An einem Predigt-Weiterbildungstag des Bistums Basel sammelte ich Themen für die Diskussion. «Den Menschen und dem Himmel nah», lautete ein Vorschlag. Ja, so soll die Predigt sein: den Menschen und dem Himmel nah, in einer Sprache, die trifft und vom Leben kündet, wenn sie von Gott spricht.
Den Menschen nah sind Seelsorgende in ihrer Arbeit Tag für Tag. Es sollte für sie nicht schwer sein, den Menschen nahe zu predigen. Und doch ist es nicht ganz so einfach. Die Berufsrolle bringt Theologen in besonderen Situationen mit Menschen in Beziehung: im Spital, in der Schule, bei der Vorbereitung von Taufen und Trauungen, in Krisensituationen. Diese Begegnungen führen oft an Grenzen. Daher ist die Sprache dieser Situationen nicht immer die, welche für die Sonntagspredigt passt. Nicht selten stellt die Sonntagspredigt eine grössere Herausforderung dar, als jene bei einer Taufe oder auch einer Beerdigung. Woher weiss ich denn, was die Leute an einem Sonntag im April beschäftigt? In welche Situation soll der Bibeltext sprechen?
Den Bibeltext in den Alltag mitnehmen
In solcher Ratlosigkeit besteht die Gefahr, durch Aufzählen besonderer Situationen möglichst alle ansprechen zu wollen: Krankheit, Arbeitslosigkeit, Scheidung, Probleme in der Schule. So konkret dies für die predigende Person klingen mag, so abstrakt bleiben die aneinander gereihten Begriffe für die Hörenden. Es bleibt keine Zeit, eigene Erfahrungen zum Beispiel von Krankheit abzurufen, weil schon eine nächste Situation erwähnt wird. Oder aber ein Beispiel trifft unmittelbar: Jemand ist wirklich in Angst um den Arbeitsplatz und bleibt an diesem Stichwort hängen. Ohnmacht oder Wut kommt hoch. Diese Emotionen beschäftigen in der Folge mehr als die Predigt. Die nur im Vorbeigehen angedeuteten Themen werden nicht ernst genommen, sodass auch die Rede von Gott an der Oberfläche bleibt.
In der Predigt von Gott zu sprechen bedeutet, sich mit Gottes Gegenwart sowohl im Leben der biblischen Menschen wie auch der Menschen von heute zu befassen. Das ist die Voraussetzung, um den Menschen und dem Himmel nah predigen zu können. Die Aufmerksamkeit dafür braucht erfahrungsgemäss Zeit. Deswegen beginnen erfahrene Prediger am Anfang der Woche mit der Vorbereitung für den nächsten Sonntag. Sie studieren die Bibeltexte und nehmen diese mit in den Alltag, in die Begegnungen, in ihr eigenes Suchen und Finden: Den Bibeltext im Gehen meditieren; sich in ein Café setzen mit dem Text im Hinterkopf und beobachten oder zuhören, wovon die Jugendlichen am Nebentisch quatschen; im Bahnhof oder Supermarkt einen Moment stehen bleiben, mit derselben Aufmerksamkeit für die Umgebung wie beim Joggen im Wald. Für viele ist dies nicht neu. Ich rufe es gern in Erinnerung. So kann sich das Thema der Predigt einstellen, nahe an den Leuten.
Dann sich hinsetzen mit einem Notizblock, wie ein Maler, aber mit Worten skizzieren, was ich gesehen, gehört oder geschmeckt habe. Experimentieren mit Sprache, lustvoll spielen mit Worten, erzählen und erfinden – all dies führt dazu, dass die Sprache der Predigt anschaulich, sinnlich, konkret und damit lebenssatt wird. Es muss nicht immer die Schule der Dichter sein, in der sich eine poetische, sinnenhafte Sprache entdecken lässt. Das eigene Leben, mit Zuwendung und Aufmerksamkeit betrachtet, schenkt Worte dafür, dass sich Gottes Wort ins Leben eingebracht hat.
Die neue Sprache stellt sich ein
Zum Thema werden können auch Zweifel und Fragen, auf die keine einfache Antwort möglich ist. Ehrlich zu sein, zum Beispiel angesichts der Missbrauchs- und Vertuschungskrise der Kirche, ohne schnelle Antworten zu haben, auch dies gehört zu einer den Menschen und dem Himmel nahen Predigt und macht diese glaubwürdig. Also keine neue Sprache für Gott? Nicht, wenn darunter eine Kunstsprache, eine abgehobene religiöse Sprache gemeint ist. Die neue Sprache stellt sich ein, wo ich Gott mitten im Leben entdecke. Wo ich auf die «Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen […] besonders der Armen und Bedrängten» (GS 1) höre. Wo ich Gottes Geist Zeit und Raum gebe, mir kreativ ins Wort zu fallen und konkret zu werden. Gott braucht keine Sondersprache. Gott ist Mensch geworden. Nichts Menschliches ist Gott fremd.
Franziska Loretan-Saladin