Sven Grosse: Ich glaube an die Eine Kirche. Eine ökumenische Ekklesiologie. (Schöningh Verlag) Paderborn 2015, 284 S.
In der ökumenischen Theologie bilden Wesen und Funktion der Kirche trotz aller theologischer Bemühungen Stolpersteine bei der gesuchten Verständigung über die Bedeutung der Kirche. Die systematische Betrachtung der Kirche bleibt oft in einem idealtypischen Schema verhaftet, das einerseits von der einen geglaubten Kirche ausgeht, andererseits die Pluralität der unterschiedlichen Auffassungen von Kirche nicht ausreichend berücksichtigt.
Zugleich kommt jedoch zu allen theologischen Reflexionen – gleich welcher konfessionellen Begründung und Bindung – die radikale Infragestellung der Kirche in einer säkularen und postmodernen Gesellschaft als gemeinsame Aufgabe hinzu.
Das vorliegende Buch versteht sich als Entwurf einer «ökumenischen Ekklesiologie», der sowohl von einer Wesensbestimmung der Kirche aus reformatorischer Tradition ausgeht (Confessio Augustana, Schmalkaldische Artikeln, Heidelberger Katechismus), als auch die Wesensbeschreibung der Kirche nach dem Zweiten Vatikanum berücksichtigt (Lumen Gentium). Entsprechend dem ökumenischen Grundzug dieses Entwurfs werden für die anstehenden Fragen theologische Denker verschiedener Konfessionen herangezogen (Barth, Pannenberg, Balthasar, Rahner, Chenu u. a. m.).
Der Autor, Professor für Historische und Systematische Theologie an der Staatsunabhängigen Theologischen Hochschule Basel, bringt zudem den freikirchlichen Aspekt in die Diskussion um eine «ökumenische Ekklesiologie» ein. Nach einer systematischen Bestimmung der Kirche werden zunächst die «notae ecclesiae» in ihrer theologiegeschichtlichen, systematischen sowie ökumenischen Relevanz bedacht (S. 49 ff.).
In einem zweiten Teil werden Fragen nach «Amt und Ämter in der Kirche» besprochen. Dabei kommen u. a. die in der ökumenischen Verständigung strittigen Punkte ausführlich zur Sprache: Definition der Ämter (ontologisch oder funktional; Zölibat), «character indelibilis», Ordination der Frauen, Kollegialität des Amtes, Kleriker/Laien, Instanzen des Lehramtes (inkl. Primats- und Jurisdiktionsfrage, S. 127 ff.).
Behandeln der erste und zweite Teil dieses Buches die ekklesiologischen Fragen «ad intra», wendet sich der dritte Teil den Fragen nach dem Verhältnis von Kirche(n) und Welt zu (S. 201 ff.). Die Systematik einer Gefährdung der Kirche sieht der Autor einerseits im Prozess der religiösen wie säkularen Verweltlichung der Kirche, andererseits in den verschiedenen Fehlformen kirchlichen Lebens (Tyrannei der Kirche, Entzug des Gehorsams, Spaltungen). Mit besonderem Interesse liest man in diesem Zusammenhang die Reflexionen über die «Möglichkeiten der Freikirchen» in einer pluralen und säkularen Gesellschaft (S. 218 ff.).
Der Entwurf einer «ökumenischen Ekklesiologie» versteht sich als ein Lehrbuch über Wesen und Funktion der Kirche. Das Besondere an diesem Ansatz ist der Einbezug freikirchlicher ekklesiologischer Ansätze, die in der Regel in den meisten Lehrbüchern übergangen werden.
Stellt man gerade in den ekklesiologischen Fragen im ökumenischen Gespräch noch grosse Probleme fest, so kann der Ansatz, freikirchliche Entwürfe in den Diskurs einzubeziehen, hilfreich sein.
Der Verfasser ist dem Gedanken einer evangelischen Katholizität und einer katholischen Evangelizität verpflichtet, die im deutschsprachigen Raum erstmals von Otto Karrer vertreten wurde. Keine der Fragmentkirchen, so der Verfasser, ist «katholisch» im ursprünglichen Sinn, es bedarf der Überschreitung konfessioneller Grenzen, um die Fülle des Reichtums der geglaubten Kirche zu erfassen (vgl. S. 265).
Das Buch ist allen an ekklesiologischen Fragen Interessierten zu empfehlen und bietet einen sehr informativen Überblick über die aktuellen Fragen der Ekklesiologie.