzern ist ökumenisch, doch müssen die Mitglieder nicht unbedingt einer der Landeskirchen angehören. «Ich bin zunächst als Mensch und Helfer im Einsatz», erklärt Graf. «Manchmal gibt es religiöse Fragen, dann sprechen wir natürlich darüber.»

Besonders nahe geht es Graf, wenn Kinder sterben. Selbst Vater von zwei Kindern, kann er den Schmerz der Angehörigen gut nachvollziehen. Ein sehr schwieriger Moment war für ihn auch das Attentat in Menznau vor fünf Jahren1. Graf hatte Pikettdienst und war als Erster vor Ort. «Die Situation hat die Notfallseelsorge an ihre Grenzen gebracht, sowohl organisatorisch als auch emotional, da sich die Familien der Opfer und des Täters gekannt haben», erinnert er sich.

Loslassen können

Normalerweise endet der Einsatz des Notfallseelsorgers nach wenigen Stunden. Graf schaut, dass alle aktuellen Fragen und Wünsche der Betroffenen geklärt sind. Dann versucht er, den Betroffenen ein Netzwerk aufzuzeigen (Familie, Freunde, Pfarrei), das sie weiterbegleitet. Er lässt immer seine Visitenkarte und die Telefonnummer zurück. Im Normalfall gibt es später keinen oder nur einen kurzen Kontakt. Manchmal erhält er eine Dankeskarte.

Nach einem Einsatz ist er oft erschöpft und braucht zunächst eine kurze Zeit für sich. «Lange Zeit hatte ich das Gefühl, ich könne alles alleine verarbeiten, ich hätte als Seelsorger die nötige Routine. Doch vor ein paar Jahren habe ich gemerkt, dass dies über längere Zeit nicht funktioniert», erzählt Graf. Er redet deshalb oft mit seiner Frau, ebenfalls Theologin. Unterstützung gibt es auch von der Co-Leitung der Notfallseelsorge/Careteam Luzern. Diese fragt nach jedem Einsatz nach, wie es geht, und auf dem Formular des Einsatzberichtes kann angekreuzt werden, wenn man ein Debriefing wünscht.

Auch nach zehn Jahren ist Graf immer noch gerne bei der Notfallseelsorge dabei, weil er sie als eine wichtige Aufgabe erachtet. Trotzdem ist er froh, wenn während des Pikettdienstes das Telefon nicht klingelt.

Rosmarie Schärer

 

1 Bei einem Amoklauf in der Firma Kronospan in Menznau LU starben 2013 fünf Personen, darunter der Täter. Fünf weitere Menschen wurden verletzt.

Informationen zur Notfallseelsorge Schweiz finden sich unter www.cns-cas.ch